Nach diesem Schlag von Khelif gibt die Italienerin auf
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Skandal beim Olympia-Boxen:Nach diesem Schlag von Khelif gibt die Italienerin auf

Schweizer Box-Pionierin Nigg zum Eklat in Paris
«Harte Schläge gibt es halt im Boxen, das ist bei den Frauen nicht anders»

Seit am Donnerstag die italienische Boxerin Angela Carini den Kampf gegen ihre algerische Gegnerin Iman Khelif wegen Chancenungleichheit aufgab, ist die Gender-Frage in aller Munde. Die Schweizer Boxpionierin Christina Nigg (63) hat eine klare Meinung dazu.
Publiziert: 03.08.2024 um 00:13 Uhr
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Aktualisiert: 03.08.2024 um 09:07 Uhr
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Patrick MäderAutor Blick Sport

Blick: Christina Nigg, der Fall Khelif sorgt weltweit für grosse Aufregung, war das ein Eklat mit Ansage?
Christina Nigg: Überhaupt nicht, ich bin überrascht, dass das Thema jetzt so heftig aufkommt.

Warum überrascht?
Khelif boxt ja nicht erst seit gestern, sie ist schon lange dabei, musste auch eine Quali für Olympia durchlaufen. Alle kennen sie. Es gab nie eine Gender-Diskussion ihretwegen.

Sie wurde vom internationalen Boxverband IBA an der WM 2023 aufgrund erhöhter Testosteronwerte disqualifiziert – wie auch die Taiwanesin Lin Yu-ting, die ebenfalls in Paris kämpft.
Die IBA führt keine Testosteron-Tests durch. Das macht die Antidoping-Agentur. Und die auch nur zufällig. Es gibt wohl Wertgrenzen, die beim Überschreiten zu einem Ausschluss führen, aber die kenne ich nicht. Es gibt im Boxen keine standardisierten Tests, was das Geschlecht anbelangt. Als Sportler muss man bei Wettkämpfen ein Medical einreichen, wenn man antreten will. Da muss man männlich oder weiblich ankreuzen und dann Angaben machen über Hepatitis B und C, ob man schwanger ist oder HIV hat. Aber es gibt keine Bestimmungen, welche Testosteronwerte betreffen, Muskelmasse, Chromosomenbilder oder was auch immer jetzt diskutiert wird. 

Imane Khelif aus Algerien schlug zu hart für die Italienerin Angela Carini.
Foto: imago/Italy Photo Press
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Christina Nigg persönlich

Geboren ist Christina Nigg am 24. Februar 1961. Schon als Kind und Jugendliche hat die Berner Oberländerin Leistungssport betrieben, Skifahren, Kunstturnen, Handball in der obersten Liga. Sie entschied sich schliesslich fürs Boxen, wurde erste Schweizer Amateurboxerin, Profiboxerin, Weltmeisterin, später Managerin und Trainerin und ist seit 2020 Chefin Leistungssport bei Swiss Boxing. Die zweifache Mutter führt seit 2011 ein Box-Gym in Thun, das zum nationalen Leistungszentrum für olympisches Boxen geworden ist und wo sie auch Kinder und Jugendliche unterrichtet. Sie hat einen Sportmanagement-Abschluss der Fachhochschule Winterthur im Sack, den sie mit der Höchstnote erlangte. Auch ihr Sohn Mischa war Profiboxer mit einer Siegesbilanz von 9:1. 2015 trat er aus gesundheitlichen und beruflichen Gründen 28-jährig zurück.

Christina Nigg wurde am 24. Februar 63-jährig.
Sven Thomann

Geboren ist Christina Nigg am 24. Februar 1961. Schon als Kind und Jugendliche hat die Berner Oberländerin Leistungssport betrieben, Skifahren, Kunstturnen, Handball in der obersten Liga. Sie entschied sich schliesslich fürs Boxen, wurde erste Schweizer Amateurboxerin, Profiboxerin, Weltmeisterin, später Managerin und Trainerin und ist seit 2020 Chefin Leistungssport bei Swiss Boxing. Die zweifache Mutter führt seit 2011 ein Box-Gym in Thun, das zum nationalen Leistungszentrum für olympisches Boxen geworden ist und wo sie auch Kinder und Jugendliche unterrichtet. Sie hat einen Sportmanagement-Abschluss der Fachhochschule Winterthur im Sack, den sie mit der Höchstnote erlangte. Auch ihr Sohn Mischa war Profiboxer mit einer Siegesbilanz von 9:1. 2015 trat er aus gesundheitlichen und beruflichen Gründen 28-jährig zurück.

