Das sind die gefährlichsten Berge der Welt
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Immer wieder Tote:Das sind die gefährlichsten Berge der Welt

«Sie wollen sich keine Blösse geben»
Rentner sterben beim Wandern am häufigsten

In diesem Jahr starben bereits 40 Bergwanderer. Drei Viertel aller Bergtoten sind Männer, 40 Prozent über 65. Wie die meisten Unfälle zu vermeiden wären.
Publiziert: 06.08.2023 um 13:42 Uhr
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Aktualisiert: 06.08.2023 um 13:51 Uhr
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Lisa AeschlimannReporterin & Blattmacherin

Am Montagmorgen erreicht die Kantonspolizei Bern eine Meldung: Ein 72-jähriger Berggänger werde vermisst. Der Rentner war alleine vom Berghaus Oberaar hinauf zum Vorderen Zinggenstock unterwegs. Auf einem Pfad, der über grobes Geröll und steiles Gras führt. Nach zehn Stunden Suche findet ihn die Rega – kann ihn aber nur noch tot bergen. Laut Polizei stürzte er aus unbekannten Gründen im weglosen Gelände.

Tödliche Wanderunfälle auf dem Vormarsch

In den vergangenen Tagen häuften sich Meldungen von tödlichen Bergunfällen – am letzten Wochenende verloren acht Menschen ihr Leben in den Bergen. Ein trauriger Trend: Tödliche Unfälle am Berg nehmen zu. Seit Jahresbeginn verloren 40 Wanderer ihr Leben, wie Polizeimeldungen zeigen. Damit dürfte der langjährige Schnitt von 42 tödlichen Wanderunfällen 2023 erneut übertroffen werden.

Auch die Anzahl verletzter Wanderer nimmt stetig zu. Gab es gemäss der schweizerischen Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU) 2005 erst knapp 18'000 Verletzte, waren es 2019 mit mehr als 38 000 Verletzten bereits über doppelt so viele. Von ihnen verletzten sich ungefähr 5000 Menschen schwer oder mittelschwer.

Der Aufstieg zum Grossen Mythen ist exponiert und erfordert Trittsicherheit. Erst diesen Montag stürzte hier eine 56-jährige Frau in den Tod.
Foto: Keystone
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Hauptursache: Selbstüberschätzung

Klar ist: Immer mehr Menschen sind in den Bergen unterwegs. Und wo mehr Menschen sind, passiert auch mehr. Häufig jedoch handelt es sich um Unfälle, die vermeidbar wären. Gemäss einer BfU-Erhebung ist Selbstüberschätzung eine der Hauptursachen.

Monique Walter, Beraterin für Sport und Bewegung bei der BfU, sagt: «In gewissen Köpfen ist noch immer verankert: Wandern, das kann man einfach, wenn man in der Schweiz geboren ist.» Häufig fehle es am Bewusstsein, dass Wandern kein Spaziergang sei, sondern eine Sportart. «Man kann nicht einfach draufloslaufen.»

25% ungenügend vorbereitet

Einfach draufloslaufen – genau das tun viele. Knapp die Hälfte der Bevölkerung kennt den Unterschied zwischen den gelben und weiss-rot-weissen Spitzen auf den Wegweisern nicht. Während gelb-markierte Wanderwege allgemein zugänglich sind und keine besondere Fitness erfordern, sind die sogenannten Bergwanderwege überwiegend steil, schmal und oft auch exponiert. Benützer von Bergwanderwegen sollten trittsicher, schwindelfrei und fit sein.

Die allermeisten Unfälle geschehen auf Bergwanderwegen. Gemäss BfU ist jede und jeder Vierte auf einer Bergwanderung ungenügend vorbereitet, hat sich also nicht über Länge, Wetterverhältnisse oder Wegschwierigkeiten informiert. Jeder Fünfte sagt von sich selbst, er oder sie sei nicht trittsicher.

Letztes Jahr beispielsweise löste ein Youtuber, der in Flipflops und Shorts aufs 3600 Meter hohe Barrhorn stieg und fast verunglückte, einen Shitstorm aus. Sein Begleiter musste ihm beim Abstieg zu Hilfe eilen.

Todesursache: Stolz

Leute in Flipflops seien jedoch nicht das Hauptproblem, sagt Walter. «Der Grossteil hat gute Schuhe.» Geht man nach den Zahlen, sticht eine Risikogruppe besonders heraus: die älteren Männer. Drei Viertel aller getöteten Wanderer sind Männer, 40 Prozent sind älter als 65 Jahre. «Männer überfordern sich tendenziell eher als Frauen», sagt Walter. Frauen seien vorsichtiger und würden sich selbst ehrlicher einschätzen.

Besonders älter werdende Männer hätten manchmal Mühe damit, zu akzeptieren, dass sie nicht mehr so fit seien wie früher, sagt Walter. Vielfach spielt auch Stolz eine Rolle: «Sie gehen mit Kollegen wandern, so wie sie es immer gemacht haben und merken zwar, dass sie an ihre Grenzen kommen, wollen sich aber keine Blösse geben.»

