«Auf diesem Platz habe ich alles gelernt»
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Fussball-Legende Kudi Müller:«Auf diesem Platz habe ich alles gelernt»

Fussball-Legende Kudi Müller
«Ich war das erste Unterhosen-Model unter den Fussballern. Nicht Ronaldo!»

Alles Müller oder was? Richtig! Hier spricht Kudi Müller (73) über einen Geldkoffer mit 50'000 Franken, brutale Verteidiger, einen Abhörskandal und Halb-nackt-Fotos.
Publiziert: 31.03.2022 um 00:12 Uhr
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Aktualisiert: 31.03.2022 um 00:48 Uhr
Daniel Leu (Interview) und Benjamin Soland (Fotos)

Das Dammgärtli in Luzern. Hier wuchs Kudi Müller in den 50er-Jahren auf. Und hier, wo er jetzt für den Fotografen posiert, hat er als Knirps zum ersten Mal Fussball gespielt. «Schauen Sie, da über dem Restaurant Reussfähre haben wir im zweiten Stock gewohnt. Wir waren acht Kinder», erklärt Müller und schwelgt in Erinnerungen.

Gleich auf der anderen Seite der St. Karli-Brücke befindet sich das Schulhaus. Auch das hat eine wichtige Rolle in Kudi Müllers Leben gespielt.

Herr Müller, welchen Anteil hatte der Abwart des Schulhauses St. Karli an Ihrer Karriere?
Kudi Müller:
Das ist eine gute Frage, er hatte sicherlich seinen Anteil daran. Rasen, gezogene Linien, Tore – im St. Karli hatte es eigentlich alles, was man zum Fussballspielen brauchte, doch der Abwart hat uns das immer verboten.

Das Dammgärtli in Luzern: Hier wuchs Kudi Müller zusammen mit seinen sieben Geschwistern auf.
Foto: BENJAMIN SOLAND
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Haben Sie sich daran gehalten?
Wenn der Abwart mal nicht da war, haben wir natürlich unseren Ball rausgeholt und gespielt. Einmal hat er uns dabei erwischt und dann sogar mit einem Messer den Ball zerstochen. Deshalb spielten wir danach immer mit Tennisbällen, und das Sitzbänkli diente als Tor. Dadurch war ich gezwungen, mir die beidfüssige Technik und den englischen Flachpass anzueignen. Das zeichnete mich später dann aus. Wer weiss, ob ich auch so weit gekommen wäre, wenn der Abwart uns einfach hätte normal spielen lassen.

Warum wurden Sie eigentlich Fussballer?
Da gibt es zwei Gründe. Erstens: Schon mein Grossvater und mein Vater spielten beim FC Emmenbrücke. Und zweitens: Ende der 50er-Jahre gewann meine Mutter beim Lotto einen Fernseher. Damals besass kaum eine Familie einen. Wenn die Schweizer Nati spielte, war unsere Stube rappelvoll. Manchmal waren bis zu 50 Leute bei uns. Diese Erlebnisse haben mich geprägt. Für mich war damals klar: Ich will auch Fussballer werden.

Stimmt die Anekdote, dass Sie bei den B-Junioren des FC Emmenbrücke mal 28 Tore in einem Spiel erzielten?
Ja, das war im Derby gegen Emmen. Zuvor war ich noch Mittelfeldspieler, doch dann wurde ich erstmals als Mittelstürmer eingesetzt und traf gleich 28-mal. Mit 16 durfte ich dann schon in der 1. Mannschaft in der 1. Liga mitspielen. Damals musste ich meine Teamkollegen noch siezen. Als ich das erste Tor erzielte, drehte ich den Spiess um und sagte ihnen: «Jetzt dürft ihr Du zu mir sagen.»

1968 wechselten Sie zum FC Luzern, obwohl Ihnen der legendäre FCZ-Präsident Edi Nägeli ein unmoralisches Angebot gemacht hatte.
Er wollte mich unbedingt zu Zürich holen. Also tauchte er eines Tages mit einem Koffer in der Hand bei uns zu Hause auf. Darin 50’000 Franken in Scheinen. So viel Geld hatten wir natürlich noch nie gesehen, denn wir waren ja eine Arbeiterfamilie. Und da wir acht Kinder waren, mussten meine Eltern immer aufs Geld schauen.

Sie widerstanden dem Geld. Warum?
Mir ging das alles zu schnell, ich wollte mich erst einmal beim FC Luzern durchsetzen, doch Nägeli gab nicht auf. Deshalb liess er das Geld über Nacht bei uns und sagte: «Vielleicht überlegt ihr es euch nochmals.» Als wir am nächsten Tag absagten, wurde das Geld wieder abgeholt.

Wie viel verdienten Sie dann bei Luzern?
Fürs erste Jahr erhielt ich 10’000 Franken, das war für mich «rüüdig» viel Geld, denn ich kam ja eben erst aus der Stifti als Schriftenmaler raus.

