Mutig und lebensbedrohlich
Beachvolleyballerin legt sich mit Brasiliens Präsidenten Bolsonaro an

Carolina Solberg Salgado (33) zählt zu den besten Beachvolleyballerinnen der Welt. In einem Interview kritisiert sie den brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro (65) und fordert lautstark dessen Rücktritt. Daraufhin hagelt es nur so von Drohungen gegen sie.
Publiziert: 15.12.2020 um 14:29 Uhr
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Aktualisiert: 18.03.2021 um 19:09 Uhr

Carolina Solberg Salgado ist auf der brasilianischen Beachvolley-Tour, als sie am 20. September nach einem Spiel in einem Interview gegen Jair Bolsonaro – den Präsidenten ihres eigenen Landes – schiesst. Man muss wissen, Beachvolley gehört in Brasilien neben Fussball zu den grössten Sportarten, dementsprechend schlagen ihre Aussagen im ganzen Land hohe Wellen. In den Zeitungen wird sie zum Teil als Ikone der brasilianischen Oppositionsbewegung gefeiert. Doch es hagelt auf der anderen Seite auch sehr starke Kritik.

Weil sie sich als Sportlerin politisch äussert, suspendiert der oberste Sportsgerichtshof Brasiliens Solberg Salgado für sechs Spiele und brummt ihr eine Geldstrafe von 15'000 Euro auf. Sie und ihr Anwalt legen gegen das Urteil Berufung ein, da sie sich als ungerecht behandelt sieht. Und sie sollten Recht bekommen, Solberg Salgado wird in allen Punkten freigesprochen.

«Leben auf den Kopf gestellt»

Die 33-Jährige spricht nun in einem «Spiegel»-Interview von zweieinhalb verrückten Monaten, die seit dem emotionalen Interview vergangen sind. «Das Interview hat mein Leben auf den Kopf gestellt. Mein Postfach war bereits übergelaufen, bevor ich überhaupt vom Turnier nach Hause gekommen bin. Seitdem habe ich unglaublich viele unterstützende Nachrichten erhalten.» Sie spricht aber auch von den negativen Auswirkungen, welche ihre Aussagen bis heute haben: «Ich bekam sehr viele Drohungen und wurde verbal angegriffen. Die sozialen Medien sind da grausam. Das Ausmass des Hasses war aussergewöhnlich. Am Tag nach dem Interview hatte ich Angst, aus dem Haus zu gehen. Wir mussten unseren Trainingsort ändern. Es war schlicht zu gefährlich, weiterhin öffentlich zu trainieren. Mittlerweile trainieren wir auf einem abgesperrten Gelände abseits des Strandes.»

Die brasilianische Beachvolleyballerin Carolina Solberg Salgado hat turbulente Wochen hinter sich.
Foto: Instagram
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Nicht einmal der brasilianische Volleyball-Verband stellt sich hinter seine Athletin. Im Gegenteil, er wirft ihr vor den Sport zu «beschmutzen». Dazu meint sie: «Ich war immer stolz auf mein Land. Doch mittlerweile schäme ich mich.» Im Übrigen unterstützen viele brasilianische Athleten Präsident Bolsonaro offen.

Lewis Hamilton als Vorbild

Und genau da sieht Solberg Salgado das Problem: «Ich bin fest überzeugt, dass jeder das Recht haben sollte, seine Meinung frei zu äussern. Mehr noch: Gerade Personen des öffentlichen Lebens sollten es ganz bewusst tun. Warum sollte ich überhaupt Interviews geben, wenn ich darin meine Meinung nicht sagen darf?» Sie appelliert an die Vorbild-Rolle von Sportlern, dass wichtige Themen wie Menschenrechten, Rassismus oder Umweltfragen auch von ihnen angesprochen und diskutiert werden müssen. «Lewis Hamilton beispielsweise ist sich der Reichweite seiner Stimme bewusst. Diesen Sommer haben die WNBA- und NBA-Teams ganz Hervorragendes geleistet, als sie offen und öffentlichkeitswirksam gegen Rassismus und Unrecht protestiert haben. In Brasilien ist die Democracia Corinthiana das grosse Idol – eine Gruppe von Fussballern des FC Corinthians Sao Paolo, die in den Achtzigerjahren öffentlich gegen die Militärdiktatur aufbegehrte und sich für demokratische Wahlen einsetzte. Das sind die Vorbilder, zu denen ich aufschaue.»

Zu ihrer sportlichen Zukunft: Sie und ihre Spielpartnerin werden sich nicht für die Olympischen Spiele in Tokio qualifizieren. Der Streit mit dem Verband spiele in diesem Entscheid übrigens keine direkte Rolle. Die Dichte im eigenen Land ist einfach zu gross. Gleich fünf der besten 20 Teams kommen aus Brasilien. Pro Nation gibt es aber nur zwei Startplätze, und da gibt es halt zwei Teams, die aktuell stärker sind als sie.

Das eingangs erwähnte Interview bereut die Beachvolleyballerin nicht. «Es hat mir die Chance gegeben, Dinge und Themen anzusprechen, die mir wichtig sind. Der Kampf für das Recht auf freie Meinungsäusserung wird mir ein zentrales Anliegen bleiben.» (red)

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