Migros mit geschmackloser Maradona-Aktion
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Traurige Nachricht:Diego Maradona (†60) ist tot!

«Der Ball hat aufgehört zu rollen»
Das unglaubliche Leben von Diego Maradona (†60)

Er ist dem Tod mehr als einmal von der Schippe gesprungen. Jetzt ist Maradona gestorben. Aber in Argentinien bleibt Diego unsterblich.
Publiziert: 25.11.2020 um 19:59 Uhr
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Aktualisiert: 25.11.2020 um 23:02 Uhr
Diego Armando Maradona ist 60-jährig verstorben.
Foto: AFP
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Martin Arn

Argentinien weint. Seit acht Monaten gelten strikte Ausgangsbeschränkungen. Argentinien stöhnt unter der schwersten Wirtschaftskrise seit dem 2. Weltkrieg. Doch die Nachricht, die am Mittwoch kurz vor 13 Uhr das Land erreicht, erschüttert die Gesellschaft in ihren Grundfesten. Diego Maradona, Argentiniens grösster Fussballer, vielleicht sogar der grösste der Geschichte, ist tot. Gestorben an einem Herzstillstand. Keine vier Wochen nach seinem 60. Geburtstag. Erst gerade war ihm ein Gerinnsel aus dem Kopf operiert worden.

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Dutzende Kamerateams vor Diegos Haus

Sämtliche TV-Stationen unterbrechen ihr Programm an diesem Mittwochmittag (Ortszeit). Um 14 Uhr gleicht die Einfahrt vor dem Haus von Diego Maradona im Stadtteil Tigre, einem noblen Vorort von Buenos Aires, einem Irrenhaus. Dutzende Kamerateams stehen sich gegenseitig auf den Füssen. Und jede Minute fahren weitere Journalisten vor.

«Todo Noticias», Argentiniens wichtigster Nachrichtensender, titelt: «Paró la bocha» – die Kugel steht still.

In Argentinien hört die Welt tatsächlich für einen Moment auf, sich zu drehen.

Grösser als Evita, grösser als Che Guevara

Der Junge aus dem armen Vorort Villa Fiorito hat Argentinien die grössten Glückgefühle beschert. Diego war grösser als Evita. Grösser als Che Guevara.

Nie zuvor und nie danach war ein Spieler bei einem WM-Turnier derart dominant wie Maradona 1986 in Mexiko, als die Gauchos den Titel gewannen. Diego hatte eine durschnittliche Mannschaft im Alleingang zum Weltmeister gemacht.

Ganz Napoli lag ihm zu Füssen

Auch in Napoli lag ihm die ganze Stadt zu Füssen. 1987 und 1990 holten die Süditaliener Dank Maradonas linkem Zauberfuss zweimal den Meistertitel.

Argentiniens Präsident Alberto Fernandez dekretiert zwei Stunden nach Maradonas Tod eine dreitägige Staatstrauer. Und dies mitten in der Pandemie, die das südamerikanische Land so schlimm trifft wie kaum ein anderes.

Diego wuchs ohne fliessend Wasser auf

Im Alter von 15 Jahren zieht Diego, der ohne fliessendes Wasser aufgewachsen ist, in die Hauptstadt und unterschreibt bei Argentinos Juniors seinen ersten Profivertrag. 1981 wechselte Maradona zu Boca Juniors.

Im darauffolgenden Sommer hätte er der Superstar der WM in Spanien werden sollen. Doch in der Zwischenrunde verlor Argentinien gegen Italien und dann gegen Brasilien. Im Südamerika-Klassiker sah Diego nach einer wüsten Kung-Fu-Einlage Rot.

Hepatitis setzte Maradona ausser Gefecht

Auch sein Wechsel zu Barcelona nach der WM steht unter einem schlechten Stern. Eine Hepatitis setzte ihn für drei Monate ausser Gefecht.

Dann, in der Saison 1983/84, erlangt Andoni Goikoetxea (Übername: «Der Metzger») von Athletic Bilbao zweifelhaften Ruhm, als er Maradona den linken Knöchel bricht. Maradona fällt erneut monatelang aus.

Als Diego zum Rückspiel gegen Athletic gerade wieder fit geworden ist, initiiert er nach dem Schlusspfiff eine Massenschlägerei, wie man sie bis dahin im spanischen Fussball noch nie gesehen hatte. Spieler, Betreuer und Funktionäre gehen aufeinander los. Am Schluss zählt man 60 Verletzte.

Maradona wird für drei Monate gesperrt und flüchtet nach Neapel.

80'000 schauen Diegos Kunst zu

Als Maradona am 5. Juli 1984 auf dem Rücksitz eines VW Golf durch die engen Strassen Neapels zum Stadion San Paolo gefahren wird, steht die Stadt Kopf. 80'000 schauen zu, wie Diego ein paar Mal den Ball jongliert.

Das Video, als Maradona mit ungeschnürten Schuhen beim Einlaufen vor dem Uefa-Cup-Rückspiel 1989 in München zum Hit «Live Is life», der über die Stadionlautsprecher läuft, den Ball hochlöffelt und minutenlang jongliert, gehört zum Besten, was man auf Youtube je gesehen hat.

Maradona ist Ende der Achtzigerjahre auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Doch der Ruf wird grösser als der Mann.

