Missbrauch in der katholischen Kirche
Ex-Kadermann packt aus

Ein ehemaliger Kadermann der katholischen Kirche erhebt schwere Vorwürfe: Es geht um Missbrauch und Vertuschung von Straftaten. Vier Anzeigen sind bei der Staatsanwaltschaft.
Publiziert: 10.09.2023 um 00:50 Uhr
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Aktualisiert: 10.09.2023 um 08:36 Uhr
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Es ist eine Bombe für die katholische Kirche der Schweiz: Ein ehemaliger Kadermann erhebt Vorwürfe gegen sechs Bischöfe. Vier der Gottesmänner sind bis heute im Amt, zwei bereits im Ruhestand. Sie alle sollen Fälle von sexuellem Missbrauch vertuscht, einer sich sogar selbst an einem Jugendlichen vergriffen haben. Hinzu kommen mutmassliche Übergriffe durch Priester in der Schweiz.

Der Whistleblower ist nicht irgendwer: Nicolas Betticher (62), bestens vernetzter Pfarrer in Bern, einstiger Mitarbeiter von Bundesrätin Ruth Metzler (59) und ehemaliger Generalvikar des Bistums Lausanne, Genf und Freiburg. Betticher wurde bei Nuntius Martin Krebs (66) vorstellig, dem Papst-Botschafter in der Schweiz – und packte aus. «Diese Mitteilungen betreffen sechs Schweizer Bischöfe», steht in seinem Brief an den Nuntius. Das Schreiben liegt SonntagsBlick vor.

Bettichers Vorwürfe sind so massiv, dass mittlerweile der Vatikan aktiv geworden ist. Rom hat den Bischof von Chur, Joseph Bonnemain (75), mit einer internen Voruntersuchung beauftragt – eine äusserst seltene Massnahme: Der Kirchenmann muss nun gegen seine Mitbrüder ermitteln und prüfen, was an den Vorwürfen dran ist. Bonnemain bestätigt gegenüber SonntagsBlick, dass auch die Staatsanwaltschaft involviert ist. Nach Informationen von SonntagsBlick gibt es vier Anzeigen. Mit Verweis auf das laufende Verfahren will sich der Churer Bischof zu Details nicht äussern. Unklar ist, ob die Taten bereits verjährt sind. Für alle gilt die Unschuldsvermutung. Aber worum geht es genau?

Der Priester Nicolas Betticher (links) packt aus – und erhebt Vorwürfe gegen Bischof Charles Morerod (rechts) und weitere Bischöfe.
Foto: Keystone
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  • Einem Mitglied der Schweizer Bischofskonferenz wird sexuelle Belästigung eines Jugendlichen vorgeworfen. Der Würdenträger war für SonntagsBlick nicht zu erreichen.
  • Drei Priestern im Bistum Lausanne, Genf und Freiburg wird vorgeworfen, Jugendliche sexuell belästigt zu haben. Eine Sprecherin des Bistums teilt mit: «Wir nehmen die Vorwürfe sehr ernst. Staatliche und kirchliche Stellen sind aktiv.»

Hinzu kommen Vertuschungsvorwürfe. Diese sind kein Fall für die Staatsanwaltschaft, sondern für das Kirchenrecht. Die Beschuldigten sind:

  • Jean-Marie Lovey (73). Ein Opfer soll sich an den Bischof von Sitten gewandt und von einem Missbrauch berichtet haben – doch nichts passierte. Loveys Sprecher widerspricht: «Der Bischof hat die vorgeschriebenen Schritte unternommen.»
  • Der Bischof von Lausanne, Genf und Freiburg, Charles Morerod (61), soll 2011 von einem Missbrauchsfall erfahren haben. «Ich habe ihm diese wichtige Information im November 2011 mitgeteilt», schreibt Betticher in seinem Brief an den Papst-Botschafter. Trotzdem beförderte Morerod den Priester später. Erst 2020, als «Tages-Anzeiger» und «Rundschau» Details zum Missbrauch enthüllten, suspendierte Morerod den Priester.
  • Ein weiterer Mitwisser soll Weihbischof Alain de Raemy (64) gewesen sein, der Jugendbischof der Schweiz. Früher besassen de Raemy und der Täter gemeinsam ein Chalet im Wallis, wo der Übergriff stattfand. 2020 bestritt de Raemy gegenüber «Le Matin Dimanche», von der Tat gewusst zu haben. Er habe nur erfahren, dass der Mitbesitzer des Chalets «eine homosexuelle Beziehung hatte. Er sprach von einem Erwachsenen, von Küssen und Umarmungen.» Gegenüber SonntagsBlick verweist de Raemys Sprecher auf die laufenden Untersuchungen.
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  • Ein früherer Weihbischof soll Missbrauchsfälle im Kanton Waadt vertuscht haben. Nach einem Sommerlager – so steht es in der Anzeige an den Papst-Botschafter – beschwerten sich Eltern über einen Priester, der «etliche Söhne sexuell belästigt hatte». Doch der Weihbischof habe nichts unternommen. Daraufhin wandten sich die Eltern an Bischof Bernard Genoud, der in Rom interveniert habe. Der Weihbischof sei von Lausanne abgezogen und zum Bischof von Reykjavik (Island) ernannt worden. Gegenüber SonntagsBlick weist der Würdenträger sämtliche Vorwürfe zurück und kündigt eine Strafanzeige wegen Verleumdung an. Er habe aus Respekt gegenüber Missbrauchsopfern eine Nulltoleranz-Politik vertreten.
  • Jean-Claude Périsset (84). Der Schweizer Bischof machte als Vatikan-Diplomat Karriere, von 2007 bis 2013 war er Botschafter des Papstes in Berlin. Périsset soll Ende der 1980er-Jahre vom sexuellen Missbrauch durch den Kapuziner Joël Allaz erfahren haben. Dieser wurde nach Frankreich versetzt, wo er weitere Jugendliche missbrauchte. Périsset teilt SonntagsBlick mit, er habe als damaliger Offizial nichts vertuscht. Der für den Kapuziner verantwortliche Ordensobere habe die Verantwortung übernommen. Das Kirchenrecht sei damals anders gewesen.
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Es ist ein Novum, dass der Vatikan Untersuchungen gegen ranghohe Kleriker in der Schweiz anordnet. Dementsprechend nervös blicken die Bischöfe auf eine Medienkonferenz am Dienstag. Dann präsentieren Forscherinnen der Uni Zürich Ergebnisse einer ersten Studie zum katholischen Missbrauchskomplex.

«Ich nehme zur Kenntnis, dass meine Anzeige an die Medien gelangt ist», sagt der interne Whistleblower Nicolas Betticher zu SonntagsBlick. «Ich begrüsse, dass Rom aktiv wurde. Wir brauchen nicht nur eine historische, sondern auch eine kirchenrechtliche Aufarbeitung und weitere Verfahren, um den Opfern gerecht zu werden.»

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