Virus breiten sich rasant aus
Affenpocken sind weiter auf dem Vormarsch

Knapp 400 Menschen haben sich in den letzten drei Monaten in der Schweiz mit den Affenpocken angesteckt. Was bedeutet das Virus für uns und wie kann man sich vor ihm schützen? Blick beantwortet die wichtigsten Fragen.
Publiziert: 19.08.2022 um 16:01 Uhr
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Aktualisiert: 19.08.2022 um 17:32 Uhr
Anastasia Mamonova und Lea Hartmann

1. Wie ist der Stand der Dinge in der Schweiz?

In der Schweiz sind seit dem 19. Mai bis Mittwoch 392 Ansteckungen mit den Affenpocken gemeldet worden, laut «SRF» kommen wöchentlich rund 50 Fälle dazu. Weltweit sind wir auf Rang 6, gemessen an der Anzahl Fälle pro Million Einwohner.

Todesfälle wurden hierzulande keine registriert. Innerhalb der Schweiz sind Genf, Basel-Stadt und Zürich besonders stark betroffen.

2. Müssen wir uns jetzt Sorgen machen?

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) schreibt auf seiner Seite: «Zurzeit gehen wir weiterhin von einer mässigen Gefahr für die Bevölkerung aus, obwohl auch in der Schweiz die Affenpockeninfektionen leicht zunehmen.»

In der Schweiz steigen die Ansteckungen mit dem Affenpocken-Virus.
Foto: Shutterstock
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Auch Dominique Braun, Infektiologe am Universitätsspital Zürich, sieht keinen Grund zur Sorge. «Momentan konzentriert sich die Verbreitung der Affenpocken auf die Gruppe der Männer, die Sex mit Männern (MSM) haben. Die breite Bevölkerung muss sich keine Sorgen machen», sagt er zu Blick. Gleichzeitig betont er: «In der MSM-Gruppe besteht insbesondere bei Sex mit verschiedenen oder anonymen Partnern ein relevantes Ansteckungsrisiko.»

3. Sind auch Fälle ausserhalb der MSM-Gruppe in der Schweiz dokumentiert?

«In der Schweiz gibt es Einzelfälle von positiv getesteten Personen, bei denen es sich nicht um Mitglieder der MSM-Gruppe handelt», bestätigt Braun.

Ein Blick in die Statistik des Bundesamts für Gesundheit (BAG) zeigt einen äusserst kleinen Prozentanteil von Frauen an – in den Altersklassen 30 bis 39 und 40 bis 49.

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4. Warum breitet sich die Krankheit gerade in der queeren Community so rasant aus?

Dominique Braun stellt zu Beginn klar: Die Virusausbreitung in der MSM-Gruppe habe nichts mit der biologischen Eigenschaft des Virus zu tun, dass er sich diese Menschen aussucht. «Es geht viel mehr um das Sexualverhalten.»

Heisst: Wenn in einer bestimmten Gruppe die Erkrankung häufig vorkomme, steigt auch das Infektionsrisiko pro Kontakt. «Die Menschen in dieser Bevölkerungsgruppe bewegen sich oft in homogenen Netzwerken und Clustern, weshalb das Ansteckungsrisiko gerade dort entsprechend steigt», erklärt der Infektiologe.

5. Wie steckt man sich an?

Für die Übertragung brauche es in der Regel wirklich engen Personenkontakt. In den meisten Fällen stecken sich die Leute beim Sex an, sagt Braun. «In äussersten Einzelfällen wurde eine Tanzveranstaltung als möglicher Übertragungsweg angegeben.»

Denn wenn Personen nah beieinander stehen und beispielsweise wegen lauter Musik auch lauter miteinander sprechen, könne es durch die Tröpfchen ebenfalls zu einer Übertragung kommen, erklärt der Infektiologe Jan Fehr gegenüber «SRF».

Das BAG schreibt zudem, dass auch infiziertes Blut oder infizierter Sekret (bei Bläschen und Hautverletzungen) gefährlich sein könne.

6. Welche Symptome und Beschwerden gibt es?

Die Krankheit beginnt oft mit grippeähnlichen Beschwerden, also Erschöpfung, Fieber oder auch Kopf-, Muskel- und Rückenschmerzen. Später entwickelt sie sich zu einem Hautausschlag mit Bläschen und Krustenbildung.

Von der Ansteckung bis zur Erkrankung können 5 bis 21 Tage vergehen. Symptome können also auch erst drei Wochen nach engem Kontakt mit einer mit infizierten Person auftauchen.

7. Am Samstag feierten Tausende an der Street Parade in Zürich. Hat sich seither schon etwas bemerkbar gemacht?

«Mögliche Auswirkungen der Street Parade konnten wir bisher keine beobachten. Diese Woche kamen am USZ keine neuen Fälle dazu», sagt Dominique Braun. Die Folgen könnten sich aber auch erst in der nächsten Woche bemerkbar machen.

