Christian Stucki blickt auf sein Königsjahr zurück
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«Nicht anders wie zuvor»:Christian Stucki blickt auf sein Königsjahr zurück

König Stucki – Mein Jahr auf dem Thron
«Vielleicht bekomme ich jetzt noch mehr böse Briefe»

Heute vor einem Jahr hat Christian Stucki in Zug den Schwinger-Thron erobert. Im Gespräch mit BLICK verrät der König, dass er neben unzähligen Sympathiebekundungen auch ein paar böse Briefe erhalten hat.
Publiziert: 25.08.2020 um 15:02 Uhr
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Aktualisiert: 24.12.2020 um 12:40 Uhr
Marcel W. Perren

Christian Stucki, hat sich Ihr Leben durch den Titel Schwingerkönig gravierend verändert?
Christian Stucki: Es kennen mich jetzt halt noch ein bisschen mehr Leute als zuvor. Und natürlich werden mit diesem Titel Türen für mich aufgehen, die früher zugeblieben wären. Aber ich bin nach wie vor nicht der Typ, der scharf ist auf die Teilnahme an glamourösen VIP-Veranstaltungen. Ich will ein genauso bodenständiges Leben führen wie vor dem Königstitel. Und das ist mir bis anhin auch gelungen, ich habe mich, glaube ich, nicht verändert.

Wie haben Sie Ihren Sommerurlaub verbracht?
Ich habe mit meiner Frau und den beiden Buben von zu Hause aus einige sehr schöne Tages­ausflüge gemacht. Wir sind an den Schwarzsee zu dem Platz gefahren, wo normalerweise im Juni der Bergschwinget ausgetragen wird. Wir haben Matthias Sempach im Entlebuch besucht, der in seinem Bauernhaus eine prächtige Schwingerstube gebaut hat. Und natürlich sind wir auch ins Zugerland gereist. Wir haben dort die ehemaligen Besitzer meines Königs- Munis Kolin besucht, die mir ein wunderschönes Fotobuch geschenkt haben. Selbstverständlich haben wir dann auch noch beim Areal angehalten, auf dem ich vor einem Jahr zum König gekrönt wurde. Dort erinnert fast nichts mehr an das grosse Schwingfest. Da, wo die Sägemehlringe platziert waren, wachsen jetzt Obstbäume.

War die Rückkehr an den Ort Ihres grössten Triumphes für Sie besonders emotional?
Ich habe gespürt, dass ich hier etwas ganz Besonderes vollbracht habe. Aber vor meinem geistigen Auge ist in diesem Moment nicht der Film des Wettkampfs abgelaufen.

Seit einem Jahr sitzt Christian Stucki auf dem Schwinger-Thron.
Foto: PHILIPP SCHMIDLI | Fotografie
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Wie oft haben Sie sich Ihren königlichen Wettkampf in den letzten Monaten im Fernsehen angeschaut?
Schon einige Male. In unserem Haus gibt es eine Wand, auf der die schönsten Fotos des Eidgenössischen in Zug platziert sind. Manchmal ist es so, dass ich beim Betrachten dieser Fotos das Verlangen bekomme, die dazugehörenden TV-Bilder zu sehen. Ich schaue mir dann meistens die ersten beiden Gänge gegen Pirmin Reichmuth und Christoph Bieri sowie den Schlussgang gegen Joel Wicki besonders genau an. So richtig entspannen kann ich dabei allerdings nicht.

Warum nicht?
Ich fühle mich dabei ungefähr so, wie wenn ich mir einen Hollywood-Streifen reinziehe – obwohl ich weiss, dass es ein Happy End geben wird, komme ich phasenweise richtig ins Fieber. Ganz besonders, wenn ich die Aufnahmen vom Zweikampf gegen Christoph Bieri sehe, den ich bis zu dieser Begegnung noch nie besiegen konnte. Wenn ich die Startphase dieses Duells anschaue, beginne ich mich über mich zu ärgern. Ich denke mir: «Chrigu, was machst du da? Warum ziehst du nicht mehr?!» Umso schöner ist die letzte Sequenz dieses Ganges: Nachdem ich Bieri erstmals besiegen konnte, sagte er mir: «Zieh dein Ding durch und hol dir die Krone!» Eine wunderschöne Geste von Christoph.

Ihr Triumph hat die meisten Schweizerinnen und Schweizer gefreut. Haben Sie auch negative Reaktionen erhalten?
Ja. Ich habe ein paar Briefe von Leuten erhalten, die der Meinung sind, dass ich ein unwürdiger König sei, weil Joel Wicki in ihren Augen nicht zu Genüge auf dem Rücken lag. Aber jedes Mal, wenn ich mir diesen Schlussgang anschaue, komme ich für mich zum Schluss, dass dieses Resultat schon in Ordnung geht. Und ich denke, dass das jeder, der sich im Schwingen auskennt, auch so sieht. In unserem Regulativ steht geschrieben, dass ein Resultat gültig ist, wenn der Rücken des Unterlegenen zu zwei Dritteln das Sägemehl berührt. Und das war meiner Meinung nach bei Joel der Fall. Aber vielleicht erhalte ich nun ja wieder ein paar böse Briefe.

