Bericht zur Stadtpolizei Bülach
Druckversuche und Irreführung – wie Bülach eine Aufarbeitung zur Polizei zu verhindern versuchte

Der Stadtrat hat in der Bülacher Polizeiaffäre versucht, Kritikerinnen Steine in den Weg zu legen oder zum Schweigen zu bringen. Eine Rekonstruktion.
Publiziert: 14.04.2024 um 02:00 Uhr
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Aktualisiert: 14.04.2024 um 10:32 Uhr
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Lisa AeschlimannReporterin & Blattmacherin

Am 2. April 2023 berichteten drei Insider im Blick von einem toxischen Führungsstil des Polizeichefs und einem «Klima der Angst». Anschreien und einschüchtern seien an der Tagesordnung. Innert sieben Monaten hat bei der Stadtpolizei Bülach ein Drittel der Belegschaft gekündigt. Keine 24 Stunden später stellte sich der Stadtrat in einer Mitteilung hinter den Polizeichef, die Vorwürfe seien «haltlos», die Kündigungswelle «übliche Fluktuation».

Die fünfköpfige Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Parlaments gab jedoch selben Tags bekannt, den Sachverhalt zu prüfen. Nicht zuletzt aufgrund der pauschalen Zurückweisung des Stadtrats, wie sie in ihrem nun vorliegenden Untersuchungsbericht festhält.

Die GPK sah sich bei ihrer Untersuchung mit «einer Phalanx an Juristen» konfrontiert, heisst es im Bericht. Man sei vom Stadtrat mehrfach und in irritierender Weise beeinflusst und behindert worden, sagte GPK-Präsidentin Romain Rogenmoser (SVP) anlässlich der Präsentation. Für die Aufklärung der Sache waren 27 Sitzungen nötig. Die GPK tagt sonst sechsmal pro Jahr.

Am Montag präsentierte die Geschäftsprüfungskommission ihren Untersuchungsbericht zur Bülacher Polizeiaffäre.
Foto: Philippe Rossier
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Im Hintergrund versuchten der Stadtrat und die Abteilungsleitung Bevölkerung und Sicherheit, die Untersuchung der GPK zu torpedieren. Ende April wies die Stadt das Korps an, gegenüber den Bülachern sämtliche Vorwürfe gegen den Polizeichef zu dementieren – dies, obwohl die Untersuchung erst gestartet war.

Anzeige gegen Unbekannt erstattet

Kurz nach der Publikation erstattete der Polizeichef mit Unterstützung eines prominenten Anwalts Anzeige gegen Unbekannt betreffend Amtsgeheimnisverletzung und übler Nachrede. Ein Spezialermittler der Kantonspolizei wurde beauftragt, diejenigen zu finden, die sich an die Medien gewandt hatten.

Druckversuche und Irreführungen erlebte auch die GPK bei ihrer Arbeit. So wurde der GPK untersagt, mit dem Polizeichef zu sprechen. Dies, obwohl der Chef seinerseits den Kontakt gesucht hatte. Ein Gespräch war erst im Januar 2024 möglich. Der dem Amtsgeheimnis unterstehenden GPK wurde auch verwehrt, mit Korpsmitgliedern zu kommunizieren. Dies übernahm eine externe Kanzlei.

Schliesslich wurde der GPK vom Stadtrat untersagt, mit jeglichen Mitarbeitenden der Gemeinde zu sprechen. Dies gehe nur mit stadträtlicher Erlaubnis. Die GPK musste zuerst den Nachweis erbringen, dass dies nicht dem Gesetz entspreche, bevor man ihr den Zugang gewährte.

Als «Schlägertruppe» diskreditiert

Anfang Mai versuchte die Abteilungsleitung Bevölkerung und Sicherheit mutmasslich die Polizisten, die sie als Denunzianten vermutete, als «Schlägertruppe» zu diskreditieren. Unterstrichen wurde dies gemäss Bericht damit, «dass auffallend viele Anzeigen und Beschwerden gegen einzelne Polizisten eingegangen seien». Die GPK verlangte Zahlen, diese wollte die Stadt nicht liefern. Nachfragen hätten ergeben, dass «konkret nur eine einzige Anzeige erfolgte». Auch diverse weitere Anfragen hätten die Aussage eines «Schlägertrupps» nicht erhärten können.

Um sich ein besseres Bild über Abläufe in der Verwaltung zu machen, erarbeitete die GPK einen Fragenkatalog mit über 90 Fragen an die Stadt. Anfang Juni besprach man diesen mit der Stadt. Später erachtete die Stadt dessen Gliederung als nicht zweckmässig, man werde die Antworten in einem anderen Rahmen geben. Im November – fast fünf Monate später – erhielt die GPK einen 100-seitigen Antwortenkatalog, den die Stadt in Zusammenarbeit mit einer externen Firma erstellt hatte.