Das ist Kudi Müller

Die Spielerkarriere von Kudi Müller (73) im Schnelldurchlauf: Emmenbrücke (bis 1968), Luzern (1968–71), GC (1971/72), Hertha (1972–75), Servette (1975–77), YB (1977–81) und Kriens (1981–87). Am Ende seiner Karriere war er noch als Spielertrainer tätig. Erst mit 46 Jahren hörte er bei den Kickers Luzern endgültig auf.

Für die Nati bestritt er 41 Spiele und traf unter anderem gegen Deutschland und England.

Später wurde Müller Trainer. 1997 coachte er seinen Herzensklub, den FC Luzern. Doch auch hier blieb ihm ein grosser Titel verwehrt. Er verlor den Cupfinal gegen Sion 0:1.

Die Spielerkarriere von Kudi Müller (73) im Schnelldurchlauf: Emmenbrücke (bis 1968), Luzern (1968–71), GC (1971/72), Hertha (1972–75), Servette (1975–77), YB (1977–81) und Kriens (1981–87). Am Ende seiner Karriere war er noch als Spielertrainer tätig. Erst mit 46 Jahren hörte er bei den Kickers Luzern endgültig auf.

Für die Nati bestritt er 41 Spiele und traf unter anderem gegen Deutschland und England.

Später wurde Müller Trainer. 1997 coachte er seinen Herzensklub, den FC Luzern. Doch auch hier blieb ihm ein grosser Titel verwehrt. Er verlor den Cupfinal gegen Sion 0:1.

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Um viel mehr Geld ging es 1972, als Sie von GC zur Hertha in die Bundesliga wechselten.
Die Berliner zahlten GC 600’000 Franken. Das war für die damalige Zeit eine Wahnsinnssumme.

Damals gab es kaum Schweizer im Ausland. Wie wurden Sie in Deutschland empfangen?
Ich wurde an einer Pressekonferenz vorgestellt. Als ich reinkam, lag am Boden ein Ball und etwa 20 Meter entfernt ein geflochtener Papierkorb. Ich kickte den Ball mit dem linken Fuss locker rein. Alle staunten. Und ich sagte zu den Journalisten: «Habt ihr noch Fragen?» Doch keiner wollte noch was fragen, stattdessen applaudierten sie.

Ihr Trainer Helmut «Fiffi» Kronsbein soll weniger begeistert gewesen sein.
Er begrüsste mich mit den Worten: «Hallo Kuhschweizer, was willst du hier? Dich wollte ich gar nicht.» Das hat mich schon ein wenig schockiert. Was aber schön war: Als er Jahre später gehen musste, hatte er Tränen in den Augen und sagte, dass er einen solchen Spieler wie mich zuvor noch nie trainiert hätte.

Nehmen Sie uns mit in die Bundesliga der 70er-Jahre. Wie hart war es als Mittelstürmer?
Das war schon brutal. Einmal spielten wir gegen Rot-Weiss Essen mit Werner Lorant. Der hat geschlagen, getreten, gespuckt. Doch am Schluss hatte er den Ellbogen kaputt, weil ich ja so durchtrainierte Bauchmuskeln hatte (lacht).

Wer war der schlimmste Gegenspieler?
Katsche Schwarzenbeck und Berti Vogts. Das waren richtige Messerstecher. Doch das war damals normal. Vogts lief mir sogar nach, wenn ich den Ball zum Einwerfen holte. Einmal fragte ich ihn: «Was willst du hier?» Er: «Dich!» Ich: «Ruhe, ich entscheide jetzt dann gleich das Spiel.» So kam es dann auch. Also ging ich nach dem Spiel zu ihm hin und sagte: «Bist du jetzt zufrieden?» Da wollte er mir eine schmieren.

Einmal soll sich Vogts wegen Ihnen sogar übergeben haben.
Das war 1975 vor fast 100’000 Zuschauern im Berliner Olympiastadion. Wir gewannen gegen Gladbach dank zwei Toren von mir 2:1. Ich habe damals Vogts mit meinen Links-rechts-Kombinationen so schwindlig gespielt, dass es ihm schlecht wurde und er sich leicht übergeben musste. Danach sagte er in einem Interview: «Ich will nie mehr gegen diesen Müller spielen.» Dabei meinte er nicht Gerd Müller, sondern mich. Das machte mich schon ein bisschen stolz.

Haben Sie sich gegen die knüppelharten Verteidiger gewehrt?
Natürlich. Kam einer halbhoch angerutscht, sprang ich auf und landete natürlich völlig unabsichtlich mit beiden Füssen auf ihm. Dann sagte ich jeweils: «Komm, rutsch doch noch mal.» Oder wenn mich einer von hinten umarmt hat, legte ich den einen Ellbogen angewinkelt nach hinten und haute mit der einen Hand so fest auf die andere drauf, dass es ihm den Ellbogen voll in den Solarplexus rammte. Da konnte der Verteidiger dann schon mal ein paar Minuten mit Schmerzen am Boden liegen. Das Gute daran: Der kam mir danach nicht mehr näher.