Wilde Koks-Partys mit Prostituierten

Maradona feiert von Montag bis Donnerstag wilde Koks-Partys mit Prostituierten und Champagner, oftmals erscheint er erst zum Abschlusstraining wieder in Fussballklamotten. Er umgibt sich mit Mafiosi, trägt Pelzmantel und jeden Tag eine andere Rolex.

Das geht solange gut, wie Napoli am Wochenende siegt. Und bis er die Italiener bei deren Heim-WM 1990 ausgerechnet im Stadion von Neapel aus dem Turnier wirft.

Im Endspiel gegen Deutschland haben Maradona und seine Argentinier das ganze Stadion gegen sich. «Verdammte Hurensöhne», sagt Diego zu seinem Nebenmann, als sich die Argentinier vor dem Anpfiff hinstellen für die Hymne, die von 74'000 Menschen gnadenlos niedergepfiffen wird.

Erster positiver Koks-Test

Im März 1991 wird Diego nach einem Spiel gegen Bari erstmals positiv auf Kokain getestet. 15 Monate Sperre. Der Anfang vom Ende.

Vor der WM-Endrunde 1994, nachdem Argentinien zu Hause gegen Kolumbien mit 0:5 verloren hat, setzt sich der damalige argentinische Präsident Carlos Menem persönlich dafür ein, Diego ins Nationalteam zurückzuholen.

Diego schiesst mit Luftgewehr auf Journis

Im Trainingslager vor der WM schiesst Maradona mit einem Luftgewehr auf Journalisten.

Beim Turnier in den USA der nächste positive Dopingbefund, worauf Diego tränenreich mitteilt, man habe ihm «die Beine abgeschnitten». Es ist der erste Tod des Fussballers Diego Armando Maradona.

Doch Diego kehrt noch einmal aufs Feld zurück. Für Boca Juniors, seinen Herzensklub. Das spektakulärste Bild aus dieser Zeit zeigt ihn, wie er seinen Teamkollegen Claudio Caniggia nach einem Tor auf den Mund küsst. An seinem 37. Geburtstag tritt er endgültig zurück.

2000 fast an Koks gestorben

Doch stiller wird es nicht um ihn. Diego gerät völlig ausser Rand und Band. Im Jahr 2000 wäre er nach einer Überdosis Kokain und drei durchgefeierten Nächten beinahe gestorben. Die Ärzte sagen, seine Herzkapazität betrage noch 30 Prozent.

Diego versucht sich als Trainer der argentinischen Nationalmannschaft.

Nach der glücklichen WM-Qualifikation für das Turnier 2010, dank eines Glückstors im strömenden Regen von Buenos Aires, beleidigt Diego die Journalisten auf der Pressekonferenz aus Übelste. «Diejenigen, die nicht an uns geglaubt haben, sollen sich einen blasen lassen», pöbelt Diego in die Mikrophone.

Nach erfolglosen Abenteuern als Trainer in den Arabischen Emiraten verschlägt es Diego vor zwei Jahren zum mexikanischen Zweitligisten Dorados de Sinaloa, wo auch das mächtigste Drogenkartell der Welt beheimatet ist.

Völlig desorientiert

Zuvor, etwa bei der WM 2018, hatte man einen völlig desorientierten Diego gesehen, der auf dem VIP-Balkon Nigerianer und Südkoreaner beleidigte, und dem das aufgeschwemmte Gesicht im Sekundenschlaf wegnickte. Maradona war eine Karikatur seiner selbst, dick wie ein Regenfass, trotz Magenband.

Dann gab es dieses Interview aus dem Auto, als Diego bei laufendem Motor vor sich hinlallte und auch argentinische Reporter kaum ein Wort verstanden.

Tochter Giannina: «Sie bringen ihn langsam um!»

Der letzte Hilferuf kommt vor einem Jahr, nach Maradonas 59. Geburtstag, von seiner Tochter Giannina, als Diego, umgeben von falschen Freunden, stockbetrunken im Wohnzimmer tanzt. «Sie bringen ihn langsam um, und er merkt es nicht», schrieb sie auf Instagram.

Zuletzt war Diego Trainer beim argentinischen Erstligisten Gimnasia de La Plata. Die Einheiten leitete Maradona zumeist sitzend, selbst für kurze Strecken musste er den Golfkart nehmen.

Kurz nach seinem 60. Geburtstag am 30. Oktober muss sich Maradona notfallmässig ein Gerinnsel aus dem Kopf entfernen lassen.

Am 11. November wird er aus dem Krankenhaus entlassen. Seine Töchter aus erster Ehe machen sich Sorgen. Sein Gesundheitszustand sei prekär.

«Zeit zu weinen»

Am Mittwochvormittag erleidet Diego einen Herzstillstand. Seine Krankenpfleger und ein Nachbar versuchen ihn wiederzubeleben. Ohne Erfolg. Kurz nach 12 Uhr Ortszeit hört sein Herz endgültig auf zu schlagen.

Der Nachrichtensender «Todo Noticias» lässt die Zuschauer für mehrere Minuten alleine mit Bildern von Diego. Ohne Ton.

«Zeit zu weinen», sagt die Moderatorin. Jeder dürfe sich nun seine eigene Gedanken zu Maradona machen und sein Andenken in Ehren halten.

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