Compliance-Expertin über Infantinos Katar-Kommunikation
«Das ist ungeschickt»

Gianni Infantino wohnt jetzt in Katar. Dies hat der Fifa-Chef erst aufgrund von SonntagsBlick-Recherchen bestätigt. Die international führende Compliance-Expertin Sylvia Schenk hat für die defensive Kommunikation des Weltverbandes kein Verständnis.
Publiziert: 22.01.2022 um 17:29 Uhr
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Aktualisiert: 22.01.2022 um 21:30 Uhr
Interview: Steffi Buchli und Andreas Böni

Frau Schenk, Gianni Infantino zieht nach Katar und informiert die Öffentlichkeit nicht darüber. Nicht sehr transparent, oder?
Sylvia Schenk: Ich habe mich vorher nicht für die Umzüge im Leben von Gianni Infantino interessiert. Aber Katar, in der Tat, das hat natürlich eine andere Qualität.

Infantino war es sehr unwohl, als wir ihn letzte Woche mit unserer Recherche konfrontierten, die belegt, dass sein Lebensmittelpunkt neu Katar ist. Zuvor hat er einen Umzug dementiert – auch gegenüber diesem Medium. Wie erklären Sie sich die Geheimniskrämerei des Präsidenten?
Das kann ich mir nicht erklären. Als Fifa-Präsident muss er sich bewusst sein, dass so ein Umzug nie geheim bleiben wird. Mit dieser abwehrenden Kommunikation schadet er sich nur, das ist ungeschickt. Ich beobachte das bei Verbänden oft, sei es Fifa, Uefa oder DFB. Die meinen, sie können Dinge tun und niemand merkts. Sie kommunizieren nicht aktiv, sondern reaktiv. Das machen sie halt oft falsch.

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Sind Infantino und die Fifa diesbezüglich beratungsresistent?
Schauen Sie, ich bin seit 50 Jahren im Sport. Davon kommen die grossen Figuren und Institutionen offenbar nie los. Auch die Fifa nicht: Wenn Kritik von Medien kommt, ist man sofort genervt. Man fühlt sich schnell missverstanden, statt sich ins Gegenüber reinzudenken. Das ist nicht immer böser Wille. Sie sehen die unterschiedlichen Rollen nicht. Und, klar: Manchmal ist es auch einfach nur Arroganz.

Sylvia Schenk von Transparency International Deutschland.
Foto: Getty Images
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Was sendet Gianni Infantino für ein Signal, wenn er fast täglich Bilder von sich veröffentlicht, wie er dort die Reichen und Mächtigen trifft?
Wenn ich es ganz platt sage, dann spricht das für mangelndes Selbstbewusstsein. Sonst müsste er sich doch nicht mit solchen Leuten brüsten. Das ist aber eher Küchenpsychologie.

Das ist Sylvia Schenk

Sylvia Schenk (69) ist Juristin, arbeitet seit 2006 ehrenamtlich für die Organisation Transparency International Deutschland, die sich gegen Korruption einsetzt. Sie leitete dort von 2014 bis 2021 die «Arbeitsgruppe Sport». Die frühere Mittelstreckenläuferin gilt als international führende Compliance-Expertin. Sie sass vier Jahre lang im unabhängigen Fifa-Beirat für Menschenrechte, auch dies ehrenamtlich: «Nur Fahrtkosten wurden uns erstattet.» Schenk ist für ihre Verdienste mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden.

Sylvia Schenk (69) ist Juristin, arbeitet seit 2006 ehrenamtlich für die Organisation Transparency International Deutschland, die sich gegen Korruption einsetzt. Sie leitete dort von 2014 bis 2021 die «Arbeitsgruppe Sport». Die frühere Mittelstreckenläuferin gilt als international führende Compliance-Expertin. Sie sass vier Jahre lang im unabhängigen Fifa-Beirat für Menschenrechte, auch dies ehrenamtlich: «Nur Fahrtkosten wurden uns erstattet.» Schenk ist für ihre Verdienste mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden.

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Reden wir über Katar. Wie ist die Situation im Land aus Ihrer Sicht? Wie hat sie sich entwickelt?
Ich beobachte die Situation seit der Vergabe 2010. Katar war für die westlichen Gesellschaften ein weisser Fleck, man hat sich nicht für die Migrantenarbeiter interessiert. Die Vergabe hat das Land in den Fokus gerückt und unter anderem den Gewerkschaften die Möglichkeit eröffnet, die Situation der Migrantenarbeiter auf die Agenda zu setzen. Die Fifa hat zuerst wie üblich reagiert und eine weiter gehende Verantwortung abgestritten: «Wir mieten da ja nur für einen Monat die Stadien.» Erst der internationale Druck hat dazu geführt, dass Herr Blatter 2015 einen Report beauftragt und die Verankerung der Menschenrechte in den Statuten eingeleitet hat. Seither kümmert sich die Fifa um die Situation in Katar.

