«Solange ich Freude habe, fahre ich weiter»
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Aegerter im Interview:«Solange ich Freude habe, fahre ich weiter»

«Es gibt Groupies, die speziell sind»
Töff-Weltmeister Aegerter offen wie nie

Abseits des GP-Zirkus rockte Dominique Aegerter die 2. Liga des Töff-Sports und wurde erstmals Weltmeister. Der Töff-Star über fehlende Anerkennung, Partys, Groupies, die Todesgefahr und seine Zukunft.
Publiziert: 26.12.2021 um 11:21 Uhr
Matthias Dubach (Interview) und Benjamin Soland (Fotos)

Sie sind Töff-Weltmeister geworden, waren aber auch frustriert. Das müssen Sie erklären!
Dominique Aegerter: Ich hatte gehofft, dass die Resonanz grösser ist. Es gab eine Phase, als ich sechs Rennen in Folge gewonnen habe. Doch im Fernsehen kam nichts, auch in anderen Medien wurde kaum berichtet. Da war ich enttäuscht. Ich wurde sogar oft von Leuten gefragt, warum ich neben der elektrischen Moto E nicht wieder Benzin-Töffs fahre.

Dabei haben Sie die Supersport-WM mit Benzin im Tank gewonnen.
Das haben viele Leute einfach nicht mitgekriegt. Die Aufmerksamkeit ist aber besser geworden, als das Schweizer Fernsehen immerhin die letzten drei Rennwochenenden live gezeigt hat.

Sie sind in Argentinien Weltmeister geworden, niemand aus Ihrer Familie konnte dabei sein. Haben Sie überhaupt gefeiert?Die Party war richtig geil! Um 21 Uhr sind wir noch von San Juan nach Buenos Aires geflogen. Dort sind wir um Mitternacht in die Stadt gefahren. Das ganze Team war dabei, die Party ging in einem Club bis morgens um 6 Uhr voll ab.

Eine Saison voller Pokale und Medaillen: Dominique Aegerter wird Weltmeister in der Supersport-WM und Vize-Champion in der MotoE.
Foto: BENJAMIN SOLAND
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Stecken Sie das Feiern noch wie früher weg?
Ich kann es auch heute noch krachen lassen (schmunzelt). Aber ich bin seriöser geworden. Als 18-Jähriger bin ich fast jedes Wochenende weg, um 4 Uhr heimgekommen und dann dennoch um 8 Uhr zum Training. Heute bin ich froh um genug Schlaf.

Sie müssen es nun wissen: Hat ein Weltmeister Groupies?
Es ist nicht grad so, dass Groupies Schlange stehen. Aber es kommt tatsächlich vor. Ich treffe immer wieder spezielle Frauen …

Die natürlich wissen, dass Sie Single sind …
Na ja, die einfach speziell sind. Frauen, die mir nachreisen. Die irgendwie Wege finden, mich zu treffen.

Kann das lästig werden?
Manchmal sind solche Treffen schön. Aber manchmal wird es crazy, wenn Frauen stundenlang warten oder probieren, im Flieger den Sitzplatz neben mir zu buchen. Oder wenn sie versuchen, im gleichen Hotel abzusteigen. Aber grundsätzlich ist die Unterstützung meiner weiblichen Fans grossartig. Ich versuche immer, ihnen etwas zurückzugeben.

Was auch mal eine Einladung ins Hotelzimmer sein kann?
Das habe ich nicht gesagt (lacht).

Aegerter persönlich

Dominique Aegerter (31) wächst in Rohrbach BE als Sohn eines Garagisten auf und fährt als Kind Motocross. Als 12-Jähriger wechselt er in den Strassensport, 2006 gibt der Berner sein Debüt in der 125-ccm-WM. Ab 2010 startet der Schweizer wie Tom Lüthi in der neuen Moto2-Klasse, wo Aegerter 2013 und 2014 vorne mitfährt und auf dem Sachsenring seinen einzigen GP-Sieg feiert.

Ab 2016 kommen nach insgesamt sieben Podestplätzen keine weiteren dazu. Aegerter trennt sich von seinem Förderer Olivier Métraux und fährt neu für ein deutsches Team. Sein Sieg 2017 in Misano wird ihm nachträglich wegen illegalem Öl aberkannt, dazu verstirbt Teamchef Stefan Kiefer völlig überraschend.

Aegerter muss 2018 und 2019 mit viel eigenem Geld seine GP-Karriere am Leben erhalten, fährt aber hinterher. Dann das Aus im GP-Sport. 2020 bleibt nur noch ein Job in der MotoE, erst für 2021 findet er in der seriennahen Supersport-WM (600 ccm) wieder einen Vollzeitjob – und wird auf Anhieb Weltmeister.

Dominique Aegerter (31) wächst in Rohrbach BE als Sohn eines Garagisten auf und fährt als Kind Motocross. Als 12-Jähriger wechselt er in den Strassensport, 2006 gibt der Berner sein Debüt in der 125-ccm-WM. Ab 2010 startet der Schweizer wie Tom Lüthi in der neuen Moto2-Klasse, wo Aegerter 2013 und 2014 vorne mitfährt und auf dem Sachsenring seinen einzigen GP-Sieg feiert.

Ab 2016 kommen nach insgesamt sieben Podestplätzen keine weiteren dazu. Aegerter trennt sich von seinem Förderer Olivier Métraux und fährt neu für ein deutsches Team. Sein Sieg 2017 in Misano wird ihm nachträglich wegen illegalem Öl aberkannt, dazu verstirbt Teamchef Stefan Kiefer völlig überraschend.