Als Sie für die Hertha spielten, war Berlin noch zweigeteilt. Waren Sie manchmal in der DDR?
Ja klar, dort konnte man für die Hälfte supergut essen. Ich hatte dabei aber immer ein mulmiges Gefühl. Man wusste ja nie zu 100 Prozent, ob die einen an der Grenze wieder rüber in den Westen lassen. Speziell war auch, als ich nach dem Transfer mit meinem hellblauen VW Käfer von Luzern nach Berlin fuhr. Da musste man ja durch die DDR fahren. An der Grenze wurden wir sehr genau kontrolliert. Mit Spürhunden und technischen Geräten.

Sind Sie mal abgehört worden?
(Lacht.) Ja, aber nicht von der DDR, sondern von unserem Trainer. Wir waren in der Kabine und diskutierten miteinander. Auf einmal sagte einer: «Schau mal den Kugelschreiber auf dem Fenstersims. Da ist doch bestimmt eine Wanze drin.»

Was machten Sie?
Spieler Luggi Müller ging zum Kugelschreiber und schrie hinein. Da sahen wir, wie aus dem Zimmer nebenan der Kronsbein mit hochrotem Kopf rausstürmte. Der hatte uns doch tatsächlich abgehört. Das war eine legendäre Szene.

1975 kehrten Sie in die Schweiz zurück. Was auffällt: Sie haben nie einen Titel gewonnen. Schmerzt das?
Damals hat das schon genervt. Ich wurde Vizemeister mit GC, mit Servette, mit Hertha. Und ich stand dreimal in einem Cupfinal. Trotzdem bin ich zufrieden. Ich habe ja aus Freude Fussball gespielt und dabei noch gut verdient. Und mit Emmenbrücke wurde ich mal Schweizer Meister in der 1. Liga. Das ist ja auch ein Titel. Und habe ich nicht mal mit Servette den Liga-Cup gewonnen? Ich weiss es nicht mehr.

Was ebenfalls auffällt: Sie waren während Ihrer ganzen Karriere nie ernsthaft verletzt. Nur ein Zufall?
Mein ganzer Körperbau war perfekt für den Fussball. Beim Einlaufen ging ich dreimal in die Hocke, und schon war ich parat fürs Spiel.

Stimmt die Anekdote, dass Sie wegen Ihrer Frau einst ein Angebot des FC Sevilla abgelehnt hatten?
(Lacht.) Naja, zumindest halbwegs. Ich hörte damals tatsächlich vom Interesse der Spanier. Doch für mich als Schweizer war schon der Sprung nach Deutschland beträchtlich. Darum wollte ich nicht schon wieder in ein neues Land wechseln. Deshalb sagte ich ab, mit der Begründung, dass bei Sevilla Johnny Rep spiele, der Lieblingsfussballer meiner Frau. Ich wolle daher nicht meine Beziehung aufs Spiel setzen. Das war natürlich augenzwinkernd gemeint.

Sie sollen aber schon ab und zu ein Spässchen gemacht haben. Wie war das mit dem Nati-Car?
Wir haben den mal weggefahren und versteckt. Als der Chauffeur rauskam, war der Car nicht mehr da, und er bekam Panik. Da sagte ich ihm, er solle einfach den Spuren folgen, es hatte aber keine. Es hat dann ein bisschen gedauert, bis er merkte, dass wir ihn versteckt hatten.

Nach Ihrer Spielerkarriere wurden Sie Trainer. Mit mässigem Erfolg.
1997 wurden Sie bei Ihrem Herzensklub Luzern sogar entlassen.
Das hat schon geschmerzt. Aber was will man machen? Als Trainer ist man von anderen abhängig. Und ich habe eine Karriere als Trainer gar nicht gross gesucht. Ich genoss früher die Zeit mit den vier Kindern und heute mit den fünf Enkeln, und bis 2019 hatten wir ja noch unser eigenes Sportgeschäft.

Wie sieht Ihr Leben heute aus?
Wie gesagt, ich verbringe Zeit mit meinen Enkeln oder in der Natur. Ich versuche, pro Tag zwischen ein und zwei Stunden zu laufen.

Eine letzte Frage: Sind Sie eigentlich auf Cristiano Ronaldo sauer?
Warum sollte ich?

Weil er Ihnen etwas Bestimmtes nachgemacht hat?
Jetzt weiss ich, worauf Sie hinauswollen. Ja, Ronaldo war nicht der erste bekannte Fussballer, der Werbung für Unterwäsche gemacht hat. Das war ich! Ich habe damals für Calida Aufnahmen gemacht, nur mit einem «Unterhösli» an!

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