Ende Juni starb ein 77-jähriger Rentner bei einer Gruppenwanderung zum Hohen Kasten. Gemäss Polizeimeldung brach er beim Glogger plötzlich zusammen und stürzte rund sieben Meter den Hang hinunter.

Wanderweg der Fitness anpassen

Die meisten tödliche Unfälle ereignen sich im Alpstein, am Pilatus und im Mythengebirge. Am Donnerstagmorgen, dem 27. Juli, beispielsweise beginnt eine 56-Jährige mit ihrer Begleitung den Abstieg vom Grossen Mythen. Es ist noch kühl, die Sonne eben erst aufgegangen. Vom Serpentinenweg mit 47 Kehren sehen die beiden die Glarner und Urner Alpen, den Vierwaldstättersee und bis hinunter ins Unterland. Der Weg ist steil und exponiert. Kurz nach dem Steinbänkli passiert es: Die Frau kommt vom Weg ab und stürzt 450 Meter in die Tiefe. Sie ist sofort tot.

Allein im Alpstein starben in den letzten zehn Jahren mindestens 33 Wanderer, wie eine Auswertung von Tamedia ergab. Nachdem 2022 in kurzer Zeit gleich fünf Personen beim Aescher in den Tod gestürzt waren, kam Kritik auf, der Weg sei zu gefährlich. Nun steht vor dem Abstieg zum Seealpsee ein Warnschild. Mehrsprachig und mit Piktogrammen weist es auf Risiken hin. Seither gab es dort keine tödlichen Unfälle mehr.

Walter rät, bei nachlassender Fitness gelbe Wanderwege zu wählen. Den Aescher oder Pilatus könne man auch entdecken, ohne sich in Gefahr zu bringen. «Es gibt schöne Alternativrouten.» Statt des steilen Abstiegs zum Seealpsee, könne man den Rundweg von der Ebenalp aus in Angriff nehmen. Und auf den Pilatus gelange man auch von Alpnachstad OW – gleich anstrengend, aber weniger exponiert als die Route über die Mittelstation Fräkmüntegg.

Klima beeinflusst Wanderwege

Nicht immer ist es Selbstüberschätzung oder mangelnde Aufmerksamkeit, die zu Unfällen führt. In Baltschieder VS beispielsweise starb am Montag ein 19-jähriger Bergsteiger. Er befand sich auf dem Abstieg vom Stockhorn, als er ausrutschte und von einem Felsbrocken getroffen wurde. Auch die Gefahr von Steinschlägen hat sich in den letzten Jahren erhöht. Grund ist der Klimawandel: Die Gletscher ziehen sich zurück, der Permafrost schmilzt, die Felsen bröckeln.

Erste Vorboten sind bereits erkennbar: Wegen wiederholter Felsstürze musste 2018 beispielsweise das Gebiet beim Ochsenstock GL gesperrt werden. Gemäss einer Untersuchung des Schweizer Alpen-Clubs ist heute jeder fünfte Hüttenzugang durch Witterungs- und Klimaeinflüsse gefährdet.

Walter geht davon aus, dass Wanderwege in Zukunft öfter gesperrt oder umgeleitet werden müssen: «Der auftauende Permafrost wird unsere Wanderwegorganisationen in Zukunft stärker beschäftigten», sagt sie.

3 Tipps für sicheres Wandern
  • Vorbereitung: Informieren Sie sich vorher über Länge (insbesondere Höhenmeter), Schwierigkeit und Dauer der Route sowie übers Wetter. Meiden Sie exponierte Routen, wenn Sie sich nicht sicher fühlen. Nutzen Sie Apps wie Schweizmobil, Swisstopo oder Komoot.
  • Ausrüstung: Feste Wanderschuhe mit griffigem Profil, warme, wetterfeste Kleider, Sonnenschutz, genügend Proviant, Notfallapotheke. Laden Sie Ihr Handy auf. Wandern Sie alleine, informieren Sie Dritte über Ihren Plan.
  • Aufmerksamkeit: Planen Sie Pausen ein, trinken Sie genügend. Die meisten Unfälle geschehen beim Abstieg. Lassen Sie sich Zeit. Kürzen Sie ab oder planen Sie eine Alternativroute, wenn es nicht mehr geht.
  • Vorbereitung: Informieren Sie sich vorher über Länge (insbesondere Höhenmeter), Schwierigkeit und Dauer der Route sowie übers Wetter. Meiden Sie exponierte Routen, wenn Sie sich nicht sicher fühlen. Nutzen Sie Apps wie Schweizmobil, Swisstopo oder Komoot.
  • Ausrüstung: Feste Wanderschuhe mit griffigem Profil, warme, wetterfeste Kleider, Sonnenschutz, genügend Proviant, Notfallapotheke. Laden Sie Ihr Handy auf. Wandern Sie alleine, informieren Sie Dritte über Ihren Plan.
  • Aufmerksamkeit: Planen Sie Pausen ein, trinken Sie genügend. Die meisten Unfälle geschehen beim Abstieg. Lassen Sie sich Zeit. Kürzen Sie ab oder planen Sie eine Alternativroute, wenn es nicht mehr geht.
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