Aegerter muss 2018 und 2019 mit viel eigenem Geld seine GP-Karriere am Leben erhalten, fährt aber hinterher. Dann das Aus im GP-Sport. 2020 bleibt nur noch ein Job in der MotoE, erst für 2021 findet er in der seriennahen Supersport-WM (600 ccm) wieder einen Vollzeitjob – und wird auf Anhieb Weltmeister.

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Aber ein überzeugter Single bleiben Sie?
Irgendwann möchte ich schon Kinder haben und nicht mehr im Dach­geschoss des Elternhauses leben. Aber dafür muss zuerst die richtige Frau kommen. Bisher habe ich mich noch nie verliebt.

Ihre Liebe gilt dem Töff. Doch kommt in einem Jahr wie diesem mit drei toten Talenten der Gedanke auf, diese Liebe zu kündigen?
Jeder solche Unfall ist extrem schmerzhaft. Aber ich habe meine Töff-Leidenschaft nie verloren. Ich habe die Verstorbenen wie Shoya Tomizawa (†2010, Aegerters Teamkollege, d.Red.) oder Jason Dupasquier teilweise gut gekannt und weiss durch ihre Familien, dass sie mit einem Lächeln gegangen sind, weil sie immer Töff fahren wollten. Das hat mir Kraft gegeben. Aber wir alle wissen: Wenn man Pech hat, helfen alle Sicherheitsmassnahmen nichts.

Wie gehen Sie damit um?
Ich konzentriere mich darauf, der Schnellste zu sein. Alles andere blende ich aus. Wobei das nicht immer einfach ist. Eine Zeit lang hatte ich in den Rennen einen Riesenrespekt davor, dass mich einer abschiesst und ich mich wieder verletze wie 2016 bei einem solchen Zwischenfall. Doch dieses Gefühl ist irgendwann wieder verschwunden.

Eine von vielen Widrigkeiten, die Sie in Ihrer Karriere überwinden mussten. Entschädigt der WM-Titel für die Finanzsorgen, Verletzungen, verstorbenen Weggefährten und Team-Flops?
Es ist einfach richtig cool zu sagen: Ich bin Töff-Weltmeister. Denn 2015 und 2016 hatte ich Unfälle mit schweren Verletzungen. 2018 und 2019 hatte ich kein konkurrenzfähiges Material in der Moto2 und musste viel Geld investieren. Doch ich bin extrem stolz, nie aufgegeben und diesen Meilenstein erreicht zu haben.

Besonders schön, dass auch Ihr Vater Fere nach seinem Hirnschlag und seinen Unfällen alles miterleben darf?
Vor allem ist es schön, dass es ihm wieder ziemlich gut geht. Es war brutal, 2016 Rennen zu fahren und nicht zu wissen, ob er am anderen Tag aus der Intensivstation wieder anruft.

Wird man mit einem Titel in der zweiten Töff-Liga eigentlich reich?
In den guten Moto2-Jahren habe ich fast mehr verdient. Damals hatte ich viele gute Verträge und auch Resultate, die ordentlich eingeschenkt haben. Solche Verträge sind in der Supersport-WM und in der Moto E nicht möglich. Natürlich würde ich gerne eine Million als Titelprämie bekommen (lacht). Doch die meisten Einnahmen habe ich durch meine persönlichen Sponsoren. Beim Team musste ich ja bezahlen, um zu fahren.

Dabei sagten Sie einst, Sie bezahlen nicht mehr fürs Rennfahren!
Beträge von 200 000 oder gar ­300 000 Franken zahle ich nie mehr. Hier war es eine fünfstellige Summe im mittleren Bereich. Dieses Geld konnte ich mit den Prämien für die Siege wieder reinholen. Schon Mitte Saison hatte ich die Summe getilgt. Nächstes Jahr muss ich nichts mehr bezahlen.

Ihrem holländischen Team bleiben Sie 2022 treu, dazu fahren Sie erneut in der MotoE. Stecken Sie trotz Titel in der Karriere-Sackgasse?
Ich habe schon gehofft, dass irgendwo eine Türe aufgeht, weil ich die Saison ja wirklich dominiert habe. Nun will ich 2022 einfach wieder um beide Titel fahren.

Ist eine ausserhalb des GP-Sports gewonnene WM-Krone in der zweithöchsten Klasse der seriennahen Maschinen nichts wert?
Für mich schon, es ging ein Kindheitstraum in Erfüllung. Natürlich wusste ich, dass eine Rückkehr in die Moto2 schwierig wird. Aber ich hatte gehofft, dass ich in der Superbike-WM (die Königsklasse der seriennahen Töffs, d.Red.) eine Chance bekomme.

Aber?
Bei Yamaha haben sie schon Mitte Jahr gesagt, dass es keine Chance gibt. Sie hatten ihre vier Superbike-Plätze schon früh besetzt. Würde ich meine Leistungen als Indonesier oder Japaner erbringen, wäre ich schon lange in der MotoGP!

Aber für die MotoGP wären Sie selbst als Nicht-Schweizer zu alt.
Das sagen Sie. Ich glaube immer noch an meine MotoGP-Chance.

Das kann unmöglich Ihr Ernst sein!
Doch. Mein Ziel bleibt die Superbike-WM. Wenn ich es 2023 dort in ein Werksteam schaffe und dann in der MotoGP beim selben Werk mal ein Fahrer ausfällt, ist es möglich. Selbst wenn es nur für einen Grand Prix ist. Der Amerikaner Garrett Gerloff ist dieses Jahr als Superbike-Pilot auch plötzlich in der MotoGP Teamkollege von Valentino Rossi gewesen, weil er bei Yamaha den verletzten Morbidelli ersetzen durfte. Deshalb bleibt die MotoGP mein Ziel. Ans Aufhören denke ich noch lange nicht.

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