Müssen Sie sich auch bei Ihren öffentlichen Auftritten nervige Sprüche anhören?
In den meisten Fällen begegnen mir die Leute mit enorm viel Anstand. Aber natürlich kommt es ab und zu auch vor, dass gewisse Leute an einer Veranstaltung nach ein paar Gläsern Alkohol derart übermütig werden, dass sie glauben, sie könnten mich zu einem Hosenlupf herausfordern. Ich lasse solche Typen ein paar Mal am Gurt ziehen, bis ich irgendwann ein bisschen ernster dreinschaue und sage: «Du willst es nicht erleben, wenn ich richtig zupacke!» Danach herrscht meistens Ruhe.

Welches ist für Sie die beeindruckendste Begegnung seit Ihrer Krönung in Zug?
Ich bin in den Genuss von sehr vielen schönen Begegnungen gekommen, aber der absolute Höhepunkt war für mich schon das Treffen mit Roger Federer. Ich habe wie die meisten Schweizer zwanzig Jahre vor der Flimmerkiste mit ihm mitgefiebert, und dann durfte ich plötzlich anlässlich der Swiss Indoors länger mit ihm plaudern. Später hat er mir dann auch noch ein hand­signiertes Racket geschenkt. Sehr gefreut habe ich mich auch über die Aktion meines Herzensvereins YB, der mir Jahreskarten geschenkt hat.

Nach Ihrem Sieg bei der Wahl zum Sportler des Jahres waren Sie wegen des riesigen Rummels am Anschlag. Kam Ihnen der pandemiebedingte Ausfall der Schwingsaison entgegen?
Ich war damals tatsächlich am Anschlag. Weil ich kurz darauf aber Urlaub genommen habe, konnte ich wieder Kraft tanken und hätte deshalb in diesem Sommer sehr gerne Schwing­feste bestritten. Ich gebe auch zu, dass ich die schwingerische Lockdown-Phase auch genossen habe. Normalerweise bin ich an vier bis fünf Abenden pro Woche unterwegs, nun konnte ich viel mehr Zeit zu Hause verbringen. Und an den Sonntagen, wo ich im Normalfall in aller Herrgottsfrühe aufstehe, damit ich rechtzeitig zum Anschwingen erscheine, konnte ich endlich wieder ausschlafen.

Ihre Kollegen Pirmin Reichmuth und Armon Orlik beantragten beim Eidgenössischen Verband ein Geister-Schwingfest, das aber abgeschmettert wurde. Auch Sie haben sich als König gegen diesen Geister-Schwinget ausgesprochen.
Ich wollte mir das erste Geisterspiel von YB im TV anschauen, aber ich habe nach fünf Minuten wieder weggezappt, weil mir die wunderbaren Emotionen von den Rängen, die stimmungsvollen Gesänge der Fans gefehlt haben. Und deshalb bin ich froh, dass ich in diesem Jahr nicht vor leeren Rängen schwingen musste. Gleichzeitig muss ich aber auch eingestehen, dass sich der Schwingsport kaum ein weiteres Jahr ohne Wettkampf wird leisten können. Falls sich die Corona-Lage bis im nächsten Sommer nicht entspannt, werden wohl oder übel auch wir Geister-Wettkämpfe bestreiten müssen.

Warum?
Es kann schon nicht sein, dass ein Schwinger zwei Jahre lang das volle Trainingspensum absolviert und keine Wettkämpfe bestreiten kann. Eine derart lange Wettkampfpause könnte nicht zuletzt dazu führen, dass sich viele talentierte Nachwuchsschwinger eine andere Sportart aussuchen. Und das darf definitiv nicht passieren.

Der ESV hat im nächsten Jahr in Appenzell und Kilchberg gleich zwei Eidgenössische Veranstaltungen im September geplant.
Ich finde diese Terminplanung nicht besonders glücklich. Ich hätte es gerne gesehen, wenn man das Jubiläumsfest in Appenzell im Juni angesetzt hätte. Aber nun finden die beiden Saisonhöhepunkte innerhalb von drei Wochen im September statt, das ist meiner Meinung nach zu viel des Guten. Wenn sich ein Schwinger Mitte August gröber verletzt, wird er bei beiden Highlights zuschauen müssen. Der nächste Saisonplan ist für uns Schwinger aber auch deshalb problematisch, weil der Kilchberger am 25. September zu einem Zeitpunkt stattfinden wird, wo wir normalerweise in die Ferien verreisen, weil die Kinder zu diesem Zeitpunkt schulfrei haben. Und weil wir Schwinger im Gegensatz zu anderen Sportlern ja noch ganz normale Berufe ausüben, sind wir bei der Urlaubsplanung nicht ganz so flexibel.

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