So befördern Raiffeisen, Postfinance & Co. den Börsenboom
Kleinsparer werden zum Anlegen verführt

Das Sparkonto rentiert nicht mehr – auch nicht für Banken. Die Finanzinstitute setzen deshalb alles daran, ihre Kunden für Aktienfonds zu begeistern. Das treibt die Kurse zusätzlich nach oben.
Publiziert: 20.06.2021 um 20:35 Uhr
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Aktualisiert: 20.06.2021 um 20:50 Uhr
Die Börse boomt. Der Swiss Market Index (SMI) erreichte diese Woche erstmals die Marke von 12 000 Punkten. Damit sind die 20 grössten Aktiengesellschaften der Schweiz wieder deutlich mehr wert als vor Beginn der Corona-Krise.
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Thomas Schlittler

Die Börse boomt. Der Swiss Market Index (SMI) erreichte diese Woche erstmals die Marke von 12 000 Punkten. Damit sind die 20 grössten Aktiengesellschaften der Schweiz wieder deutlich mehr wert als vor Beginn der Corona-Krise.

Wichtiger Treiber der Börsenhausse sind vielversprechende Prognosen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet damit, dass die Weltwirtschaft dieses Jahr um sechs Prozent zulegen wird. Für die Schweiz sieht der Bund ein Wachstum von 3,6 Prozent voraus – der Einbruch von 2020 (minus 2,9 Prozent) wäre damit mehr als wettgemacht. Kurz: Die Wirtschaft lässt die Pandemie schneller hinter sich als erwartet.

Noch bedeutender für die Börsenparty ist das nach wie vor historisch niedrige Zinsniveau. Institutionelle Anleger wie Pensionskassen und Versicherungen setzen mehr denn je auf Immobilien und Aktien, um eine anständige Rendite zu erzielen – und jagen damit Preise und Kurse weiter in die Höhe.

Doch nicht nur grosse Fische haben die Börse entdeckt. Weil das Sparkonto keine Erträge mehr abwirft, werden immer mehr Kleinsparer zu Anlegern und investieren ihr Geld fleissig in Wertpapiere. 08/15-Bankkunden, die ein paar Tausend Franken auf der hohen Kante haben, stellen sich allerdings nicht immer aus eigenem Antrieb um. Viele werden praktisch von ihrer Bank dazu verführt, ihr Glück an der Börse zu suchen.

Banken drängen Kunden zum Anlegen

Grosse Finanzinstitute wie Credit Suisse (CS), Postfinance, Raiffeisen und Zürcher Kantonalbank (ZKB) rufen ihre Kunden aktiv dazu auf, ihr Geld anzulegen, statt zu sparen. Insbesondere Anlagefonds versuchen sie den Kunden schmackhaft zu machen.

«Geld anlegen ohne Doktortitel? Klar geht das», propagiert die CS. «Anlegen ist das neue Sparen», lautet der Slogan der ZKB. Die Botschaft der Postfinance klingt fast genau gleich: «Statt sparen clever anlegen.» Raiffeisen wiederum lässt in einem Kundenprospekt den hauseigenen Wirtschaftspsychologen zu Wort kommen, der verkündet: «Anlegen ist keine Hexerei.»

Die Kernaussage all dieser Marketingmassnahmen: Anlegen ist einfach und birgt kaum Gefahren. Es wäre also töricht, diese lukrative Möglichkeit nicht für sich zu nutzen.

Unter gewissen Umständen – langer Anlagehorizont, breite Diversifikation – mag dies nicht ganz falsch sein. Eines verschweigen die Banken allerdings: Dass sie ihre Kunden zum Anlegen animieren, erfolgt nicht ganz uneigennützig.

Das traditionelle Sparkonto ist nämlich nicht nur für die Kunden zum Ärgernis geworden, sondern auch für die Banken selbst.

Banken wollen das Geld nicht mehr

Es klingt verrückt, aber seitdem die Nationalbank Negativzinsen einführte, zeigen die Banken teilweise gar kein Interesse mehr an Geldern, die einfach auf einem Sparkonto dahinvegetieren. Für einige Geldhäuser ist das unter Umständen sogar ein Verlustgeschäft.

Paradebeispiel: die Postfinance. Die Staatstochter mit 2,7 Millionen Kundinnen und Kunden darf weder Kredite an KMU noch Hypotheken an Private vergeben. Um Geld zu verdienen, muss sie die Kundengelder deshalb in sicheren Anleihen anlegen – doch die werfen keine Erträge mehr ab.

Konsequenz: Die Postfinance macht ihre Sparkonten unattraktiv. Gebühren werden erhöht, Kunden müssen bereits ab 100 000 Franken Negativzinsen zahlen. Gleichzeitig werden die Kunden dazu ermuntert, ein Wertschriftendepot zu eröffnen und in Fonds zu investieren. So kann die Postfinance über Kommissionserträge zumindest einen Teil des verloren gegangenen Zinsdifferenzgeschäfts kompensieren.

Die Strategie scheint zu fruchten. Im Geschäftsbericht 2020 stellte Postfinance befriedigt fest, dass «zunehmend eine Verlagerung von Post- und Sparkonten in Anlageprodukte wie Fonds und Wertschriftenanlagen zu verzeichnen ist.»

Bei anderen Banken ist der Anpassungsdruck nicht ganz so hart. Aber auch dort will man in Zukunft vermehrt vom Wertschriftengeschäft profitieren. So freut sich etwa die Raiffeisen-Gruppe in ihrem jüngsten Geschäftsbericht über «markante Fortschritte» im Bereich Vorsorge und Anlegen. Dieses Geschäft werde auch 2021 «weiter vorangetrieben».

Werden Anleger ausreichend gewarnt?

Doch verleiten die aggressiven Werbekampagnen unter Umständen Menschen dazu, Risiken einzugehen, die sie nicht eingehen sollten?

Bekommen die Gefahren, welche die Börse (neben vielen Chancen) eben auch bietet, in den Prospekten vielleicht zu wenig Platz?

Die Banken winken ab. «Damit sich jede Anlegerin der Chancen und Gefahren der Finanzmärkte bewusst ist, schauen wir unter anderem ihr Gesamtvermögen, ihre finanziellen Verpflichtungen, ihre jährliche Sparquote und ihre finanziellen Ziele vertieft an und bestimmen auf Basis dieser Analyse ihre optimale Vermögensaufteilung», sagt Daniel Mewes, Chief Investment Officer der Postfinance.

Matthias Geissbühler von Raiffeisen beteuert, dass in der Beratung und Kommunikation der Anlagepolitik immer darauf hingewiesen werde, dass eine höhere Rendite auch höhere Risiken bedeute. Der Chief Investment Officer: «Risikolos gibt es in der Schweiz derzeit minus 0,75 Prozent Zins. Alles, was darüber liegt ist zwangsläufig mit Schwankungen und Risiken verbunden.»

Die Pointe von alldem: Dass alle grossen Schweizer Finanzinstitute ihre Kunden dazu animieren, ihr Geld vermehrt in Aktienfonds zu investieren, befördert den Swiss Market Index zusätzlich.

Im besten Fall wird das Versprechen steigender Kursen damit zur selbst erfüllenden Prophezeiung.


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