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Sollte es diese geben?
Wenn, dann für alle. Aber das Thema ist so komplex. Man muss auch an die Frauen denken, die jetzt am Pranger stehen. Das sind Menschen, die eine andere körperliche Konstellation haben. Wir reden ja hier nicht von Transgender-Personen, wir reden von Frauen, die mehr Muskeln haben, stärker schlagen können, die eventuell einen höheren Testosteronwert aufweisen. Natürliche Gründe dafür gibt es dafür viele. Das Thema «Störungen in der Geschlechtsentwicklung» ist ja ein riesiges Forschungsfeld, das immer wichtiger wird. Man kann diese Menschen nicht einfach diskriminieren.

Das heisst, man muss als Boxerin akzeptieren, wenn man in einem völlig ungleichen Kampf keine Chance auf den Sieg hat?
Ja, das gibt es halt im Boxen. Anfang Jahr war ein Kampf in Alicante. Da habe ich Ana Milisic nach Absprache mit ihr in der zweiten Runde rausgenommen. Im Halbfinal gegen die Philippinin Nesthy Petecio war sie chancenlos, steckte ein paar sehr harte Schläge ein. Es liegt dann halt auch in der Verantwortung der Betreuer, die Schützlinge vor gesundheitlichen Gefahren zu schützen.

Das kann ja aber auch ins Auge gehen.
Boxen ist nun mal nicht mit Schach zu vergleichen. Man kann bös getroffen werden, das tut dann verdammt weh. Das ist bei den Frauen nicht anders als bei den Männern.

Wobei es bei den Männern im Vergleich zu den Frauen nicht diese Diskrepanz wie bei den Frauen geben kann in derselben Gewichtsklasse.
Und wie es die geben kann. Ich war an der U19-EM mit unseren 17-, 18-jährigen Schützlingen, die noch kaum Haare an den Beinen haben. Dann kommen da Gegner aus Armenien oder Rumänien, die wie 40-jährige, längst erwachsene Männer aussehen, muskulös und bartwüchsig. 

Und dann lässt man die Unterlegenen einfach in den Hammer laufen?
Dann muss man sich etwas überlegen. Ich war vor einem Jahr in Ungarn. Unser Boxer bekam Oleksandr Chyschnjak zugelost, seines Zeichens Weltmeister, Vize-Olympiasieger, Europameister. Er schlägt zu wie ein Ross. Ich sass mit unserem Boxer und dem Trainer zusammen, und wir entscheiden, nicht von vornherein aufzugeben, sondern, um das Gesicht zu wahren, den Kampf zu beginnen, vielleicht ein, zwei Treffer zu setzen, dann würden wir rechtzeitig das Handtuch werfen. Genauso haben wir es dann auch gemacht. Ihn da im Ring stehenzulassen, wäre völlig unverantwortlich gewesen.

Sie sind Schweizer Boxpionierin, wurden in den Neunzigern Weltmeisterin. Haben Sie auch Erfahrungen gemacht gegen Gegnerinnen, die sehr männlich wirkten?
Immer wieder. Es gibt ja mehrere Typen von Boxerinnen und Boxern. Die kräftigen, hart schlagenden Puncher und die filigranen, die mit feiner Technik den Erfolg anstreben. Ich hatte mal eine Sparringpartnerin, kurze Haare, einen Haufen Muskeln, überall tätowiert. Ich warne davor, sich von der äusserlichen Erscheinung ein Bild zu machen. Das war ein ganz lieber Mensch und definitiv eine Frau, die einfach anders gebaut war als andere.

Das IOC sagt, das Gender-Thema sei Sache der nationalen Verbände. Wie wird dieses bei Swiss Boxing gehandhabt?
Noch gar nicht. Das war schlicht kein Thema bisher. Nun liegt es auf dem Tisch und wir werden es Anfang September bei der nächsten Sitzung der technischen Kommission sicher ausbreiten und diskutieren.

Gibt es schon Lösungsansätze?
Nein, ich weiss nicht, wie dieses Problem in den nächsten Jahren gelöst werden soll. Vielleicht muss man tatsächlich mehr Wertungskategorien einzuführen, nicht nur nach Männern und Frauen unterscheiden. Aber einfache Lösungen gibt es nicht.

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