Ralph Schmid erhält Award für Lebensgeschichten
Seine Mutter steckte ihm Opioide zu

Ralph Schmid ist ein Narzisst. Und lebte unzählige Leben in einem. Am Anfang von all dem stand eine schreckliche Kindheit. Seine Geschichte hat er in einer Autobiografie verarbeitet. Dafür erhält er nun einen Award.
Publiziert: 29.01.2024 um 17:29 Uhr
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Aktualisiert: 30.01.2024 um 08:50 Uhr
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Rebecca WyssRedaktorin Gesellschaft / Magazin

Vor noch gar nicht so langer Zeit glaubte Ralph Schmid (60): Jetzt ist fertig. Freundin weg. Bester Freund weg. Familie kaputt. Die kleine Wohnung in Gersau SZ verkam zum dunklen Loch, aus dem er nicht mehr herausfand. Er dachte an Suizid und dann aber auch wieder an etwas anderes: ans Wiederaufstehen. Er setzte sich an seinen Schreibtisch, fing an zu schreiben, bis er ganz ausgeschrieben war. Er sagt: «Ich war wie im Tunnel.» Ein seltenes Glück. Genauso wie das, was aus dieser Lebensgeschichte geworden ist.

Schmid hat gerade den Autobiografie-Award der Plattform Meet my Life erhalten. Für sein Skript «Narzissmo! Das Leben eines Narzissten». Darin erzählt er ungeschönt und mit trockenem Humor, wie er sich trotz kaputter Kindheit durchs Leben schlägt und von Fiasko zu Fiasko hangelt. Der Text lebt von einer kernigen Sprache: «Einmal hatte so ein Idiot ins Becken geschissen, und Tarzan, der Bademeister, musste tauchen und die Wurst mit einem Netz hochholen. Da hat er schon ein wenig sein Gesicht verloren.»

Onlineplattform für Lebensgeschichten

Die Onlineplattform Meet my Life ermöglicht, das eigene Leben für alle im Netz ersichtlich aufzuschreiben. Kapitel um Kapitel wird man dort mithilfe von 500 Fragen, die beim Erinnern helfen, durch sein eigenes Leben geführt. Dieses Jahr verleiht die Plattform ihren Autobiografie-Award zum siebten Mal. Unterstützt wird sie dabei vom Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft (ISEK) der Universität Zürich.

Die Onlineplattform Meet my Life ermöglicht, das eigene Leben für alle im Netz ersichtlich aufzuschreiben. Kapitel um Kapitel wird man dort mithilfe von 500 Fragen, die beim Erinnern helfen, durch sein eigenes Leben geführt. Dieses Jahr verleiht die Plattform ihren Autobiografie-Award zum siebten Mal. Unterstützt wird sie dabei vom Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft (ISEK) der Universität Zürich.

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Er ist mehr als seine Diagnose

Ralph Schmid liebt die grosse Bühne und wunderte sich mit 40 Jahren noch darüber, dass ihn, den «grossartigen» Musiker und Künstler, noch niemand entdeckt hat. Er hat eine narzisstische Persönlichkeitsstörung und ist in Behandlung. Doch sind er und sein Text viel mehr als die Diagnose.

Ralph Schmid hangelt sich in seiner Autobiografie von Abenteuer zu Abenteuer. Viele Szenen sind witzig, manche tief traurig. Das Schreiben gab ihm Halt, sagt Schmid: «Ich war wie im Tunnel.»
Foto: Linda Käsbohrer
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Wir sitzen in seiner bis zur Decke zugestellten Wohnung. Im Wohnzimmer steht ein Elektroschlagzeug, auf dem Schreibtisch ein Synthesizer, auf dem Fernsehschirm flimmert ein Kunst-Video mit animierten Knetfiguren von ihm und an den Wänden hängen Zeichnungen und Fotos. Auf einem steht Schmid neben dem Künstler Hans Rudolf Giger (1940–2014). «Das war kurz vor seinem Tod», sagt er und fährt mit einem Finger über das leicht verblichene Bild. «Mit Hansruedi konnte man gut schnorren und lachen.» Wie sie sich kennenlernten? Schmid sprach den Künstler vor Jahren spontan an, als dieser gerade aus einer Apotheke in Zürich kam. «Ich konnte immer gut auf Leute zugehen», sagt er.

Schmid hat viele Leben in einem gelebt. Vielleicht gerade wegen seiner Diagnose: Er traute sich alles zu. Er war Kellner, Schlagzeuger in einer Band, DJ, Hauswart, Altenpfleger, Filmstatist, Journalist, Nachtportier, Guggenmusiklehrer, Hundeausführer, Lieferant, Tarotkartenleger, treuer Freund, vierfacher Katzenvater, zweimal war er für längere Zeit in der Psychiatrie, achtmal in Las Vegas – und er verarbeitet alles, was ihm in die Finger kommt, zu Kunst. Schmid ist ein Getriebener. Und das hat mit seiner Kindheit in Cham ZG und Rotkreuz ZG zu tun. Mit seinen Eltern. «Die zwei Tuble», sagt er und lacht so tief in den Brustkorb hinein, dass man Angst bekommt, das Lachen bleibe ihm im Hals stecken.

Ein neues Kapitel

Am meisten beschäftigt ihn bis heute die Mutter. Sie missbrauchte und manipulierte ihn – und hasste jede Frau, die er liebte. «Ein böser Cheib», sagt Schmid. Als er mit 27 Jahren seine erste Freundin nach Hause brachte, legte die Mutter ihre eigene gebrauchte Unterhose auf sein Bett. In der Autobiografie heisst es: Sie habe zeigen wollen, wer der sexuelle Chef im Haus war. Die Reaktion des Vaters: «Das sind Revierkämpfe, Ralphli!» Ähnlich lief es bei jeder Frau, auch der Freundin des Bruders. Als sie zu Besuch kam, lief die Mutter oben ohne herum, weil sie demonstrieren wollte, dass sie die grösseren Brüste hatte, schreibt Schmid.

Die Mutter fütterte auch seine Sucht. Wenn er kam, steckte sie ihm immer opioidhaltige Schmerzmittel und sagte: «Du siehst wieder schlimm aus, komm, nimm etwas.» Mit der Mutter brach er vor vier Jahren. Der Kampf gegen die Sucht bleibt. Mittlerweile lebt er von einer halben IV-Rente. Doch er sagt: «Ich hatte es noch nie so gut mit mir wie jetzt.»

Mit seiner Autobiografie schlägt Ralph Schmid ein neues Kapitel auf. Jetzt fehlt nur noch etwas zum ganz grossen Glück, sagt Schmid: «Es wäre schön, wenn daraus ein Buch wird.» Dafür müsste sich ein Verlag finden.

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