Zainab Z. (24) schildert schlimme Zeit im Libanon
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«Viele haben weggeschaut»:Zainab Z. (24) schildert schlimme Zeit im Libanon

Schweizerin (24) heiratet Libanesen und geht durch die Scharia-Hölle
«Er kontrollierte alles, sperrte mich ein und schlug mich»

Zainab Z. (24) hat sich einen liebevollen Mann gewünscht. Eine arrangierte Ehe führte sie im Jahr 2020 in den Libanon, wo sie durch die Scharia ihre Rechte verlor. Zwei Jahre lang kämpfte sich die Schweizerin durch die Hölle – bis zu ihrer Flucht.
Publiziert: 19.08.2024 um 00:30 Uhr
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Aktualisiert: 21.08.2024 um 13:25 Uhr
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Qendresa LlugiqiReporterin News

Eine glückliche Ehe führen und eine eigene Familie gründen, davon hat Zainab Z.** (24) aus Romanshorn TG schon früh geträumt. Ihre Vorbilder: die Frauen in ihrer Familie. Die Tochter einer «Bünzli»-Schweizerin – wie sie die Wurzeln ihrer Mutter selbst humorvoll beschreibt – und eines Libanesen ist gerade im zweiten Lehrjahr, als Verwandte ihr einen Mann aus dem Libanon vorschlagen. Um sich ihren Traum rasch zu erfüllen, ist die damals 20-jährige Schweizerin bereit, einer arrangierten Heirat mit einem Verwandten ihres Vaters einzugehen.

«Arrangierte und innerfamiliäre Ehen sind in unserer einflussreichen Grossfamilie weiterhin gang und gäbe», sagt Z. zu Blick. Dass solche Partnerschaften funktionieren können, habe sie bei ihren Verwandten gesehen.

«Dadurch hatte ich einen romantisierten Blick auf meine eigene arrangierte Ehe – obwohl es bereits einige Warnsignale gab während der sechsmonatigen virtuellen Kennenlernzeit», sagt Z . «Ausserdem war ich unerfahren und leichtgläubig – und wurde zur Gefangenen.»

Durch eine arrangierte Ehe mit einem schiitischen Libanesen musste die Schweizerin Zainab Z. während zwei Jahren durch die Hölle.
Foto: Qendresa Llugiqi
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Die Eheschliessung

Ohne ihren Zukünftigen, Mehdi N.* (heute 29), vorher je persönlich getroffen zu haben, reist die Muslima im Juni 2020 von ihrem damaligen Wohnort Schaffhausen allein in den Libanon. Noch gleichentags kommt es zur Heirat nach islamisch-schiitischen Praktiken. «Ab da gehörte ich quasi ihm – ganz nach dem Scharia-Recht im Libanon.»

Die Ehe wird im Nachgang staatlich anerkannt und über die Schweizer Botschaft in Beirut ebenfalls in der Schweiz registriert. Rasch wird Z. schwanger.

Ein eingeschränktes Leben

Für die Muslime im Libanon regelt die Scharia – das islamische Gesetz – verschiedene Aspekte des Lebens. So etwa das Ehe- und Familienrecht oder auch Persönlichkeitsrechte. Da sie – besonders unter den Schiiten – konservativ ausgelegt wird, werden die Rechte und Freiheiten der Frauen stark eingeschränkt: Die Frau ist dem Mann untergeordnet. In einer Ehe bestimmt der Mann über jeglichen Lebensaspekt einer Frau.

Auch Z. verliert nach der Heirat ihre Rechte, ihre Freiheit. «Mehdi kontrollierte alles. Er schränkte sogar den Kontakt zu meiner Familie ein. Unbegleitet liess er mich nicht aus unserer Wohnung in Beirut raus – ausser, ich ging in der direkten Nachbarschaft zum Kiosk oder Supermarkt. Ging er allein raus, sperrte er mich ein. Es war ihm egal, in welchem Zustand er mich zurückliess oder dass wir keine Nahrungsmittel zu Hause hatten.»

Der Drogen-Sumpf

Eine weitere enorme Belastung: die Drogensucht von Mehdi N. Davon erfährt die Romanshornerin erst während des Zusammenlebens. Videos, aufgezeichnet an verschiedenen Tagen, zeigen seinen desaströsen Zustand. «Manchmal kam er tagelang nicht nach Hause. Etwa, wenn er sich Drogen in speziellen Dörfern holen ging.»

