Nach Missbrauchs-Studie
Bischöfe brechen ihr Schweigen

Nach den aufgedeckten sexuellen Missbräuchen in der katholischen Kirche in der Schweiz brechen die Bischöfe ihr Schweigen. Manche wollen die Vergangenheit jetzt aufarbeiten. Der Westschweizer Bischof Charles Morerod zieht sogar einen Rücktritt in Betracht.
Publiziert: 14.09.2023 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2023 um 13:28 Uhr

Die Ergebnisse einer Studie der Uni Zürich zu sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche schockierten die Schweiz. Konkret werden Vorwürfe gegen sechs Bischöfe erhoben. Der Fall sorgt für Entsetzen – und bringt die Bischöfe in Zugzwang. Mehrere haben sich geäussert.

Die Schweizer Bischofskonferenz hatte am Sonntag bekannt gegeben, dass sie am 23. Juni die Einleitung einer Voruntersuchung aufgrund von Vorwürfen der Vertuschung von sexuellem Missbrauch angeordnet hatte. In einem Brief seien Anschuldigungen gegen mehrere emeritierte und amtierende Mitglieder der Schweizer Bischofskonferenz sowie andere Geistliche im Umgang mit Fällen von sexuellem Missbrauch erhoben worden.

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Bischof von Lausanne, Genf und Freiburg schliesst Rücktritt nicht aus

Charles Morerod hat die Studie der Universität Zürich über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche am Mittwoch als «erschütternd» bezeichnet. Der Bischof von Genf, Lausanne, Freiburg und Neuenburg hat den Rücktritt von seinem Amt nicht ausgeschlossen. Sollte er feststellen, dass er grosse Fehler gemacht habe, sei es besser zu gehen, sagte er. Der Freiburger wollte sich im am Donnerstag publizierten Interview mit «Arcinfo» nicht zu den konkreten Vorwürfen gegen ihn äussern. Denn eine Untersuchung sei im Gange. 

Der Bischof von Lausanne, Genf und Freiburg, Charles Morerod, bezeichnet den Bericht über die Missbräuche in der katholischen Kirche in der Schweiz als erschütternd (Archivbild)
Foto: JEAN-CHRISTOPHE BOTT
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Zwischen 2012 und 2016 gab es laut der Studie in der Diözese von Morerod keine Fachstelle für Fragen rund um sexuellen Missbrauch. Die zuständige Kommission sei «insbesondere auf Wunsch einiger Opfer» nicht erneuert worden, sagte Morerod darauf angesprochen. «Ich wollte dann eine neue Westschweizer Kommission bilden», sagte er. Dies habe aber nicht funktioniert. Der Bischof empfing die Betroffenen also persönlich: «Es war sehr selten, dass ich selbst die Untersuchungen durchführte.» Denn er habe die Fälle selbst gemeldet. Über die Zeit ohne Anlaufstelle zeigte er sich «überhaupt nicht glücklich».

Morerod ging auch auf die Missbrauchsfälle von fünf Priestern in seiner Diözese ein. Sie standen 2020 unter Verdacht, pädophile Handlungen begangen zu haben. In zwei Fällen sei die Justiz zum Schluss gekommen, dass es keinen Grund für eine Strafverfolgung gab, sagte er. «In den problematischsten Fällen kann ich einem Priester sein Amt entziehen oder ihn in seinem Wirkungsbereich stark einschränken», sagte Morerod. Das seien Massnahmen, die er nach eigenen Angaben relativ kürzlich ergriffen habe.

In einer am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme betonte er ausserdem, dass sich die Diözese für einen Kulturwandel einsetze. Diese umfassen vor allem neue institutionelle Strukturen für die Meldung von Fällen, eine psychologische Kontrolle der Priester- und Weihekandidaten, die Professionalisierung der Personalressourcen und ein absolutes Verbot der Vernichtung von Dokumenten, die mit Missbrauch in Verbindung stehen. 

St. Galler Bischof entschuldigt sich

Der St. Galler Bischof Markus Büchel hat am Mittwoch auf Ergebnisse der Studie über den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche reagiert. «Ich habe einen grossen Fehler gemacht», sagte er vor Journalisten. Gegen einen Pfarrer wurde eine Strafanzeige eingereicht. Bischof Büchel hat sich zu den beiden St. Galler Fällen geäussert, die in der am Dienstag veröffentlichten Pilotstudie der Uni Zürich vorkommen. Darin geht es zum einen um massive Übergriffe in einem Kinderheim in Lütisburg. Dort gab es zwischen 1978 und 1988 massive sexuelle Übergriffe und Gewalt, die einem Priester, der als Direktor amtete, aber auch Menzinger Schwestern vorgeworfen werden.

Bistum Lugano gelobt Besserung

Es sei für das Bistum Lugano TI unmöglich, die Schuld in dieser Sache nicht anzuerkennen, sagte der apostolische Administrator des Bistums Lugano, Alain de Raemy, am Mittwoch vor den Medien. Er stellte eine «definitive Veränderung» in Aussicht. Es brauche Gerechtigkeit für die Opfer. Als konkrete Verbesserung stellte de Raemy die Schaffung einer unabhängigen Meldestelle für sexuelle Übergriffe in Aussicht. Die heute bestehende Kommission für solche Fälle ist Teil des Bistums Lugano selbst und dürfte daher für viele Opfer keine wirklich unabhängige Anlaufstelle darstellen.

Die Missbrauchsfälle sind im Bistum Lugano äusserst schlecht dokumentiert, wie der Bericht der Universität Zürich festhält. Demnach sind in den 1990er-Jahren zahlreiche Dokumente vernichtet worden. Zudem sei das historische Archiv des Bistums während vieler Jahre von «archivarisch ungeschultem Personal» geführt worden. Die Verantwortlichen anerkannten vor den Medien die durch den Bericht dokumentierte Vernichtung von Unterlagen. Jedoch seien in den letzten 20 Jahren im Bistum Lugano keine Dokumente mehr zerstört worden. 

Bischof von Sitten bestreitet Vorwürfe

Der Bischof von Sitten VS, Jean-Marie Lovey, würde zurücktreten, falls die Untersuchung über sexuellen Missbrauch und dessen Vertuschung ihn belasten sollte. Das sagte er am Mittwoch an einer Medienkonferenz in Sitten. Bischof Lovey bestritt jegliche Kenntnis und Vertuschung der Vorfälle. «Ich habe kein Dokument aus diesem Bereich in den Archiven vernichtet», versicherte er. Der Bischof von Sitten sprach von insgesamt 19 Fällen von sexuellem Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche im Wallis seit 2015. Ein Fall betreffe einen inkardinierten Priester. (SDA)

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