Talent Rodwin Dionicio (19)
Ein unbekannter Herisauer darf von der NHL träumen

Als einziger Schweizer wurde Rodwin Dionicio im letzten NHL-Draft gewählt. Der Verteidiger mit Wurzeln in der Dominikanischen Republik hat schon viel gesehen und erlebt – auch Rassismus in Herisau.
Publiziert: 06.11.2023 um 14:54 Uhr
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Aktualisiert: 06.11.2023 um 15:20 Uhr
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Stephan RothStv. Eishockey-Chef

Es war einer der glücklichsten Tage im Leben von Rodwin Dionicio (19). Das Verteidiger-Talent war am 29. Juni auf der Rückkehr von einem Goalie-Camp in Cham, wo er als Schütze gebraucht worden war. Auf seinem Handy aktualisierte er im Zug immer wieder den Liveticker des NHL-Drafts. Vergeblich, sein Name erschien nicht. Der Appenzeller stellte sich schon darauf ein, dass er wie im Vorjahr von keinem NHL-Team gezogen wird. «Der Draft war stets mein Traum. Doch ich sagte mir: Wenn es nicht klappt, ist es halb so schlimm. Es gibt viele Wege ans Ziel», erinnert er sich.

Doch dann kam irgendwo zwischen Zürich und St. Gallen der Anruf seines Agenten: Die Anaheim Ducks hatten sich die Rechte am Schweizer gesichert. Mit Pick Nummer 129. «Ich war mehr als happy. Ich war sprachlos und bin es noch fast heute, wenn ich daran denke.»

Kurz darauf flog er zum Development-Camp nach Kalifornien und konnte erstmals NHL-Luft schnuppern. «Es gibt nichts Besseres. Ich lernte den Klub-Besitzer, den General Manager, den Coach, Spieler, das Honda Center und die Trainingsanlagen kennen. Ich wurde wie ein Profi behandelt», erzählt Dionicio begeistert.

Rodwin Dionicio feiert einen Treffer für die Windsor Spitfires.
Foto: Getty Images
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Im Off-Ice-Bereich hat Dionicio Aufholbedarf

Wie realistisch ist eine Zukunft in der NHL? «Seine Skills sind unglaublich gut. Ich kann mich nicht erinnern, in den letzten zehn Jahren einen Verteidiger mit so guten Händen gesehen zu haben», schwärmt sein Agent Sven Helfenstein. Nun sind Aussagen von Beratern über ihre Klienten mit Vorsicht zu geniessen, doch der schlagfertige MySports-Experte und Ex-Stürmer zögert nicht, auch die Schwäche von Dionicio offenzulegen: «Im Off-Ice-Bereich muss er noch an sich arbeiten. Da hat er noch enorm viel Potenzial. Wenn er das begreift, ist viel für ihn möglich. Doch ich denke, der Groschen ist jetzt gefallen.»

Schweizer in den drei grossen Junioren-Ligen

Ontario Hockey League (OHL)

  • Rodwin Dionicio (V, 19), Windsor Spitfires
  • Kimi Körbler (S, 17), Ottawa 67's

Western Hockey League (WHL)

  • Leo Braillard (S, 18), Lethbridge Hurricanes
  • Ewan Huet (G, 17), Regina Pats

Quebec Major Junior Hockey League (QMJHL)

  • Jordan Forget (S, 17), Shawinigan Cataractes
  • Miles Müller (S, 18), Moncton Wildcats
  • Yannik Ponzetto (S, 17), Halifax Mooseheads

Ontario Hockey League (OHL)

  • Rodwin Dionicio (V, 19), Windsor Spitfires
  • Kimi Körbler (S, 17), Ottawa 67's

Western Hockey League (WHL)

  • Leo Braillard (S, 18), Lethbridge Hurricanes
  • Ewan Huet (G, 17), Regina Pats

Quebec Major Junior Hockey League (QMJHL)

  • Jordan Forget (S, 17), Shawinigan Cataractes
  • Miles Müller (S, 18), Moncton Wildcats
  • Yannik Ponzetto (S, 17), Halifax Mooseheads
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Mangelnde Fitness hätte den Verteidiger vor zwei Jahren fast die U20-WM gekostet. Beim Test in Magglingen blieb er unter den Mindestwerten. Doch der damalige Coach Marco Bayer gab ihm noch eine Chance. Zwei Monate später schaffte Dionicio den Test, nachdem er sich besser in Form gebracht hatte.

Der 1,87 Meter grosse und 97 Kilo schwere Teenager setzt voll auf den Sport. Er hat die Schule abgebrochen. Ziel und Traum ist die NHL. Er hofft, Ende Saison noch zu Einsätzen im Ducks-Farmteam in der AHL zu kommen. Vorderhand spielt er noch in der Junioren-Liga OHL bei den Windsor Spitfires. Seit er im Januar von den Niagara IceDogs in die kanadische Grenzstadt, die auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses von Detroit liegt, transferiert wurde, ist er aufgeblüht und hat über einen Skorerpunkt pro Spiel gebucht.

«Eine ältere Frau beschimpfte mich und sagte das N-Wort»

«Ich kann mich gut anpassen, und mir gefällt es, neue Städte kennenzulernen», sagt Dionicio. In seinem Leben ist er schon weit herumgekommen. Zur Welt kam er in New Jersey. Als er noch ein Baby war, zogen seine Eltern, die aus der Dominikanischen Republik stammen, in die Schweiz. In Herisau AR, wo schon die NHL-Stars Jonas Hiller und Timo Meier ihre Karriere gestartet hatten, begann er im Alter von fünf Jahren mit dem Eishockey. Eine aussergewöhnliche Wahl für einen Latino-Buben. «Meine Mutter hat Videos, auf denen ich als Kind Baseball spiele. Ich spielte auch Fussball. Aber im Klub sagten sie mir, dass ich mich zwischen Fussball und Eishockey entscheiden müsse, wenn ich an Spielen dabei sein wolle. Da war ich schnell weg.»

Mit Rassismus sei er im Hockey nie konfrontiert gewesen. Doch als Junge machte er in Herisau auf dem Heimweg von der Schule eine traurige Erfahrung. «Ich sass im Bus, als eine ältere Frau kam und mich beschimpfte und das N-Wort sagte. Ich habe nichts gesagt und war verstört. Ich verstand gar nicht, was los war. Zu Hause habe ich dann meiner Mutter davon erzählt. Sie sagt mir immer: ‹Du weisst ja, wer du bist.›»

Fürs Hockey nahm er bald die einstündige Reise auf sich, um bei Rapperswil-Jona zu spielen. Als 15-Jähriger wechselte er zum SC Bern, wo er bei der Familie von Ex-Langnau-Captain Martin Stettler wohnte. Inzwischen ist Dionicio in Kanada bereits bei der vierten Gastfamilie angelangt, nachdem er eine wieder verlassen musste, weil sie ein Baby bekam.

Nach drei Jahren in der kanadischen Junioren-Liga OHL, in der sich Dionicio auch mal auf eine Prügelei einlässt («Ich verstecke mich sicher nicht»), will er sich nächste Saison in einer Männer-Liga versuchen. Sei es in der AHL oder in der Schweiz. Dabei spielen auch die Vorstellungen der Anaheim Ducks eine Rolle. Klar ist nur, dass seine Reise weitergehen wird.

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