«Dem Sohn wurde die Schulter ausgerenkt»
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Augenzeuge der Verhaftung:«Dem Sohn wurde die Schulter ausgerenkt»

«Schulter ausgerenkt»
Vorwürfe gegen Polizei wegen Gewalt bei Festnahme der Skeptiker-Beizer

Die Eskalation in Zermatt zwischen Corona-Skeptikern und Behörden hält seit Tagen an. Zwei Wirte-Brüder halten Polizei und Regierung auf Trab. Nun hat die Polizei durchgegriffen. Die Festnahme sei nicht gewaltfrei verlaufen.
Publiziert: 31.10.2021 um 04:36 Uhr
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Aktualisiert: 01.11.2021 um 09:26 Uhr

Die Brüder Patrik und Ivan A.*, Beizer des traditionsreichen Restaurants Walliserkanne an der Bahnhofstrasse in Zermatt VS, wollten nicht nachgeben. Sie empfingen Gäste ohne Corona-Zertifikat und bekamen dafür die Quittung: Wegen Verstössen gegen Corona-Regeln hat die Polizei das Restaurant geschlossen. Weil die Betreiber auch danach machten, was sie wollten, gab es die Quittung der Behörden: Am Sonntagmorgen rückte die Polizei vor und nahm drei Betreiber des Lokals fest. Es handelt sich dabei um einen Vater, eine Mutter und deren Sohn, wie die Polizei mitteilt.

Polizei räumt die Walliserkanne
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Dutzende Polizisten vor Ort:Polizei räumt die Walliserkanne

Mario Julen (58) gibt an, als Vermittler zwischen Behörden und Betreibern fungiert zu haben. Er habe der Betreiber-Familie am Samstag angeboten, diese Rolle zu übernehmen und wolle in ihrem Einverständnis nun versuchen, wieder Frieden zu stiften. Als die Polizei am Sonntagmorgen anrückte, sei er daher vor Ort gewesen und Augenzeuge der Festnahmen geworden. Er wirft der Polizei massiven Gewalteinsatz vor.

«So etwas habe ich noch nie gesehen», sagt der überregional bekannte Bergführer und Gastrounternehmer, der selbst doppelt geimpft ist — und in dessen Betriebe die Corona-Regeln vorbildlich umgesetzt würden. «Im Rudel ging die Polizei auf die Familie los, mit Fäusten und Schuhen — und zwar ohne Vorwarnung.» Die Familie habe sich zunächst nicht gewehrt. Trotzdem sei Mutter Nelly «zusammengeschlagen», dem Sohn Ivan «die Schulter ausgerenkt» und dem Vater Andreas in den «Nacken geschlagen worden», beschreibt der Einheimische den Einsatz. «50 Polizisten» seien dabei gewesen, die auch ihn dann weggedrängt hätten. Ob die Familie danach Gegenwehr geleistet hätte, habe er nicht gesehen.

Um zirka 10 Uhr fuhren die Einsatzkräfte am Sonntag wieder bei der Walliserkanne vor.
Foto: Blick
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Die Walliser Kantonspolizei geht nicht genauer auf die Vorwürfe ein. Sie sagt, «die Verhaftungen geschahen nach dem Prinzip der Verhältnismässigkeit». Ein Sprecher lässt durchblicken, dass sich die Betreiber nicht ohne Widerstand festnehmen liessen, wie Julen behauptet. Man habe «angemessen auf die Situation reagiert». Für weitere Auskünfte verwies man an die Walliser Staatsanwaltschaft. Diese wollte gegenüber Blick keine Stellung nehmen, verwies lediglich auf laufende Ermittlungen gegen die Betreiber der Walliserkanne.