Gemäss der GPK lieferte der Bericht der Firma, deren Namen die GPK nicht nennen darf, «wenig Verwertbares» – die Qualität lasse zu wünschen übrig. Als besonders störend erwähnt die GPK, dass die Firma, die nicht den Berufsrichtlinien einer Anwaltskanzlei unterliege, im Gegensatz zur GPK mit dem Korps kommunizieren durfte.

«Unablässig damit beschäftigt, eigene Arbeit zu rechtfertigen»

In der Summe, so schreibt die Kommission, habe man die Erwartung, die Haltung des Stadtrats bestätigen zu müssen und ein starkes Missbehagen über «zu viele» Fragen gespürt. Die GPK sei «praktisch unablässig damit beschäftigt» gewesen, entweder ihre Arbeit zu rechtfertigen, indem sie dem Stadtrat die tatsächliche Gesetzeslage darlegen musste, oder sie musste viel Zeit verwenden für die schriftliche Kommunikation sowie die Auseinandersetzung mit diversen Anwälten. Zu einigen Zielen konnte sie keine Aussage machen, weil der Kommission die Informationen verwehrt wurden.

Recherche-Hinweise

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Bülach hat eine Vorgeschichte, wie sie mit denjenigen umgeht, die die vermeintliche Idylle stören: So reichte Sicherheitschef Roland Engeler 2020 Strafanzeige gegen ein aus seiner Sicht ehrverletzendes Mail des damaligen Parlamentariers Daniel Wülser ein. Die Staatsanwaltschaft wollte kein Verfahren eröffnen, Engeler erhob Beschwerde beim Obergericht, dieses wies die Sache an den Staatsanwalt zurück. Dieser beschied Wülser, sich bei Engeler zu entschuldigen, was er auch tat. Engeler erhob aber ein zweites Mal Beschwerde, blitzte erneut ab. Das Verfahren, das sich über drei Jahre hinzog, unterstützte die Stadt – respektive die Steuerzahlenden – mit 9000 Franken Anwaltskosten.

Unliebsame Gegner überwacht

Wülser traf der Zorn der Stadt gleich zweimal. 2013 enthüllte die «NZZ am Sonntag», dass die Stadtregierung unliebsame Gegner von einer Agentur überwachen liess. Wülser war Mitglied einer neuen Bürgerbewegung, die den Stadtrat heftig kritisierte. Mark Eberli (EVP) – der heute noch als Stadtpräsident amtet – bezeichnete das Monitoring damals als «erfolgreiche Sache». Die paar Tausend Franken – auf Kosten der Steuerzahlenden – seien gut investiert: «Wir haben gut auf die Vorwürfe reagiert, daraufhin ist Ruhe eingekehrt.» Der Datenschutzbeauftragte des Kantons bezeichnete das Vorgehen später als «nicht verhältnismässig». Die Akten seien zu vernichten. 

Ruhe sei auch bei der Stadtpolizei wieder eingekehrt, sagte der zuständige Stadtrat Daniel Ammann (FDP) am Montag im Parlament. Die Untersuchung habe das ergeben, was man kommuniziert habe. Dann zeigte er vor dem Parlament mit dem Finger auf die Journalistin, man solle doch bitte etwas untersuchen, wenn es etwas zu untersuchen gäbe, und erwähnte, dass 13 Polizistinnen und Polizisten in den Besucherrängen sitzen. Damit sollte gezeigt werden, dass sich alle einig sind. Doch der Auftritt soll gemäss mehreren Quellen inszeniert gewesen sein: Dem Korps sei von Abteilungschef Engeler beschieden worden, vor dem Parlament zu erscheinen.

Vermutlich über 100'000 Franken an Kosten

Für die Steuerzahlenden bleibt vorerst eine saftige Rechnung. So kostet die Einzelfirma rund 11’000 Franken, die Anwaltskanzlei der Stadt rund 55’000 Franken. Mindestens nochmals so viel dürften die Rechtsanwälte von Rudin Cantieni, die das Korps befragt hatten, verrechnen.

Der Stadtrat, so liess er sich im Zürcher Unterländer zitieren, ist überzeugt, keine Fehler gemacht zu haben. Akuten Handlungsbedarf gebe es keinen, das Thema sei für ihn abgeschlossen. Die GPK hingegen hält an ihren Äusserungen fest und will dies in einer Mitteilung noch kundtun.

Die GPK hatte «teilweise sich als erheblich auswirkende» Mängel oder Lücken betreffend Kommunikation, Führung, Prozessabläufen und Controlling geortet und verschiedene Empfehlungen abgegeben. Mehrere Massnahmen wurden bereits eingeleitet. So wurden die Einstellungsprozesse bei der Polizei überarbeitet – unter anderem auch, weil der heutige Polizeichef 2015 für Engeler nachgerückt war, ohne dass die Stelle je ausgeschrieben wurde.

Die GPK hatte die Parlamentarier am Montagabend aufgefordert, Fragen zum Bericht schriftlich einzureichen und auf die Möglichkeit einer PUK zur grundsätzlichen Abteilungsführung aufmerksam gemacht. Von der erwünschten Ruhe dürfte der Stadtrat wohl so schnell wenig sehen.

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