Der Tod Gino Mäders entfacht die Diskussion neu
Sicherheit im Radsport auf dem Prüfstand

Wie es zum Unfall von Gino Mäder (†26) kam, wird nach wie vor untersucht. Es gibt aber Beispiele von Stürzen und chaotischen Situationen, die Forderungen nach mehr Sicherheit mit sich ziehen.
Publiziert: 24.06.2023 um 17:01 Uhr
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Aktualisiert: 24.06.2023 um 17:06 Uhr
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Mathias GermannReporter Sport

Braucht es immer zuerst eine Tragödie, bis etwas passiert? Vor und nach Gino Mäders Tod war zu hören, dass die Kurve am Albulapass, welche dem 26-Jährigen zum Verhängnis wurde, grundsätzlich sicher sei. «Ich habe sie nicht als gefährlich eingestuft», meinte Zeitfahr-Europameister Stefan Bissegger (32). «Die Kurve ist gut einsehbar, dann tut sie etwas zu, ehe es wieder nach rechts geht. Der Belag ist gut», sagte Beat Wettstein, Bereichsleiter Sicherheit bei der Tour de Suisse. Und Ex-Profi Rolf Järmann erklärte: «Ich glaube, Ginos Unfall war einfach nur Pech oder Schicksal.»

Noch ist die Ursache von Mäders Unfall nicht geklärt. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und der Kantonspolizei Graubünden zum Hergang sind am Laufen. Es wird wohl noch lange dauern, ehe Ergebnisse vorliegen. Dennoch sagte Adam Hansen, ein ehemaliger Profi und Chef der Rennfahrervereinigung CPA, ganz grundsätzlich zum Thema Sicherheit im Radsport: «Jetzt ist die Zeit gekommen, um darüber zu diskutieren.»

Jakobsen-Crash war Startpunkt der Diskussion

Wie mittlerweile durchsickert, soll noch vor Beginn der Tour de France (1. bis 23. Juli) ein unabhängiges Gremium ins Leben gerufen werden, um die Sicherheit im Sport zu verbessern. Der Name: Saroc, eine Abkürzung für Safe Road Cycling (Sicheres Radfahren auf der Strasse). Dabei will der Radweltverband UCI mit Teams und Organisatoren laufend diskutieren, welche Massnahmen sinnvoll und umsetzbar wären.

Wie kann der Radsport sicherer gemacht werden? Ein Gremium mit dem Namen Saroc will sich der Frage widmen.
Foto: BENJAMIN SOLAND
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Ausgangspunkt für Saroc war nicht Mäders Unfall, sondern jener von Fabio Jakobsen (26) an der Polen-Rundfahrt vor drei Jahren – er war im Sprint in die Absperrgitter gedrängt worden, verletzte sich schwer am Kopf und kämpfte im Krankenhaus um sein Leben. Jakobsen überstand den Unfall, er kehrte zurück und wird auch bei der Tour de France am Start stehen.

«Totales Chaos» in den Pyrenäen

Zuletzt kam es bei der Tour des Pyrénées der Frauen zu einem ganz anderen Zwischenfall – er wurde aber nicht minder heiss debattiert. Im Gegenteil. Bei der dreitägigen Rundfahrt mussten sich die Fahrerinnen an geparkten Autos vorbeischlängeln, Fussgänger liefen über die Strecke, einmal überholte das Peloton gar ein rollendes Fahrzeug. Das Team Jumbo-Visma weigerte sich, zur letzten Etappe anzutreten, kurz darauf brach die UCI die Rundfahrt ab.

Rennleiter Pascal Baudron war ausser sich, sprach davon, dass monatelange Bemühungen «durch die Launen verwöhnter Kinder» zunichtegemacht worden waren. Mittlerweile entschuldigte sich Baudron für seine Aussagen und gab gegenüber dem Sportportal Sporza zu, dass zwischendurch «totales Chaos» geherrscht habe.

Mäder, Jakobsen und die Pyrenäen-Rundfahrt: Es sind drei Fälle, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Auch Bilder vom Crash bei der Tour de France vor zwei Jahren, als eine unvorsichtige Zuschauerin ein «Omi-Opi-Pappschild» in die Strasse hielt und damit einen Massensturz verursachte, bleiben ebenso in Erinnerung wie die wiederkehrenden Videos von Hunden, die beim Vorbeifahren des Pelotons über die Strasse rennen.

Airbags stehen im Fokus

Saroc wird verschiedene Themen besprechen müssen, ehe Vorschläge und tatsächliche Verbesserungen in die Wege geleitet werden. Konkret ist noch nichts. Zuletzt, kurz nach Mäders Tod, machte Ex-Sprintspezialist Marcel Kittel (35, De) eine Anregung. «Wir haben keine Knautschzone. Die Frage ist: Wie kann man noch mehr Innovation reinbringen? Für den Stadtradfahrer gibt es Airbags, vielleicht ist das eine Zukunft», sagte er gegenüber der DPA.

Ein Airbag für Velofahrer? Tatsächlich produziert der schwedische Hersteller Hövding Halskrausen, die Velohelme ersetzen sollen. Dabei checken eingebaute Sensoren 200 Mal pro Sekunde, wie sicher die Person gerade unterwegs ist. Innerhalb von 80 Millisekunden soll er nach einem kurzen Knall ausgelöst werden und sich dabei über Nacken und Kopf stülpen.

Allerdings gibt es noch Fragezeichen. Zum Beispiel, ob der Airbag auch bei harmlosen Unfällen auslöst. Und ganz generell: Ist es nicht sicherer, sich mit einem Helm zu schützen? Dieser hilft bei einem Crash im Gegensatz zum Airbag ohne jegliche Verzögerung.

Das Thema Airbag steckt noch in den Kinderschuhen. Konkretere Massnahmen wie das Putzen der Strassen vor der Durchfahrt der Fahrer, Anleitungen für Zuschauer über das richtige Verhalten am Strassenrand oder die verbesserte Kennzeichnung heikler Passagen wären schneller umsetzbar.

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