Dressurreiterin Andrina Suter vor ihrem Olympiastart
«Ein tolles Gefühl, wenn es plötzlich ganz leicht wird»

Dressurreiterin Andrina Suter (32) und ihr Pferd Fibonacci (14) werden in Paris die Schweiz vertreten. Blick besuchte die beiden vor der Abreise.
Publiziert: 30.07.2024 um 13:18 Uhr
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Aktualisiert: 30.07.2024 um 13:25 Uhr

Es ist ein schwüler, sonniger Tag im ländlichen Dörflingen im Kanton Schaffhausen, das idyllisch nahe der deutschen Grenze liegt. Auf dem Steinackerhof ist mächtig Betrieb, die Pferde werden gepflegt, die Kühe sind am Fressen, junge Katzen streunen umher, die vielen Fliegen machen den Tieren das Leben schwer. Es riecht nach Raps und Kuhmist. Hier ist Andrina Suter aufgewachsen. Inzwischen ist sie 32-jährig, wohnt inzwischen ein paar Kilometer entfernt in Thayngen auf Schlagdistanz. Die Tiere sind ihr Leben. Sie trägt eine Halskette mit den olympischen Ringen, sie hat das Schmuckstück eben erst bekommen, von wem, das behält sie für sich. Es soll ihr in Paris Glück bringen.

Paris, Stadt der Liebe, Stadt der olympischen Träume. Andrina Suter wird dort im Einzel die Schweizer Farben im Dressurreiten vertreten. «Ein Kindheitstraum geht in Erfüllung», sagt sie. Dressurreiten bei Olympia? Das hat Tradition, aber auch Staub angesetzt. Fast 50 Jahre ist es her, seit Christine Stückelberger auf Granat zu Olympiagold ritt, 60 Jahre, seit dem Sieg von Henri Chammartin auf Wörmann, 76 Jahre seit Hans Moser auf Hummer. Und da gab es noch Marianne Gossweiler, die in den Sechzigern zwei Medaillen an Olympia gewann. Auch sie ist Schaffhauserin wie Andrina Suter, für die das alles zu lange her ist.

Keine optimalen Trainingsbedingungen

Andrina Suter wird in Paris voraussichtlich keine Medaille gewinnen, aber Erfahrungen sammeln können, auch im Hinblick auf Los Angeles in vier Jahren. 32 ist kein Alter im Reitsport, «solange man Freude hat und fit genug ist, gibt es keine Beschränkungen nach oben», sagt Suter. Seit vier Jahren setzt sie voll auf den Sport, zuvor hat sie die Sportschule in Kreulingen absolviert und eine KV-Lehre abgeschlossen. Sie nutzt die Infrastruktur, die ihr auf dem Hof geboten wird. Die ist nicht optimal. Der Reitplatz ist nicht überdacht und zwanzig Meter kürzer als die offiziellen Wettkampfplätze.

Dressurreiterin Andrina Suter mit ihrem Pferd Fibonacci, mit dem sie Ende Juli bei Olympia am Start sein wird.
Foto: Sven Thomann
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Beni Suter, Andrinas Papi, der den Hof führt und bis zu hundert Stunden pro Woche rackert, schüttelt den Kopf: «Ich verstehe nicht, dass es so kompliziert sein kann, bei den Behörden eine Bewilligung für eine Überdachung zu bekommen.» Er befürchtet, dass die Tochter wegziehen könnte an einen Ort, wo die Trainingsbedingungen optimaler sind. «Es gibt schon Angebote», sagt Andrina Suter. Aber sie möchte eigentlich nicht weg, und Papi Beni hofft immer noch, dass sie nach der Sportkarriere zusammen mit ihrer Schwester den Hof übernehmen wird.

Oberarmbruch veränderte alles

Doch momentan steht der Sport ganz oben. Andrina Suter hat lange nicht gewusst, ob es für die Olympiaselektion reichen würde. Fünf Schweizer Dressurreiterinnen kämpften um den einen offenen Platz. Ende 2023 sah Suter ihre Chancen schwinden. Sie stürzte im Training von einem Nachwuchspferd, prallte auf die Schulter und brach sich den Oberarm. Fünf Wochen dauerte die Pause, und dann war plötzlich alles anders, leichter, natürlicher.

Als Andrina Suter wieder auf ihren 15-jährigen Wallach Fibonacci stieg, da waren sie plötzlich eine Einheit. Reiterin und Pferd und nichts dazwischen, ausser Vertrauen und Verständnis. Schöne Namen haben die Pferde, sie heissen Del Curto, Briatore, Lennox oder Fibonacci. Fibonacci war der Übernahme eines berühmten Mathematikers im Mittelalter, Leonardo von Pisa. «Fibi» nennt Suter Fibonacci vertraut. Er ist ihre Wahl für Olympia. Zusammen fahren sie nach Paris, dank guten Leistungen in den letzten Monaten, wo die beiden endgültig zusammenfanden.

Fibonacci wird in Paris an den Start gehen

Als ahnungsloser Aussenstehender denkt man vielleicht, Dressurreiten sei eine Qual für das Pferd, das tun muss, was die Reiterin oder der Reiter vorgibt, eine Erziehung wider Willen quasi. Dabei ist das Gegenteil das Ziel. Das Pferd wird entwickelt und geschult, bis es zur Freiheit findet, zur eigenen Leichtigkeit, bis es mit Überzeugung Ja sagt zu den Vorgaben, weil es Spass daran findet. «Wir wissen fast alles voneinander. Wir fühlen, wenn es dem anderen nicht gut geht. Wir vertrauen uns zu hundert Prozent. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, wenn man spürt, wie diese Einheit wächst und das Miteinander dann plötzlich ganz leicht wird wie selbstverständlich.»

An der Olympia-Hauptprobe in Aachen Anfang Juli war so ein sensibler Moment. Tausende von Zuschauerinnen und Zuschauern waren da, Andrina Suter war darum etwas angespannt, was Fibonacci spürte, doch der Wallach blieb ganz ruhig. «Dass so viel los war, hat ihm wohl gefallen», sagt Suter. So hat auch sie plötzlich zur Ruhe gefunden, und zusammen haben sie eine gute Leistung abgeliefert. In Versailles, wo bei Olympia die Dressur-Wettkämpfe stattfinden werden, wird es ebenfalls viele Zuschauer und viel Betrieb haben. Andrina Suter ist auch jetzt wieder ein bisschen angespannt, da sie noch so viel erledigen muss in den letzten Tagen vor der Abreise und weil ihr grosser Kindheitstraum so plötzlich vor der Tür steht. Doch sie hat «Fibi» an ihrer Seite. Zusammen werden sie das in Paris schon meistern.

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