Nach überraschender Olympia-Qualifikation nun sogar Bronze
Bronze-Schützin Gogniat lief dem Schiessen einst einfach davon

Mit 21 Jahren nimmt Audrey Gogniat zum ersten Mal an den Olympischen Spielen teil und holt sich gleich eine Bronze-Medaille. Die schüchterne junge Jurassierin, die aus einer Schützenfamilie stammt, macht einen grossen Schritt in ihrer Karriere.
Publiziert: 30.07.2024 um 11:24 Uhr
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Aktualisiert: 30.07.2024 um 11:29 Uhr
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Matthias Davet

Noch vor ihrer Bronze-Medaille an den Olympischen Sommerspiele 2024 in Paris, gibt die 10-m-Gewehrschützin Audrey Gogniat (21) zu Hause in der Schweiz zu, dass es für sie etwas Besonderes ist, im Trainingszentrum in Biel Französisch zu sprechen. Die Jurassierin ist normalerweise von Leuten umgeben, die Schweizerdeutsch reden. Doch am Medientag von Swiss Shooting sind es viele, auf dieser Seite der Saane, die sich mit der 21-jährigen Schützin unterhalten wollen.

Denn in wenigen Tagen wird Audrey Gogniat an den Olympischen Spielen in Paris teilnehmen. Natürlich ist die Aufregung gross – und die Zeit, die ihr vor diesem Highlight zur Verfügung steht, begrenzt. Doch während des Medientages unterhält sie sich gerne. Obwohl sie bei der einführenden Pressekonferenz schüchtern wirkt, öffnet sie sich bei den Einzelinterviews wahrlich. Und erzählt leidenschaftlich von ihrem Werdegang und ihren ambitionierten Olympiazielen.

Audrey Gogniat kam im Alter von sieben Jahren durch ihren Vater Roland zum Schiessen. «Im Schiesssport ist er wirklich eine grosse Referenz auf Westschweizer Ebene», erklärt sie mit vor Stolz leuchtenden Augen. «Als ich noch klein war, haben wir ihn als Familie jedes Wochenende zu seinen Wettkämpfen begleitet. Das Schöne war, dass ich dadurch quer durch die ganze Schweiz reiste.» Weil die Jurassierin schon im Kindesalter ihrem Vater beim Schiessen zusah und dadurch mit Gewehren aufwuchs, liegt es auf der Hand: Sie wollte es selbst versuchen.

Die 10-m-Gewehrschützin Audrey Gogniat gibt zu, dass es für sie etwas Besonderes ist, im Trainingszentrum in Biel Französisch zu sprechen. Die Jurassierin ist normalerweise von Leuten umgeben, die Schweizerdeutsch reden.
Foto: Adrien Perritaz
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«Mir ist es nie verleidet»

Hat ihr der Sport direkt gefallen? «Nein, überhaupt nicht», lacht das Société-de-tir-Franches-Montagnes-Mitglied. Obwohl sie es anfangs «sehr lustig fand» ins Ziel zu treffen, verlor sie als Jugendliche die Motivation daran. «Ich weiss noch gut, wie meine Mutter mich zum Training gebracht hatte und sagte: ‹Du schaust deinem Papa zu, er ist dein Trainer.› Dann kam ich beim Training an und meinte zu ihr, dass ich keine Lust darauf hätte – und ging wieder.» Audrey Gogniat gibt diese Anekdote natürlich mit einem Lächeln wider. «Aber im Nachhinein betrachtet, hat mich das gerettet: Mir ist das Schiessen nie wirklich verleidet.»

2016, als sie 14 Jahre alt war und nebenbei ritt, stürzte sie schwer und verletzte sich am Becken. Die Folgen: Sie konnte ihren Hauptsport zwei Monate lang nicht ausüben. «Das kam mir wie eine Ewigkeit vor. Erst wenn man etwas verliert, merkt man, was man daran hat», philosophiert sie. Und neben dem Schiessen merkt Gogniat, dass sie an Selbstmanagement verloren hat. Aber damals war ihr Niveau noch nicht da: «Ich war eine Null», erzählt sie und fügt an: «Niemand hätte 100 Rappen auf mich gesetzt.»

