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Der Umgang mit dem Tod von Muriel Furrer (†18) ist unwürdig
Der Rad-Weltverband gibt ein mieses Bild ab

Die Rad-WM in Zürich wird für immer mit dem Tod von Nachwuchsfahrerin Muriel Furrer verbunden sein. In Erinnerung bleiben wird aber auch das Bild, welches der Weltverband UCI bei der Tragödie abgibt, meint der Stv. Blick-Sportchef Daniel Leu im Leitartikel.
Publiziert: 30.09.2024 um 00:06 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2024 um 10:37 Uhr
Die letzten Tage der Rad-WM wurden überschattet vom Tod der Rad-Juniorin Muriel Furrer.
Foto: Vincent Kalut
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Daniel LeuStv. Sportchef

Wer an diesem Sonntagnachmittag die Homepage des Weltradsportverbands UCI besucht, findet auf deren Startseite nichts über den schrecklichen Tod von Muriel Furrer (†18). Keine Worte des Bedauerns, kein Foto in Andenken an das viel zu früh verstorbene Schweizer Rad-Talent, das bei der Ausübung ihrer Leidenschaft ums Leben kam.

Die UCI – sie gibt in diesen traurigen Tagen ein denkbar schlechtes Bild ab. Vor allem in der Kommunikation. Auch drei Tage nach dem Unfall haben sie noch immer nicht bekannt gegeben, wo sich dieser genau zugetragen hat und wo man Furrer gefunden hat. Dass sie über den möglichen Unfallhergang schweigen, ist aber verständlich, da dies Aufgabe der Ermittlungsbehörden ist. Auch wenn die Öffentlichkeit gerne möglichst schnell Antworten auf diese drängenden Fragen bekommen möchte.

Warum schweigt die UCI?

Wie Krisen-Kommunikation richtig geht, hat vor gut einem Jahr Olivier Senn bewiesen. Er ist Direktor der Tour de Suisse und hier in Zürich sportlicher Leiter der WM. Als im Juni 2023 Gino Mäder bei der Abfahrt vom Albulapass tödlich verunglückt war, stand Senn zeitnah hin. Sagte offen, was er weiss und was nicht. Zeigte Gefühle und Tränen, ohne sich dabei in den Vordergrund spielen zu wollen.

Hier an dieser WM ist alles anders. Als Senn am Freitagabend zusammen mit UCI-Sportdirektor Peter van den Abeele vor die Medien trat, schien es, als ob er einen Maulkorb verpasst bekommen hätte. Nach fünf zugelassenen Fragen, kaum Informationen und zwölf Minuten Dauer verschwanden beide bereits wieder durch den Notausgang. Am Samstag gab Senn dann zwar SRF und der Nachrichtenagentur Keystone-SDA ein Interview, ein Gespräch mit Blick und anderen Medien sagte er hingegen kurzfristig wieder ab. Auf Druck der UCI, die an dieser WM das Sagen hat?

Doch warum schweigt die UCI? Zum einen sicher wegen der laufenden Ermittlungen. Zum anderen möglicherweise aber auch, weil Muriel Furrer nach ihrem Sturz lange unbeobachtet und schwer verletzt irgendwo im Wald liegenblieb. Viele sagen seitdem, das könne doch nicht sein und sei ein Skandal.

Fragen zum Thema Tracking bleiben unbeantwortet

Es mag unglaublich klingen, aber dass wirklich niemand etwas von Furrers Unfall mitbekommen haben soll, ist durchaus möglich. Der UCI das vorzuwerfen, wäre daher unfair, denn die mutmassliche Unfallstelle ist schlecht einsehbar. Zudem hatte es am Donnerstag sehr stark geregnet und die U19-Fahrerinnen rasten an jener Passage mit hohem Tempo vorbei.

