Arbeit härter, weniger Kunden, brutale Freier
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Sexarbeit während Corona:Arbeit härter, weniger Kunden, brutale Freier

Corona vermiest den Sexarbeiterinnen das Geschäft
Arbeit härter, weniger Kunden, brutale Freier

Die Pandemie hinterlässt im Sexgewerbe tiefe Narben. Die Frauen kämpfen mit brutalen Freiern und finanziellen Nöten. Zwei Prostituierte und eine Domina erzählen.
Publiziert: 29.07.2021 um 01:18 Uhr
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Aktualisiert: 29.07.2021 um 07:27 Uhr
Helena Schmid

Eine Minute dauert die Performance vor den Freiern. Dann entfernt sich das Stöckeln der High Heels in alle Richtungen. Eine Frau mit dunkelbraunen Haaren betritt die Lobby des Bordells, schliesst behutsam die Tür hinter sich. Sie zupft den weissen Tanga zurecht, seufzt: «Ich wurde nicht gewählt.»

«Ein schlechter Tag ist, wenn keine Freier kommen. Oder sie dich nicht wollen – oder brutal zu dir sind», erzählt Gloria (25), Sexarbeiterin im Eden, einem Puff in Schlieren ZH. Seit Corona häufen sich die schlechten Tage. «Meine Arbeit ist härter als früher», sagt sie.

Im Dachstock des blauen Hauses in Reppischhof ZH wartet Gräfin Viola auf Gäste. Das Studio wäre bereit: die Peitschen aufgehängt, Sextoys in einer gläsernen Vitrine, kein Staub. Die Domina hatte früher zwei bis drei Männer täglich. Nun sind es so viele in der Woche.

Gloria (25) aus Rumänien arbeitet im Eden in Schlieren ZH.
Foto: Siggi Bucher
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Freier wollen «Frust loswerden»

Das Sexgeschäft ist schwieriger geworden, da sind sich Domina und Prostituierte einig. Seit Beginn der Pandemie waren die Puffs im Kanton Zürich zehn Monate geschlossen. Im Juni durften sie wieder öffnen und merken nun: Die Branche ist nicht mehr dieselbe.

Gloria ist erst seit wenigen Wochen wieder in der Schweiz. Den zweiten Lockdown verbrachte sie bei ihrer Familie in Rumänien, kellnerte in einem Restaurant, kam knapp über die Runden. Ihre Verwandten denken, sie arbeitet hier als Putzfrau.

«Ich merke, dass die Freier gestresster sind», erzählt sie. «Sie kommen zu mir, um ihren Frust loszuwerden.» Mehr Männer seien arrogant, behandeln sie von oben herab. «Manche reissen mir an den Haaren oder verlangen etwas, das ich nicht anbiete.»

Mehr Männer wollen ohne Kondom

Seit der Pandemie würden mehr Männer Sex ohne Kondom verlangen. Die Kundschaft driftet in zwei Extreme: Manche Männer kommen nicht mehr, weil sie Angst vor dem Coronavirus haben. Und andere sorgen sich um gar nichts mehr.

Gloria möchte sich nicht impfen lassen. Sie fürchtet sich vor den Langzeitwirkungen. Alle paar Tage muss sie sich selbst testen, wie alle Sexarbeiterinnen im Eden. Die Frauen haben keine Angst vor dem Virus. «Noch keine meiner Freundinnen hat sich bei der Arbeit angesteckt», sagt Kollegin Lia (35). «Auch nicht in anderen Puffs.»

Lia schafft in Zürich und St. Gallen an, seit sechs Jahren. Viele ihrer Stammgäste habe sie seit Ausbruch des Coronavirus nie mehr gesehen. Vor einigen Wochen kam ein Freier zum ersten Mal wieder vorbei. «Früher hat er mich fast verschlungen, wollte Oralsex ohne Kondom», erzählt Lia. «Nun hat er sich komplett gewandelt, will keine Küsse und Sex nur noch von hinten.»

Jeder zweite Kunde taucht nicht auf

Im Studio Hades, wo Gräfin Viola Geschäftsführerin ist, ist ein Raum als Spitalzimmer eingerichtet. «Meine Klinik», nennt es die Domina. An diesem Nachmittag trägt sie ein hautenges Krankenschwester-Outfit, die Lippen knallrot.

Viola ist zweimal geimpft. Ihre Gäste nimmt sie mit einer durchsichtigen Gesichtsmaske in Empfang. Sie müssen die Kontaktdaten angeben. Impfzertifikat oder Tests werden von den Behörden für Sexbetriebe nicht vorgeschrieben. Viola versteht das nicht: «Wieso gelten für uns andere Regeln als für Partys im Club?»

Ihr Alltag ist bürokratischer geworden, erzählt die Gräfin. «Mittlerweile muss ich mich mehr mit Administration beschäftigen als mit den Wünschen meiner Gäste.» Viele Männer schreiben der Domina, tauchen dann aber nicht zum Termin auf. Mittlerweile täte das rund die Hälfte der Gäste – vor der Pandemie war es maximal jeder zehnte. «Sie texten mich auf Whatsapp zu oder schicken mir unangemessene Fotos», sagt Viola. «Das geht gar nicht!»

Finanzielle Ängste plagen Domina

Zur Klientel der Domina gehören häufig junge Männer unter 30. Im Job hätten sie meist Verantwortung. «Sie kommen zu mir, um sich fallen zu lassen und Kontrolle abzugeben», sagt Viola. Doch wegen Corona arbeiten viele dieser potenziellen Gäste im Homeoffice und kommen nicht weg.

Für die Gräfin hat das gravierende Folgen. Sie musste für das Studio den ganzen Lockdown über Miete zahlen, erhielt keine Entschädigung. Finanzielle Ängste plagen sie: «Ich musste den Gürtel enger schnallen. Und an Ferien ist schon gar nicht zu denken.» Sie gibt nicht auf, hofft, dass sich die Branche erholt, dass sie wegen Corona nicht noch einmal schliessen muss. «Dann wüsste ich nicht mehr weiter.»

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