Tour de France am Samstag in der Schweiz – Ex-Profis erinnern sich
«An diesem Abend bot mir der Arzt Doping an»

Sie wurden nicht alle zu Stars, erlebten aber bei der Tour de France besondere Momente: Richard, Bertogliati, Järmann, Rominger und Freuler. Vor der Ankunft in Lausanne erinnern sie sich.
Publiziert: 08.07.2022 um 08:33 Uhr
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Aktualisiert: 08.07.2022 um 08:36 Uhr
Mathias Germann

Erstmals seit 2016 gastiert die Tour de France, das grösste Radrennen der Welt, wieder in der Schweiz. Am Samstag gehts durch den Jura nach Lausanne – die Ankunft beim Stade Olympique erfolgt nach einer knackigen Steigung. Klar, dass auch die ehemaligen Schweizer Rad-Asse dabei genau hinschauen werden. Vorher schauen sie für Blick auf einen ganz besonderen Tour-Moment ihres Lebens zurück!

Pascal Richard, 12. Juli 1996: Der grosse Bluff
Für viele ist Pascal Richards Olympiasieg in Atlanta 1996 noch in bester Erinnerung. «Aber ich hätte damals kaum gewonnen, wenn ich bei der Tour de France zuvor das gemacht hätte, was ich eigentlich wollte: aufgeben. Zum Glück hat mir mein Sportlicher Leiter nach zwölf Regentagen gut zugeredet. Und prompt habe ich die Etappe nach Le Puy-en-Velay gewonnen», so Richard. Der heute 58-jährige Romand kann sich gut an seinen Sieg erinnern. «Ich war in einer Ausreissergruppe unterwegs. Vier Kilometer vor dem Ziel gab es eine Steigung. Ich war schon immer gut am Berg, habe aber nicht attackiert. Es war ein Bluff – meine Gegner meinten darum, ich sei kaputt. Prompt habe ich im Sprint alle geschlagen. Es war einer der grössten Erfolge meiner Karriere, ein extremer Moment des Glücks.»

Rubens Bertogliati, 7. Juli 2002: Der «dicke» Tessiner schockt alle
Ein Seriensieger war Rubens Bertogliati (43) nie, in seiner Karriere (2000–2012) gewann er viermal. Doch vor zwei Jahrzehnten schlägt er allen Favoriten ein Schnippchen – auch dem grossen Lance Armstrong (50, USA). «Ich lag nach dem Prolog tags zuvor nur 16 Sekunden hinter Lance und hatte nichts zu verlieren. Also griff ich wenige Kilometer vor dem Ziel an. Jetzt oder nie, sagte ich mir. Das Feld schaute sich zu lange an, ich gewann solo und übernahm das Maillot Jaune. Sogar Lance gratulierte mir», erinnert er sich. Heute ist Bertogliati Sportlicher Leiter beim Frauen-Team von UAE Emirates und dem Sport. «Mein Sohn schaut sich meinen Sieg von 2002 manchmal auf Youtube an», erzählt er. Und was meint Bertogliati zur Aussage von Alex Zülle, der gleich nach dem Rennen behauptete, er sei «noch zu dick»? Er muss lachen. «Alex hatte schon recht, das war zu Beginn meiner Karriere mein Problem. Aber ich war auch jung, hatte mehr Fett – das war normal», so Bertogliati.

Pascal Richard war ein begnadeter Radprofi. Am 12. Juli 1996 siegt er bei der Tour de France, weil er den toten Mann spielte.
Foto: Keystone
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Rolf Järmann, 17. Juli 1992: Der Arzt klopfte an die Tür
Seit sieben Stunden ist Rolf Järmann (56) an diesem Tag im Juli vor 30 Jahren im Sattel, ehe er über sein Limit hinausgeht. «Ich war mit Stephen Roche und Pedro Delgado ganz vorne. Delgado holte drei Kilometer vor dem Ziel Anlauf, was ich aus dem Augenwinkel erkannte. Ich wusste, jetzt muss ich kontern! Dabei ging ich weit über meine Grenzen hinaus, sah nur noch Schwarz und Weiss und gewann. Dieser Erfolg hat mich extrem bekannt gemacht», so Järmann. Tatsächlich erhält der Thurgauer nach seinem Tour-Triumph mehrere Angebote von Managern anderer Teams. Und auch die Ärzte der eigenen Mannschaft Ariostea melden sich auf einmal. «Noch am selben Abend klopfte Michele Ferrari an meine Zimmertür. Er bot mir Doping an. ‹So gewinnst du noch mehr›, sagte er. Ich lehnte ab, denn vorher hatte er sich nie für mich interessiert. Ich wollte ihm eins auswischen. Das habe ich getan», so Järmann. Später konsumierte er dann doch noch EPO – regelmässig. «Weil ich überzeugt war, dass es alle nehmen. Es war die Anfangszeit des Dopings», so Järmann. Auch heute noch ist er überzeugt: «Mit der gleichen Leistung wie 1992 hätte ich drei Jahre danach keine Chance mehr gehabt.»

Tony Rominger, 14. Juli 1993: Die Tour war ihm zu heiss
«Die Tour de France war nicht mein Rennen, ich war nie wirklich gut», sagt Tony Rominger (61). Dennoch: 1993 gewinnt der Zuger drei Etappen, wird zweimal Zweiter und Bergpreiskönig. Dafür hätten viele andere unterschrieben. An seinen Etappensieg in Serre Chevalier am französischen Nationalfeiertag erinnert sich Rominger jedenfalls gerne. «Ich riss mit anderen Fahrern am Col du Galibier aus. In der Abfahrt liess ich mich nicht abschütteln – schliesslich hatte ich am Berg ja gelitten wie ein Schwein. Am Ende gewann ich im Dreiersprint gegen Alvaro Meja und Miguel Indurain. Das war nicht mehr schwierig», sagt er. Tags darauf gewinnt Rominger erneut – so wie am zweitletzten Tag, als er im Zeitfahren den grossen Star Indurain deklassiert. Am Ende ist er Gesamtzweiter, sein Rückstand auf Indurain beträgt 4:59 Minuten. «Die Tour de France war nicht mein Rennen, weil es mir dort meist zu heiss war. 1995 gewann ich dafür beim Giro. Damals war die Italienrundfahrt fast so wichtig wie die Tour – heute kann man das fast nicht glauben», so Rominger.

Urs Freuler, 2. Juli 1981: 800 Franken und ein wenig Ärger
Seit René Binggeli (1941–2007) im Jahr 1967 wartet die Rad-Schweiz im Sommer 1981 auf einen Sieg bei der Tour de France. Dann kommt Urs Freuler! Mit erst 22 Jahren beendet er mit einem Sieg in Bordeaux die helvetische Durststrecke. Wie? Klar, mit einem Sieg im Massensprint. «Damals hatte ich beim Team Raleigh-Creda nur einen Gastvertrag für 14 Tage – 800 Franken pro Tag, das war damals viel Geld. Ich verliess die Tour kurz darauf, um mich auf die Bahn-WM zu konzentrieren. Der Tour-Direktor war ziemlich wütend war, weil ich mich aus dem Staub gemacht hatte», so Freuler. Letztlich ging alles auf, der Mann mit dem markanten Schnauz wurde Weltmeister – und kehrte nie mehr zur Tour zurück. «Der Giro war mein Rennen. Dort war das Essen besser und die Menschen freundlicher», sagt er.

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