Nicht einmal als die gemeinsame Tochter Mitte Mai 2021 auf die Welt kommt, ändert sich Mehdi N.

Trotz allem hält Z. an der Ehe fest. Sie entschliesst sich, im September 2021 in die Schweiz zu reisen. «Ich wollte hier einen Job und eine Wohnung finden und Mehdi zu mir holen. Hier sollte er endlich Hilfe erhalten.» Doch Mehdi N. erlaubt ihr und der Tochter die Ausreise nicht. Mehrmals strandet Z. am Flughafen. Erst als ihr Vater interveniert, klappt es. Vor dem Abflug entschuldigt sich Mehdi N. für sein Fehlverhalten.

Situation eskaliert

In der Neujahrsnacht reist Z. zu ihrem Mann zurück. «Es fiel mir schwer, in der Schweiz mit einem Baby Fuss zu fassen – auch weil ich kaum Unterstützung aus meinem Umfeld erfuhr», erklärt die junge Frau.

Wieder zurück im Libanon eskaliert die Situation: Mehdi N. nimmt Z. und der Tochter die Schweizer Pässe ab. Er bewahrt diese in seiner Umhängetasche auf, die er stets bei sich trägt. «Er begann, mir mit einem Messer und einer Waffe zu drohen. Sollte ich ihn verlassen, würde er mich töten! Und er schlug mich», sagt sie. «Während dieser Zeit habe ich jegliche Form der Gewalt erlebt.»

Die Flucht

Z. weiss: Sie muss da weg. Hilfesuchend wendet sie sich an die Schweizer Botschaft in Beirut. Doch die kann ihr nicht helfen: Es gilt die libanesische Gesetzgebung. Für Z. bedeutet das konkret: Sie darf zurück in die Schweiz – muss aber ihre Tochter zurücklassen. Denn Kinder gehören nach schiitischer Auslegung dem Vater. Ohne dessen Einwilligung darf das Kind nicht ausreisen. Für Z. unvorstellbar. Also entschliesst sie sich zur Flucht mit dem Kind – doch erst andere Männer ermöglichen diese.

In einem unbeobachteten Moment holt Z. die Pässe aus der Umhängetasche von Mehdi N. und versteckt diese unter einem Teppich. Als er eines Tages vergisst, die Haustür zu schliessen, ergreift Z. die Chance. Mithilfe eines Bäckers aus der Nachbarschaft, dem sie ihren ganzen Goldschmuck überlässt, gelingt ihr die Flucht von Beirut zu ihrem Onkel nach Fanar.

Dieser informiert schliesslich ihren Vater über das Geschehene. «Meine Familie liess dann ihre Beziehungen spielen und organisierte die Rückreise in die Schweiz – auch ohne Einwilligung meines Ex.» Das war im Juni 2022. Z. ist sich bewusst: «Hätte mir meine Familie in diesem Moment nicht die Hand gereicht, wäre ich eine Gefangene geblieben.»

Die Zukunft

Heute hat Z. alles, was sie sich je gewünscht hat: Die inzwischen zweifache Mutter hat in Profiboxer Ali Garwe (31) einen liebevollen und unterstützenden Partner gefunden. Gemeinsam bauen sie an ihren Träumen – etwa an der Eröffnung einer Tagesmütter-Kita in Romanshorn ab Januar 2025. Sie sagt: «Ali hat mir gezeigt, dass es auch tolle Männer gibt. Er ist mein Retter und der beste Papa auf der Welt.»

Doch noch jetzt überschattet ihr Ex Mehdi N. das Leben von Zainab Z.: Weil er eine Scheidung nicht akzeptiert, sind die beiden weiterhin verheiratet. Eine Heirat mit ihrem Traumprinzen bleibt ihr deshalb noch verwehrt.

Z. gibt zu: «Obwohl ich in der Schweiz selbst muslimisch aufgewachsen bin, wusste ich nicht, mit welcher Härte die Scharia im Libanon geführt wird und welche Auswirkungen eine solche Ehe auf meine Rechte haben kann.» Es sei ihr ein Anliegen, ihre Erfahrungen zu teilen, «um andere Menschen zu warnen und zu schützen». Ihr Rat: «Informiert euch und haltet den Kontakt zu euren Liebsten aufrecht. Sie sind euer Auffangnetz in schwierigen Zeiten.»

* Name geändert

** Name der Redaktion bekannt

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