Christliche Vereinigung lockt mit fragwürdigen Methoden
Esoterische «Krebs-Therapie» im Thurgau schockt Patientinnen

Pseudowissenschaft und Krebs ist eine gefährliche Kombination. Doch genau das erlebten Patientinnen eines Kurhauses am Bodensee. Was sie nicht wussten: Hinter dem Gesundheitszentrum steckt die christlich-esoterische St. Michaelsvereinigung.
Publiziert: 28.09.2023 um 15:58 Uhr

Eine Kur im Gesundheitszentrum Sokrates in Güttingen TG entpuppt sich für einige Patientinnen als Enttäuschung. Statt Ruhe und Erholung bekommen sie zu hören, selbst an den körperlichen Leiden schuld zu sein.

So erging es auch einer Frau, die nach ihrer Krebsbehandlung im Kurzentrum weilte. Die Patientin hatte nach ihrer ersten Diagnose einen Rückfall erlitten. Dieser Umstand machte ihr deshalb sehr zu schaffen, weil sie unerklärbare Schuldgefühle plagten. «Ich hoffte, in der Klinik von diesen Gefühlen entlastet zu werden. Stattdessen tut das Zentrum alles, um solche Gefühle zu nähren», erzählt sie der «WOZ»

«Tumor also selbst ‹gemacht›?›»

Denn im Sokrates stehen neben Spaziergängen mit Alpakas oder Physiotherapien auch sogenannte «Gesundheitstrainings» auf dem Programm. Der leitende Arzt hatte den Teilnehmern Youtube-Videos des Parawissenschaftlers Masaru Emoto (1943 – 2014) gezeigt. Der Japaner gilt als Star in der Esoterikszene. Seine Behauptung: Worte und Gedanken würden sich auf Wasser übertragen und dieses verformen.

Im Gesundheitszentrum Sokrates werden pseudowissenschaftliche Theorien verbreitet.
Foto: Klinik Sokrates
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Der Arzt im Thurgau erzählte dann den Patienten, dass dasselbe auch für die menschlichen Zellen gelte – die Gedanken würden sie beeinflussen. Im Klartext: Die Patienten würden ihre Krankheit quasi selber erschaffen. «Einer zum Beispiel habe wegen Stress eine Nierenkolik ‹gemacht›, ein anderer wegen falscher Lebensführung ein Magengeschwür. Ich habe den Arzt dann gefragt: ‹Dann habe ich meinen Tumor also auch ‹gemacht›?› Er antwortete schlicht mit Ja», erzählt die Frau. Schockiert sei sie weggerannt. In der «WOZ» kommen noch weitere Kur-Besucherinnen zu Wort, die die gleichen negativen Erfahrungen gemacht hatten. «Reiner Schrott» sei das.

«Christliche Klinik für Naturmedizin»

Später findet die Patientin, die sich anhören musste, ihren Tumor selbst «gemacht» zu haben, heraus, dass Sokrates zur christlich-esoterischen Gruppierung St. Michaelsvereinigung gehört. Gegründet wurde diese von Paul Kuhn, der 1998 prophezeit hatte, dass ein Ufo seine Kirchenmitglieder abholen würde.

Im selben Jahr gründete die Vereinigung die Stiftung Sokrates für Bildung und Erziehung. Die Idee dahinter: Eine «christlichen Klinik für Patienten mit schweren Krankheiten zu bauen, in der Naturmedizin durch Forschung und Entwicklung gefördert» wird. Einige Jahre später öffnete das Gesundheitszentrum Sokrates in Güttingen seine Türen.

Doch auf der Homepage wird der Bezug zur Vereinigung nicht erwähnt. Geschäftsführer Guido Schaub erklärt dies in der «WOZ» damit, dass das Zentrum zwar zum grossen Teil der Stiftung gehöre, aber dennoch eine unabhängige Aktiengesellschaft sei. Diese Unabhängigkeit lässt sich jedoch anzweifeln. Denn alle Mitglieder der Geschäftsleitung sind Mitglieder der St. Michaelsvereinigung, darunter auch der leitende Arzt.

Krebsliga bewirbt die Organisation

Schaub sieht kein Problem darin, Esoterik bei Krebspatienten anzuwenden. «Die Krankheit ist lediglich ein Widerschein der ins Ungleichgewicht geratenen Lebenskraft.»

Und so finden sich auf der Angebotsliste der Kurklinik «komplementäre onkologische Therapien». Im Beschrieb steht: «Falls Sie für den Moment eine konventionelle schulmedizinische Therapie ablehnen oder sich (…) durch integrative Medizin begleiten und stärken lassen möchten».

Dass es für Patienten und Patientinnen offenbar schwierig ist, die Seriosität des Zentrums richtig einzuschätzen, liegt wohl auch daran, dass Sokrates auf der Webseite des Verbands Heilbäder und Kurhäuser Schweiz zu finden ist. Sogar die Krebsliga Schweiz bewirbt die ambulanten Angebote. Anna Zahno, die Leiterin des Krebstelefons der Organisation sagt zur «WOZ»: «Sollte sich bestätigen, dass das Sokrates Krebsbetroffenen auf pseudowissenschaftlichen Grundlagen erzählt, dass sie die Krankheit mit verändertem Bewusstsein besiegen können, fänden wir das sehr bedenklich.»

Der leitende Arzt, der bei den «Gesundheitstrainings» Emotos Theorien verbreitete, steht dagegen weiter zum Konzept, wie er der «WOZ» sagt. «Im medizinischen Umgangston spricht man oftmals davon, dass ein Patient einen Herzinfarkt, ein Magengeschwür oder einen Hautausschlag ‹macht›. In diesem Sinne habe ich auch diesen Ausdruck benutzt. Es gibt eigentlich keine Krankheit ohne seelische Belastungen, abgesehen von Vergiftungen oder externen Schädigungen.» Er beteuert jedoch, dass im Zentrum keine Heilungsversprechen gemacht und keine Patienten aufgenommen würden, die eine dringend angeratene Chemotherapie oder OP verweigerten. (man)

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