Hier werden die Wirte der Walliserkanne abgeführt
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Polizei räumt Skeptiker-Beiz:Hier werden die Wirte der Walliserkanne abgeführt

Apartheidsvergleiche und Untergangsfantasien

Schon Mitte Oktober wütete Skeptikerwirt Patrik A. gegen die Behörden. «Jetzt ist hoffentlich mal Schluss mit der korrupten Regierung», sagte er laut dem «Walliser Boten». Die Brüder seien laut der Zeitung immer extremer geworden. Es ist die Rede von Apartheidsvergleichen, Untergangsfantasien, Wut auf Staat und Politik. Sie verklagten die Regierung. Und exportieren ihr «Geschäftsmodell».

Wie der «Bote der Urschweiz» berichtet, wird der Wirt des Restaurants Hölloch im Muotathal das Lokal für den symbolischen Betrag von einem Franken pro Monat an die Gebrüder A. vermieten. Diese wollen das Hölloch als «private Stube» führen. In einer solchen dürften sich bis zu 30 Personen aufhalten. Auch ohne Zertifikat.

Gäste wollen trotz Polizei ihr Bier fertig trinken
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Walliserkanne wird geräumt:Gäste wollen trotz Polizei ihr Bier fertig trinken

Katz- und Maus-Spiel mit den Behörden

In Zermatt tanzten Patrik und Ivan A. derweil den Behörden auf der Nase herum, wie der «Walliser Bote» weiter berichtet. Die Gebrüder würden ein Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei spielen. Diese – plus Staatsrat und Staatsanwaltschaft – schienen lange machtlos.

Walliserkanne trotz Betonblöcken vor der Türe in Betrieb
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«Wir haben geöffnet»:Walliserkanne trotz Betonblöcken vor der Türe in Betrieb

Am späten Samstagabend zogen schliesslich noch die Freiheitstrychler durch die Bahnhofsstrasse in Zermatt. Angeführt von Ivan A. und dem Chef der Bewegung «Mass-Voll», Nicolas Rimoldi, auch sie mit Treicheln auf den Schultern.

Die Behörden werden zum Narren gehalten. Das bunte Treiben in und vor der Walliserkanne ging auch am Samstag weiter. Ein Siegel, das die Schliessung des Restaurants am Freitag offiziell machen sollte, riss Ivan A. vor den Augen der Polizisten weg. Trotz sechs riesigen Betonblöcken, die von der Polizei in Absprache mit der Gemeinde in der Nacht vor die Tür gekarrt worden waren und den Eingang versperrten, war die Walliserkanne am Samstag wieder offen. Erst als Bar. Bald wurden die Betonblöcke zum Mahnmal: beklebt und beschmiert mit zweifelhaften Aussagen.

Wirt rastet bei Polizeieinsatz in der Walliserkanne aus
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«Muss ich eine Waffe besorgen»:Wirt rastet bei Polizeieinsatz in der Walliserkanne aus

Ein lukrativer Tag für die Wirte. Restaurant und Terrasse, von der sich Patrik A. auch mit dem Megafon an die Menge wandte, waren zeitweise zum Bersten voll mit Gästen. Diese hielten von der Autorität der Polizei und Behörden ebenso wenig wie die Gebrüder A.

«Ein schlechtes Licht auf die mondäne Destination»

Die Polizei versuchte dennoch Präsenz zu markieren, unternahm Versuche, Personalien von Gästen aufzunehmen, sie wegzuweisen «und die beiden A. zur Räson zu bringen», so der «Walliser Bote». Es blieb bei Versuchen.

Der Polizei waren die Hände gebunden. Sie hätte das Spiel mit dem amtlichen Siegel noch x-fach wiederholen können. Über den Einsatz von Zwangsmassnahmen wie Verhaftungen müsste der Staatsrat oder die Staatsanwaltschaft entscheiden. Diese schwiegen eisern.

Soweit bliebs beim friedlichen, lauten Protest der Skeptiker, während die anarchischen Tendenzen «ein schlechtes Licht auf die mondäne Destination unterhalb des Matterhorns werfen», kommentiert der «Walliser Bote». Am Sonntag wollten die Behörden diesem Treiben nicht mehr länger zusehen. (kes/cat/dus/vof)

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