Gierige Maroni-Touristen
Ranger müssen Kastanien beschützen

Am Walensee steht die grösste Schweizer Kastanienplantage nördlich der Alpen. Seit der Pandemie wird sie jeweils im Oktober von Maroni-Fans überrannt – zu viel des Guten für die Betreiber.
Publiziert: 22.10.2023 um 14:47 Uhr
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Aktualisiert: 23.10.2023 um 09:52 Uhr
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Lino SchaerenRedaktor

Wer in der Schweiz im Herbst selber Marroni sammeln will, muss nicht unbedingt in den Süden reisen. In Murg SG am Walensee befindet sich der grösste Schweizer Kastanienhain nördlich der Alpen. Fast 2000 Edelkastanienbäume ragen hier bis zu 30 Meter in die Höhe, einige sind mehrere Hundert Jahre alt. Und vor allem: Die Marroni, die auf dem 2,5 Kilometer langen Kastanienweg zu Boden fallen, dürfen gesammelt werden. Dementsprechend beliebt ist die Idylle am Walensee, vor allem bei Familien.

Doch genau das wird für den wertvollen Kastanienwald immer mehr zum Problem. «Seit der Covid-Pandemie werden wir in der Marroni-Saison regelrecht überrannt», sagt Josef «Sepp» Kühne, Präsident des Vereins Pro Kastanie Murg. Die Saison dauert etwa von Mitte September bis Ende Oktober. In dieser Zeit seien an den Wochenenden bis zu 400 Personen pro Tag auf dem Kastanienweg unterwegs. Zu viele, findet Kühne. «Dabei machen wir selbst gar keine Werbung.» Für den Ansturm seien die Tourismusorganisationen verantwortlich.

Enttäuschte Touristen

Der Kastanienplantage setzt aber nicht nur die schiere Menschenmenge zu. Problematisch ist laut Kühne vor allem die Erwartungshaltung der Marroni-Touristen: «Sie reisen zum Teil mehrere Stunden mit der falschen Vorstellung an, an jedem beliebigen Tag kiloweise Marroni sammeln zu können.»

So ist es korrekt: Nur reife Früchte, die am Boden liegen, dürfen mitgenommen werden. Die Kastanien am Baum sind ungeniessbar.
Foto: Siggi Bucher
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Nur: So regelmässig fallen die reifen Früchte nicht von den Bäumen. Vor allem nach Regen oder Föhn ist der Besuch der Plantage lohnend. Liegen hingegen nur wenige Früchte am Boden, führe dies zu Frustration bei den Sammlerinnen und Sammlern, sagt Kühne.

Die Folge: Die Besucherinnen und Besucher schlagen die noch unreifen Kastanien mit Steinen und Stöcken von den Bäumen. Einige versuchten sogar, die Stämme hochzuklettern.

Krebskranke Kastanien

Dabei entstehen Schäden an den wertvollen Bäumen. Die vermeintlich kleinen Verletzungen am Holz wie aufgerissene Rinde oder abgeknickte Äste können verheerende Folgen für die Plantage haben: Der Kastanienrindenkrebs nutzt die Wunden, um sich auszubreiten. Es habe viele Jahre gedauert, den parasitären Schlauchpilz in den Griff zu bekommen, sagt Kühne. Durch rücksichtslose Touristen sei er jetzt wieder auf dem Vormarsch.

Der Verein Pro Kastanie Murg sah deshalb in diesem Jahr keine andere Möglichkeit mehr, als Aufpasser zu engagieren, die an den Wochenenden in der Plantage patrouillieren. Die ausgebildeten Ranger sollen sensibilisieren und auf Fehlverhalten hinweisen. Auf Dauer könne sich der Verein die Aufpasser aber nicht leisten, sagt Kühne. «Dass sich die Menschen seit der Pandemie wieder mehr im Wald aufhalten wollen, ist eigentlich gut», sagt «Sepp» Kühne. «Nur geht dabei leider allzu oft der Respekt vor der Natur verloren.»

Für «seinen» Kastanienhain wünscht er sich für das kommende Jahr mehr Rücksichtnahme der Besucher. Und dass die Tourismusorganisationen das Ausflugsziel weniger offensiv bewerben. Der einzige Schweizer Kastanienhain nördlich der Alpen, in dem Marroni gratis gesammelt werden können, ist Opfer seiner eigenen Beliebtheit geworden.

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