Zwar sollen dort am Donnerstag Zivilschützer gestanden haben, doch was, wenn just in der Sekunde des Unfalls ein solcher auf die andere Seite geschaut hätte? Dann hätte er nichts mitgekriegt und Furrer wäre unbemerkt im Wald liegengeblieben. Selbst wenn er etwas gehört und sich dann umgedreht hätte, wäre auf Strassenniveau bereits nichts mehr zu sehen gewesen.

Bei diesem Szenario wäre es verständlich, dass man danach lange gar nicht nach Furrer gesucht hätte, weil man sie eben nicht vermisst hätte. Im Gegensatz zu Rennen auf der World Tour gibts an Weltmeisterschaften ein Funkverbot. Und beim Thema Tracking bleiben die Verantwortlichen vage. Am Samstag erklärte Olivier Senn dazu: «Ja, die Velos sind mit GPS-Trackern ausgestattet. Die Informationen des Trackers dienen primär der TV-Berichterstattung.» Weitere Fragen dazu werden von der UCI nicht beantwortet.

Ob bei einem schnelleren Erkennen der dramatischen Situation das Leben von Muriel Furrer hätte gerettet werden können, ist reine Spekulation. Fakt ist: Der ehemalige Tour-de-Suisse-Rennarzt Thorsten Hammer erklärte am Samstag Blick, worauf es bei einem Schädel-Hirn-Trauma, wie es Furrer erlitten hatte, ankommt. «Einfach gesagt: Es geht bei einer solchen Rettung um jede Sekunde», so Hammer, ohne Einzelheiten des Falles zu kennen.

Ferndiagnose von Cipollini ist fehl am Platz

Ebenfalls ein Kritikpunkt, der in den letzten Tagen immer mal wieder geäussert wurde: Man hätte nach Furrers Tod die WM abbrechen müssen. Dass dies nicht getan wurde, kann man den Veranstaltern aber nicht vorwerfen. Es war auch der Wunsch der Familie, die WM fortzuführen. Und ein vorzeitiger Abbruch hätte am Leid der Hinterbliebenen nichts verändert.

Trotzdem kommen nun all die Kritiker aus der Deckung, die von Anfang an gegen eine Rad-WM in Zürich waren. Diesen Unfall jetzt für ihre Interessen auszuschlachten, ist töricht.

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Das Verhalten von Mario Cipollini geht in eine ähnliche Richtung. Der Strassenweltmeister von 2002 machte am Samstag auf seinem Instagram-Kanal per Ferndiagnose den WM-Verantwortlichen schwere Vorwürfe. «Meiner Meinung nach sind die Rennen in Zürich viel zu gefährlich und kompliziert. Die Strecke und die Kurven sind sehr heikel», sagte der Italiener. Und weiter: «Als ich die Strecke gesehen habe, habe ich sofort gedacht: Das ist doch übertrieben und nicht ausgewogen. Ich denke, dass es besser gewesen wäre, für die Nachwuchsrennen eine adäquatere Strecke zu wählen und nicht den gleichen Kurs wie die Profis.»

Warum Cipollini solche Aussagen tätigt, weiss nur er. Er selbst sollte aber auch wissen, dass man im Radsport – so hart das klingen mag – mit tödlichen Unfällen rechnen oder gar leben muss. Wer mit rund 80 km/h – oder gar noch mehr – mit Ausnahme eines leichten Helms völlig ungeschützt steile Abfahrten runterbrettert, der muss sich bewusst sein, dass dabei ein gewisses Risiko mitfährt. Eine Stelle wie die, an der Furrer tödlich verunglückte, gibt es zuhauf an den Radrennen auf der ganzen Welt. Wer findet, das sei zu gefährlich, müsste konsequenterweise für ein generelles Verbot von Radrennen sein.

42 Velofahrer und E-Biker starben 2023 im Schweizer Strassenverkehr bei einem Unfall. Trotzdem käme niemand auf die Idee, das Velofahren zu verbieten. Viel mehr überlegt man sich, wie man diese Todeszahlen runterbringen kann. Genau das muss sich auch die UCI fragen. Sie muss nun zeitnah Antworten liefern. Und nicht weiter schweigen.

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