Coiffeuse Geraldine Scherler wagt ungewöhnliche Kombination
Schneiden, Waschen – Rechtsberatung

Warum zwischen einer neuen Frisur oder Rechtsberatung wählen, wenn man beides haben kann? Das dachte sich Geraldine Scherler – und eröffnete in Bern einen Salon, in dem Föhn und juristische Unterstützung gleichermassen zum Einsatz kommen.
Publiziert: 28.04.2024 um 14:48 Uhr
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Aktualisiert: 28.04.2024 um 14:52 Uhr

Was haben eine Coiffeuse und eine Anwältin miteinander gemeinsam? Nicht viel, könnte man denken. Doch Geraldine Scherler (34) vereint die beiden Berufe in ihrem neu eröffneten Salon Julo, kurz für: Justitias Locken.

In ihrem liebevoll eingerichteten Salon in der Berner Altstadt liegen keine Ausgaben der «Schweizer Illustrierten» oder «Glückspost». Bei Julo finden Kundinnen und Kunden neben Föhn und Schere auch Rechtsbücher und Notizpapier. So auch eine junge Frau, die an diesem Nachmittag bei Scherler auf dem alten Holzstuhl sitzt. Nicht nur für einen neuen Haarschnitt, sondern auch, weil sie sich zum Thema eingetragene Partnerschaft beraten lassen möchte.

In Bern aufgewachsen, begann Scherler mit 16 Jahren eine Coiffeurelehre, «aus purer Begeisterung und Leidenschaft». Ihr fiel damals auf, wie sehr sich Kunden ihr anvertrauten und persönliche Geschichten teilten. Oft erzählten die Kundinnen und Kunden von Problemen wie Scheidungen, dem Kauf eines Hauses oder von Schwierigkeiten mit Behörden. Alles Themen, die juristisch relevant sind. «Ich wünschte mir damals, die Fragen konkret beantworten zu können, doch mir fehlte das nötige Wissen», sagt sie heute.

Geraldine Scherler hat vor zwei Monaten einen Salon eröffnet, in dem sie Frisur und Rechtsberatung kombiniert.
Foto: Zamir Loshi
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«Wir witzelten über die Idee»

Schon früh verspürte die Bernerin den Drang, noch etwas anderes zu machen. Die Geschichten der Menschen, ihre Fragen und Wünsche haben sie dabei immer fasziniert. Also erkundete Scherler nach bestandener Lehre andere Berufswege, darunter soziale Arbeit. Zwar gefiel ihr das, doch jedes Mal, wenn es um konkrete Entscheide ging, also das, was sie wirklich interessierte, hiess es: «Das machen die Juristen.»

«Der frühere Titel einer Anwältin war Fürsprecherin. Dieses Wort finde ich wunderschön, denn genau das wollte ich: Menschen eine Stimme geben, sie stärken», sagt Scherler. Und so entschied sich die damals 21-Jährige nach gelungener Passerelle für ein Jusstudium.

Während des Studiums arbeitete Scherler weiterhin als Coiffeuse. «Unter Freunden witzelten wir darüber, dass ich irgendwann einen Salon mit Rechtsberatung eröffne.» Ernst gemeint war das aber nie. Erst Jahre später entstand aus den Witzen ein konkreter Plan: Mit Julo schafft Scherler einen niederschwelligen Zugang zur Rechtsberatung. 

«Es ist kein Entweder-oder»

Es erschien ihr logisch, die beiden Bereiche zu kombinieren: «Ich stelle mir vor, jemand kommt mit verknoteten Haaren und Gedanken – und ich löse beides. So stärke ich jemanden sowohl innerlich als auch äusserlich.»

Und so kam es, dass Scherler der jungen Frau die Spitzen schneidet. Zuerst im Trockenen: So hat die Kundin die Möglichkeit, ihre Situation genau zu schildern. Als homosexuelle Frau möchte diese gerne wissen, wie es mit der Kinderplanung aussehe, welche Variante am sichersten sei und was sie beachten müsse. Scherler hört aufmerksam zu, fragt zwischendurch nach und macht sich Notizen auf der grossen Plastiktafel hinter sich. 

Während des Waschens plaudern die beiden über allerlei: das Wetter, das Studium und weitere Pläne. Typische Salon-Themen eben. Doch Julo ist kein typischer Haarsalon. Auf die Frage, ob sie denn nun Anwältin oder Coiffeuse sei, sagt Scherler: «Ich bin beides. Es ist kein Entweder-oder.» Die 34-Jährige will beide Dienstleistungen auf einem hohen Niveau anbieten, was viele Weiterbildungskurse erforderte. Ein Kurzhaarschnitt mit Rechtsberatung kostet bis zu 330 Franken pro Stunde.

Neben Julo, wo Scherler dreimal die Woche arbeitet, ist sie noch beim Kanton angestellt. Das sei wichtig, denn der Salon fokussiert sich auf die Beratung im Arbeits- und Familienrecht, was nichts mit ihrer Arbeit beim Kanton zu tun hat. Scherler habe aber gemerkt, dass Sozialversicherungen – sprich AHV, IV oder Pensionskasse – «grosse Themen» seien, da sie oft kompliziert und überfordernd sind: «Ich kann meine Dienste entsprechend anpassen», sagt sie.

Jahrelang studiert

Gerne erinnert sich Scherler an ihre allererste Kundin: «Jetzt fühle ich mich so gestärkt», sagte diese am Ende. Dieser Moment vereint für Scherler genau das, wofür sie Jahre lang studiert hat: «Wenn man seine Rechte kennt, kann man gezielt handeln. Das ist sehr stärkend.»

Die heutige Kundin habe über Freunde von Julo erfahren: «Ich fand es ein interessantes Konzept und wollte es ausprobieren. So kombiniere ich gleich zwei Dinge in einem.» Nach einer guten Stunde verlässt die junge Frau den Salon nicht nur mit frischem Haarschnitt – sondern auch mit klareren Gedanken.

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