Katar selber hat eine nationale Strategie: Katar 2030 – man will die Rohstoff-Abhängigkeit verringern, sich weiterentwickeln. Um sich weiterzuentwickeln, ist natürlich Sport ein gutes Vehikel.
Das Emirat hat erst Mitte der 90er-Jahre Erdgasfelder erschlossen und ist damit zu Geld gekommen. Weil die Ressourcen endlich sind, muss die Zukunft abgesichert werden, was die Reformkräfte im Land vorantreiben. Diese sollten wir unterstützen. Katar ist führend in der Region, aber noch nicht so weit, wie es Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen zu Recht fordern. Die Umsetzung braucht Zeit, aber es bewegt sich was, und das ist gut.

Zurück zu Infantino. Er hat sich bei seinem Amtsantritt als Reformierer gegeben. Wie schätzen Sie seine Bilanz diesbezüglich ein?
Gut, da ist Infantino, der vorne rumturnt, da ist aber auch die Arbeit, die die Beschäftigten der Fifa machen. Sprechen wir zuerst darüber. Infantino lässt seine Leute arbeiten, er hält ihnen den Rücken frei. Auch wenn die Weichen bei seinem Amtsantritt schon auf Reform gestellt waren und er selber nicht so viel in Gang gebracht hat, ist dies wichtig. Umso ärgerlicher, wenn er durch sein Verhalten, zum Beispiel den Umzug nach Katar, dann riskiert, alles in Misskredit zu bringen.

Infantino ist mit seiner Charmeoffensive gegenüber Katar oder auch Saudi-Arabien nicht alleine. Was kommt da noch auf den Sport zu?
Die Sportverbände gieren doch nach dem Geld aus diesen Ländern, da steht die Fifa nicht alleine. Ich werde derzeit viel zu Peking 2022 gefragt. In China hat die Repression seit der Vergabe der Winterspiele noch deutlich zugenommen, dem IOC wird vorgeworfen, zur dortigen Menschenrechtslage zu schweigen. Was in dem kleinen Katar mit internationaler Kooperation in Gang gebracht wurde, lässt sich auf ein Riesenland wie China nicht einfach übertragen. Umso mehr braucht das IOC endlich ein Konzept für die Gratwanderung zwischen dem unverzichtbaren Beitrag zum friedlichen internationalen Miteinander und der Vereinnahmung durch autokratische Regimes.

Es geht am Ende ja immer um Geld. Ob bei den Fussballklubs oder bei der Fifa. Es wurde immer mehr und mehr. Man hat sich an ein sehr hohes Level gewöhnt. Die Vermarktungssummen sind fast schon absurd.
Wenn Oligarchen und Scheichs Traditionsvereine kaufen, verstehe ich den Aufschrei der Fans. Manche freuen sich aber auch, dass ihr Klub gerettet wird. Insgesamt wird die Schere zwischen Arm und Reich auf der Welt aktuell grösser. Wenn der Fussball global sein will, muss er verhindern, dass immer mehr Länder abgehängt werden. Entweder gibt es dafür zusätzliches Geld, also mehr Einnahmen bei der Fifa, oder es muss umverteilt werden. Wie sonst sollen der Frauenfussball, die Jugend usw. weltweit vorangebracht und zum Beispiel sexueller Missbrauch im Fussball bekämpft werden? Die Fifa knüpft die Förderung der nationalen Verbände inzwischen an entsprechende Bedingungen und kontrolliert die Verwendung stärker als früher. Man muss nicht so viel verdienen wie Neymar oder Messi, es geht auch mit weniger. Die Frage ist nur: Wie schafft es der Fussball, diesen «Immer mehr»-Teufelskreis zu durchbrechen? Das Rezept dafür habe ich auch noch nicht.

In zwei Monaten wird der neue DFB-Präsident gewählt. Sie waren auch ein Thema. Warum wird das nun doch nichts?
Ich wollte nie langfristig Präsidentin werden, sondern habe vorgeschlagen, dass der DFB eine Art Übergangspräsidium einsetzt, um die Vergangenheit aufzuarbeiten und die Baustellen wegzuräumen. Das hätte ich mit anderen zusammen für ein paar Monate gemacht. Dann hätte im März dieses Jahres ein neues Präsidium unbelastet von alten Querelen starten können. Aber selbst wirklich Präsidentin zu werden? Dafür bin ich mit 69 zu alt. Nein danke.

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