8. Was bedeutet die lange Inkubationszeit für die Verfolgung der Infektionskette?

«Weil die Symptome teilweise bis zu 21 Tage nach der Ansteckung auftreten, ist die Verfolgung der Infektionskette im Einzelfall schwierig», sagt Braun.

Der Übertragungsweg werde mithilfe von Befragungen angegeben. «Wenn eine Person in den letzten Wochen mehrere sexuelle Kontakte hatte, ist es schwieriger, genau festzumachen, wo man sich angesteckt hat.»

Es sei jedoch sehr wichtig, die Infektionsketten zu verfolgen, um die entsprechenden Instruktionen umzusetzen und in der Inkubationszeit enge Kontakte zu vermeiden.

9. Was müssen infizierte Personen sonst tun?

Paare sollen nicht im gleichen Bett schlafen und sich in sexueller Abstinenz üben, sagt Braun. Zudem soll bei nahem Kontakt mit Personen eine Maske getragen und die Wunden abgedeckt werden.

10. Darf man rausgehen?

Affenpocken sind seit dem 20. Juli zwar meldepflichtig, eine Isolationspflicht besteht aber nicht mehr. Man habe gemerkt, dass sich viele Leute trotz Symptomen nicht melden, weil sie sich nicht wochenlang isolieren wollen, erklärt Braun. Deswegen liess man die Pflicht aufheben, in der Hoffnung, so mehr Fälle aufzudecken.

«Aus meiner Sicht war es sinnvoll, die Isolationspflicht aufzuheben, aber umso wichtiger ist es nun, dass Betroffene die empfohlenen Verhaltensmassnahmen strikt umsetzen. Hier spielt also die Eigenverantwortung eine grosse Rolle.»

11. Wie ist der Verlauf?

In den meisten Fällen verläuft die Erkrankung mild. Patienten mit schweren Verläufen leiden jedoch unter starken Schmerzen. Es komme auf die entsprechende Körperstelle drauf an, erklärt Braun. «Je nachdem, an welcher Körperstelle sich die Pocken bilden – bspw. im Enddarm oder am Penis –, kann sich das stark auf das Wohlbefinden des Patienten auswirken und den Alltag beeinträchtigen.»

12. Gibt es Behandlungsmöglichkeiten?

Das Affenpocken-Medikament Tecovirimat ist in der Schweiz derzeit nicht zugelassen. Am USZ steht es im Rahmen einer Studie für gewisse Patienten dennoch zur Verfügung. Wie Dominique Braun betont, ist das Mittel für Patienten mit sehr schweren Verläufen gedacht. «Am USZ kamen die Tabletten bisher bei einem Patienten zum Einsatz.»

Anderen Personen stehen Schmerzmittel, Wunddesinfektion oder Antibiotikasalben zur Verfügung.

13. Kann man sich auch impfen lassen?

Es gibt eine Impfung, die das Risiko einer Ansteckung massiv mindern würde. Doch in der Schweiz – anders als in den EU-Staaten – ist diese bis heute nicht verfügbar. Das BAG prüft laut eigenen Angaben die zentralisierte Beschaffung des Impfstoffs Imvanex. Derzeit könne man aber nicht sagen, wann und für welche Zielgruppen die Impfung tatsächlich bereitgestellt werden könne, sagt BAG-Sprecher Daniel Dauwalder zu Blick. Für den 25. August ist eine weitere Sitzung anberaumt, an der das weitere Vorgehen besprochen wird.

Das dänisch-deutsche Pharmaunternehmen Bavarian Nordic hat bisher keinen Zulassungsantrag für den Affenpocken-Impfstoff in der Schweiz gestellt. Und im Gegensatz zu anderen Ländern ist in der Schweiz keine Notzulassung möglich. Hinzu kommt, dass es derzeit auch nicht möglich ist, dass Kantone oder Arztpraxen selbst Dosen organisieren. Denn Bavarian Nordic ist derzeit nur bereit, grössere Mengen zu liefern.

14. Wieso ist der Impfstoff knapp?

Bei Bavarian Nordic heisst es auf Blick-Anfrage: «Die Knappheit des Impfstoffs hängt damit zusammen, dass sich bis zum Ausbruch der Krankheit fast kein Land (mit Ausnahme der USA, Kanadas und einiger anderer Länder) wirklich darum kümmerte, einen Vorrat unseres Impfstoffs anzulegen, so dass wir praktisch keine Bestände zur Verfügung hatten, als die Bestellungen eintrafen.» Der Herstellungsprozess sei langwierig, die fertigen Dosen würden nicht vor 2023 zur Verfügung stehen.

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