Der Durchbruch 2018

Zwei Jahre später machte es Klick: «Ich wurde Junioren-Schweizermeisterin und dachte mir: ‹Okay, da kann man etwas herausholen.›» Wie lässt sich dieser beeindruckende Anstieg ihrer Leistung innert kürzester Zeit erklären? «Ich weiss es wirklich nicht», antwortet sie. Mit dem SM-Titel in der Tasche und nur 18 Jahren trat Audrey Gogniat dem Nationalkader bei. Und das mit Ambitionen. «In einem Interview erwähnte ich, dass ich an den Olympischen Spielen teilnehmen möchte. Man hat mir danach schnell klargemacht, dass ich das nicht sagen kann. Zuerst gäbe es viele Etappen zu bewältigen», erzählt die 21-Jährige.

Im Jahr 2021, als Audrey Gogniat kaum ein Jahr in Biel war, gewann ihre Teamkollegin Nina Christen (30) bei den Olympischen Spielen in Tokio zwei Medaillen. «Zu diesem Zeitpunkt war ich in der Trainingsgruppe noch die ganz Kleine. Ich fühle mich ein wenig wie ein Eindringling. Ich war schüchtern und wollte mir zwar meinen Platz machen, aber ja niemandem seinen Platz wegnehmen.» Zu ihrem Glück musste dies die junge Schützin auch nicht. Dennoch schien der olympische Traum für sie noch weit entfernt zu sein. «Damals dachte ich an die Olympischen Spiele in 2028, 2032 oder sogar 2036. Aber auf keinen Fall 2024.»

Und das Jahr 2022 gab ihr fast recht: Ihre Ergebnisse der Europameisterschaften in Polen waren schwach. «Ich konnte mich knapp für die zweite Phase qualifizieren, und wurde mit einem mittelmässigen Ergebnis Letzte», erinnert sie sich. Und: Zu diesem Zeitpunkt hatte sie gerade ihre Rekrutenschule hinter sich, in der sie während 18 Wochen nichts anderes ausser Schiessen getan hat. «Also habe ich mir gesagt: ‹Jetzt krieg deinen Hintern hoch!›» Zusammen mit ihrem Trainer stellte sie kurzerhand einen strikten Trainingsplan auf, der anfänglich aber sehr hart gewesen sei.

«Ein Stolz für meine Familie»

Die Anstrengungen zahlten sich aus: Bei den Weltmeisterschaften in Baku im August 2023 war sie nur einen Schuss davon entfernt, ein Olympiaticket zu lösen. «Ich schaffte es, in meinem Tunnel zu bleiben, und sagte mir einfach, dass ich alles im Leben erreichen könne, wenn ich es schaffe würde, diesen Schlag zu machen.» Sie schaffte es – und qualifizierte sich für die Spiele in Paris diesen Sommer. «Ich gehe mit dem Ziel hin, mein Bestes zu geben und bis zum Schluss nicht nachzulassen», versprach sie. Das Versprechen hat sie gehalten. Mit ihrer Bronze-Medaille holt sich Audrey Gogniat die erste Medaille für die Schweiz.

Ihr Vater, ein ehemaliger Top-Schütze, sitzt zusammen mit Audreys älterer Schwester auf der Tribüne in Châteauroux, um seinen Schützling anfeuern zu können. «Er weiss, was ich durchgemacht habe, um es zu schaffen – und natürlich ist meine Familie stolz darauf, dass ich an den Olympischen Spielen teilnehme», sagt Gogniat. Und spricht ein letztes Wort – auf Französisch – für ihre Mutter, die man nicht vergessen dürfe, auch wenn sie selbst nicht schiesse. Bevor sie wieder hauptsächlich Deutsch spricht.

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