Helfer sind nach Furrers Sturz an Unfallstelle im Einsatz
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Video zeigt:Helfer sind nach Furrers Sturz an Unfallstelle im Einsatz

«Kein Kommentar!»
Warum schweigen die Verantwortlichen nach Furrers Tod?

Ob Organisatoren, Polizei oder Helfer: Niemand will über den tragischen Tod des Schweizer Rad-Talents Muriel Furrer sprechen. Dabei wären noch viele Fragen zu klären.
Publiziert: 27.09.2024 um 23:06 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2024 um 13:28 Uhr
Nach dem Tod von Radrennfahrerin Muriel Furrer an der WM in Zürich bleiben viele Fragen offen.
Foto: Getty Images
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Kein Kommentar! Egal, mit wem man spricht, alle sagen «kein Kommentar», «keine Ahnung» oder «ich darf nichts sagen». Dieser Freitag geht als schrecklicher Trauertag und (vorerst noch) grosses Mysterium in die Geschichte des Rad- und des Schweizer Sports ein. Um kurz vor 15 Uhr gibt der Weltradverband UCI bekannt, dass die Zürcherin Muriel Furrer 18-jährig an den Folgen ihres Schädel-Hirn-Traumas, das sie sich am Donnerstag während des U19-Rennens zugezogen hatte, gestorben ist. Seitdem rätseln alle: Wie konnte das passieren?

Erste Antworten auf diese Frage erhofft man sich von der Pressekonferenz, die kurz nach 17 Uhr im Zürcher Kongresshaus abgehalten wird. 

Doch sowohl UCI-Sportdirektor Peter van den Abeele als auch Olivier Senn, sportlicher Leiter der WM, können oder wollen keine Antworten auf die drängendsten Fragen geben. Was genau passiert ist? «Kein Kommentar.» Stimmt es, dass Furrer lange alleine bewusstlos im Wald lag, bevor sie entdeckt wurde? «Dazu kann ich nichts sagen.» Und auf die Frage eines Journalisten der Gazzetta dello Sport, ob es eine Angabe gebe, wo genau der Unfallort war, antwortet Senn: «Noch nicht.»

Während 3 Minuten und 45 Sekunden stehen Van den Abeele und Senn Red und Antwort. Davor hatten sie ihre ersten Gedanken zum tragischen Tod Furrers geäussert und um eine Schweigeminute gebeten. Was sie danach sagen? Nicht viel. Der Grundtenor: Spekulationen seien fehl am Platz, man solle die Trauer der Familie respektieren. Und: Man könne zum Unfall nichts sagen, er sei Gegenstand von Ermittlungen.

Bereits nach fünf Fragen ist Schluss. Mehr ist nicht erwünscht. Van den Abeele und Senn stehen danach auf und verlassen den Raum durch einen Notausgang. 

Auch die Polizei schweigt

Die zwei sind nicht die Einzigen, die an diesem Tag nichts sagen wollen oder dürfen. Als Blick am Freitagmorgen kurz nach 8 Uhr im Waldstück oberhalb von Küsnacht ankommt, deutet nichts auf die Tragödie hin, die sich hier am Vortag abgespielt haben muss. Viele Hündeler sind beim windigen Wetter unterwegs. Sie alle erzählen, dass sie zwar vom Unfall gehört hätten, sie aber keine Ahnung hätten, wo genau sich dieser zugetragen haben soll. Gleich zwei sagen: «Mich erstaunt das nicht. Gestern hat es hier so stark geregnet, und die steile Abfahrt ist sehr gefährlich. Zudem lag einiges an Laub auf der Strasse.»

«Hier kann was nicht stimmen, wir müssen entgegenwirken»
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Blick-Reporter zu Furrers Tod:«Im Radrennsport kann etwas nicht stimmen»

Wenig später tauchen immer mal wieder Polizisten auf und fahren das Waldstück hoch und runter. «Kein Kommentar», sagen sie und düsen davon. Weiter oben stehen ein paar Camper aus Italien, Belgien und Tschechien. Auch sie haben alle nichts mitgekriegt. Sahen kein Krankenauto oder den Helikopter, der weiter unten am Donnerstag Furrer in den Spital geflogen hat.

Während Blick vor Ort ist, rasen im Minutentakt Hobbygümmeler halsbrecherisch die Schmalzgruebstrasse hinunter. Die älteren unter ihnen sind dabei alle ohne Helm unterwegs.

Passierte es in einer Linkskurve?

Gegen 10 Uhr tauchen weiter oben auf einmal Männer von der Streckensicherung auf. Sie montieren in einer Linkskurve Schutzmatten an die Bäume, Absperrbänder und eine grosse schwarzgelbe Plache, die die Fahrer vor der Kurve warnen soll. Ist hier Furrer verunglückt?

Einiges spricht dafür, dass es sich hier um den Unfallort handelt. Fakt ist: Als am Donnerstag um 12.45 Uhr die Paracycling-Fahrer der Kategorie C4–C5 diese Passage durchfuhren, standen dort gleich mehrere Rettungswagen mit Blaulicht.

Komisch nur, dass Furrer diese Stelle selbst um etwa 11 Uhr passiert haben muss. Lag sie deshalb während langer Zeit alleine bewusstlos und schwerverletzt im Waldstück, ohne entdeckt worden zu sein? Möglich wäre das, denn im Gegensatz zu Rennen auf der World Tour gibt es an der WM keine Funkverbindung zwischen den Fahrerinnen und dem Staff. Deshalb ist es schon denkbar, dass niemand etwas von Furrers Unfall mitgekriegt hat.

Zudem ist es an der Stelle ziemlich unübersichtlich. Am Ausgang der Linkskurve geht es dahinter mehrere Meter den Hang hinunter. Und der Wald ist an dieser Stelle verwuchert und von oben kaum einsehbar. 

Dass dieser Unfallhergang nicht unrealistisch ist, dafür spricht auch das Verhalten der Verantwortlichen, die zu keiner konkreten Frage Stellung beziehen und die verständlicherweise auf die laufenden Ermittlungen hinweisen. Der Kontrast in der Kommunikation zur Tour de Suisse 2023, als Gino Mäder auf der Abfahrt vom Albula-Pass verstarb, könnte nicht grösser sein. Damals sprach Olivier Senn zu jedem Medium ausführlich. Er erklärte transparent und empathisch, was zum Unfallhergang bekannt war und was noch nicht. 

Maulkorb für die Zivilschützer

Zurück in den Wald oberhalb von Küsnacht. Mittlerweile sind auch die Zivilschützer eingetroffen, die für die Sicherung des U23-Rennens am Freitagnachmittag mitverantwortlich sind. Auch sie sagen «kein Kommentar» und erklären, dass ihr Kommandant ihnen einen Maulkorb verpasst hätte. Wer mit den Medien reden würde, bekäme ein ernsthaftes Problem.

Am Freitagabend tauchen dann Gerüchte auf, dass die Veranstalter am Donnerstag, dem Unfalltag, spätestens um 13 Uhr Kenntnis vom schrecklichen Crash gehabt haben sollen. Trotzdem wurde das Junioren-Rennen um 14.15 Uhr ganz normal gestartet. Und erst am Abend informierten sie die Öffentlichkeit.

Der tödliche Unfall von Muriel Furrer, er wirft noch immer viele Fragen auf. Die Antworten darauf könnten unangenehm werden.

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