Nach Aus fürs Rahmenabkommen
Parlament rechnet mit Bundesrat ab

Der Verhandlungsabbruch mit der EU hat ein erstes Nachspiel: Nationalräte planen eine Sonderdebatte. Und der Bundesrat muss sich auf eine Untersuchung gefasst machen.
Publiziert: 30.05.2021 um 13:30 Uhr
Bundesrätin Karin Keller-Sutter, Bundespräsident Guy Parmelin und Bundesrat Ignazio Cassis verkündeten am Mittwoch das Scheitern des Rahmenabkommens.
Foto: keystone-sda.ch
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Camilla Alabor und Simon Marti

Es dauerte ein paar Stunden, bis der Schock verdaut war. Dann gingen Parlamentarier mehrerer Fraktionen ans Werk. Nachdem sie sich jahrelang für eine Lösung des verfahrenen Verhältnisses mit der EU ins Zeug gelegt haben, wollen sie den Bundesrat mit dem am Mittwoch verfügten Verhandlungsabbruch nicht einfach davonkommen lassen.

Die Sommersession der eidgenössischen Räte, die morgen beginnt, wird damit für die Regierung zum Spiessrutenlauf. Grünliberale und SP werden eine aktuelle Debatte im Nationalrat verlangen. Dies bestätigen GLP-Parteichef Jürg Grossen (51, BE) und SP-Fraktionspräsident Roger Nordmann (48, VD) gegenüber SonntagsBlick. Dringen sie damit durch, wird das Parlament in der dritten Sessionswoche über das Aus des Rahmenabkommens debattieren.

Und über die Weiterführung des bilateralen Wegs: «Wir verlangen Klarheit über den sogenannten Plan B. Was die Landesregierung am Mittwoch präsentierte», so Nordmann, «ist schlicht ungenügend.» Der SP-Fraktionschef hat bereits ein Postulat formuliert, das vom Bundesrat die Prüfung europapolitischer Optionen verlangt – «ohne Rücksicht auf die politische Machbarkeit». In Nordmanns Vorstoss tauchen auch ein Beitritt der Schweiz zur EU oder zum Europäsichen Wirtschaftsraum (EWR) auf.

Laut GLP-Chef Grossen werden die kommenden Wochen zeigen, in welche Richtung es gehen könnte: «Für mich ist auch ein EWR-Beitritt eine Option, die es ernsthaft zu prüfen gilt.» Der Berner Oberländer betont, das Vorgehen des Bundesrats müsse untersucht werden, weil er das Parlament schlicht übergangen habe. «Das darf in Zukunft bei derart wichtigen Themen nicht mehr passieren.»

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Einigkeit

Darin besteht Einigkeit mit mehreren Aussenpolitikern anderer Parteien. Sie alle fordern eine Aufarbeitung der Ereignisse, die weit über einen parlamentarischen Schlagabtausch hinausgeht – und die Legitimität des Regierungsentscheids vom 26.Mai in Zweifel zieht.

SP-Nationalrat Eric Nussbaumer (60, BL) ist «dezidiert» der Meinung, der Bundesrat habe gar nicht das Recht gehabt, die Verhandlungen so abrupt abzubrechen. «Der Abschluss eines Rahmenabkommens ist in den Legislaturzielen verankert. Das ist ein Bundesbeschluss. Den kann nur das Parlament ändern», sagt er.

Weiter habe der Bundesrat der Aussenpolitischen Kommission versichert, sie werde konsultiert, bevor er die Verhandlungen abbricht. «Das war gelogen, wir wurden für den Abbruchentscheid nicht konsultiert», so der Baselbieter. Da schwingt viel Frust mit. Aber der SP-Nationalrat ist kein Politiker, der leichtfertig mit Begriffen wie «Lüge» oder «Rechtsbruch» operiert.

Untersuchung unausweichlich

Nussbaumer ist sicher: «Früher oder später wird sich die Geschäftsprüfungskommission mit dem Entscheid des Bundesrats befassen.» Allein schon um zu verhindern, dass die Regierung erneut das Parlament übergehe und eigenmächtig handle.

Tatsächlich verfügen die Geschäftsprüfungskommissionen des Parlaments über die Kompetenz, die vergangenen Monate im Bundesrat aufzuarbeiten. «Dass eine detaillierte Untersuchung folgen wird, scheint mir unausweichlich», sagt die freisinnige Nationalrätin Christa Markwalder (45, BE). «Genauso wie die GPK die Covid-Politik unter die Lupe nehmen wird, soll auch die Europapolitik bis hin zum Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen aufgearbeitet werden.» Sie habe viel Zeit und Energie ins Aufzeigen möglicher Lösungswege investiert und sei überzeugt, dass ein Abschluss möglich gewesen wäre, macht Markwalder klar.

Der Bundesrat habe sich über seine eigenen Beschlüsse, die Positionen der Aussenpolitischen Kommissionen und der Kantone sowie über die gemeinsamen Legislaturziele hinweggesetzt: «Darüber können wir nicht einfach guten Gewissens hinwegschauen.»

Das Insta mag vom Tisch sein. Der Druck auf den Bundesrat aber bleibt hoch.

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