Ex-Trainer von Kilian Wenger schlägt Alarm
«So wird der Schwingsport kaputtgemacht!»

Der ehemalige Trainer von Kilian Wenger befürchtet, dass der Kommerz dem Schwingsport das Genick brechen wird.
Publiziert: 15.06.2024 um 19:59 Uhr
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Aktualisiert: 16.06.2024 um 08:58 Uhr

Roland Knutti hat in seinem Leben schon sehr viel Staub aufgewirbelt. Der gelernte Zimmermann aus dem Diemtigtal hat bis 2010 als Sennenschwinger für den Berner- und Nordwestschweizer Verband seinen Mann gestanden.

Obwohl der 1,72-Meter-Mann im Vergleich zu den ganz Bösen in körperlicher Hinsicht deutlich unterlegen war, erkämpfte er sich im Sägemehl 18 Kränze. Nach seiner Aktivlaufbahn wurde Knutti auf Initiative des späteren Königs Matthias Glarner zum Trainingsleiter der Berner Oberländer gewählt.

In dieser Funktion hat der Glatzkopf auch Kilian Wenger, der vor 14 Jahren in Frauenfeld in sensationeller Manier am Eidgenössischen triumphierte, gecoacht. Aber ausgerechnet die Entwicklung von King Kilian war mitentscheidend, dass sich Knutti 2013 aus der Schwingerei verabschiedet hat: «Der Schwingsport hat durch Einfach- und Bescheidenheit grosse Beliebtheit erlangt. Aber durch König Wenger, der von Kopf bis Fuss vermarktet wurde, hat der Kommerz im einstigen Spiel der Sennen überhandgenommen. Die Arenen wurden immer noch gigantischer, mit jedem Fest pilgerten noch mehr Modefans an den Sägemehlrand. Das alles habe ich nicht länger ertragen.»

Roland Knutti hat trotz körperlicher Unterlegenheit 18 Kränze erschwungen.
Foto: Zvg
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«Primitives Verhalten am Berner Oberländischen!»

Deshalb hat Knutti bis in diesem Frühling kein grosses Schwingfest mehr besucht. Aber aufgrund des Gastspiels des amtierenden Innerschweizer Königs Joel Wicki ist der mittlerweile 48-Jährige Ende Mai erstmals seit elf Jahren ans Berner Oberländische nach Brienz gefahren. «Wicki imponiert mir, weil er trotz seiner für einen Schwinger bescheidenen Grösse von 1,83 Metern den Thron erobert hat. Diesen aussergewöhnlichen Athleten wollte ich live erleben.»

Doch spätestens bei Wickis drittem Gang gegen der Walterswiler Landwirt Fabian Aebersold hat der zweifache Familienvater sein Comeback auf einer grossen Schwinger-Tribüne bereut. «Nachdem der zähe Mittelschwinger Aebersold dem königlichen Gast aus dem Entlebuch einen Gestellten abgerungen hat, hat sich ein Grossteil des Publikums absolut primitiv verhalten. Die sogenannten Berner Schwingexperten haben König Wicki absolut respektlos behandelt. Und Aebersold hat nach diesem Kampf zu allem Überfluss das Publikum zur La-Ola-Welle animiert, was überhaupt nicht Schwingerart ist.»

Ärger wegen Staudenmanns Brünig-Brief

Es ist aber auch eine Initiative des Berner Seriensiegers Fabian Staudenmann, die Knutti richtig wütend macht. Was ist passiert? Der Kilchbergsieger schickte im Frühling eine Mängelliste an den OK-Präsidenten des Brünig-Schwingets, die von zahlreichen Berner Schwingern unterzeichnet worden war. Neben einem ordentlichen Schwinger-WC und einem Vorkaufsrecht für Tickets fordern Staudenmann und Co. auch eine Erhöhung des Preisgelds.

«Für einen Schwinger sollte es eine Ehre sein, wenn er an einem derart prestigeträchtigen Bergkranzfest teilnehmen darf. Der Sieg und der Kranzgewinn sollten im Zentrum stehen, das Preisgeld darf keine Rolle spielen», poltert der Berner Oberländer und liefert ein Beispiel aus seiner Aktivzeit: «Ich wurde 2003 von meinem Schwingverband für den Schwägalp-Schwinget nominiert. Ich habe für die Hotel-Übernachtung in Appenzell ungefähr 100 Franken ausgegeben. Nach meinem sechsten Gang habe ich 100 Franken Preisgeld und ein Stück Käse erhalten. Es wäre mir in dieser Situation nie in den Sinn gekommen, über Aufwand und Ertrag zu diskutieren. Stattdessen war ich überglücklich, dass ich an diesem genialen Bergfest teilnehmen durfte.»

Glarner macht Hoffnung

In Knuttis Augen werden die traditionellen Werte aber auch von der Führung des Eidgenössischen Schwingerverbands (ESV) mit Füssen getreten. «Gemäss Leitbild des ESV sollten alle gleich behandelt werden, egal ob König oder Nichtkranzer. Die Corona-Zeit hat aber in aller Deutlichkeit bewiesen, dass die Verbandsführung eine Zweiklassengesellschaft geschaffen hat, weil sie auf einmal nur den 120 Besten eine Trainingserlaubnis erteilt hat.»

Und noch etwas: «Die ESV-Führung predigt immer ganz demütig Wasser, in Wahrheit wird aber Wein getrunken. Seit 2010 versprechen die hohen Herren, dass man die Eidgenössischen Schwing- und Älplerfeste wieder etwas kleiner machen will. In Wahrheit werden diese Anlässe immer noch grösser. Der Schwingsport geht kaputt, wenn sich das nicht bald ändert.»

Der eingefleischte Traditionalist wirft in seinem Treppenhaus einen wehmütigen Blick auf das Plakat des ersten Eidgenössischen 1889. «Dieses Bild dokumentiert die gewünschte Einfach- und Bescheidenheit im Schwingsport.» Knutti weiss, dass es nie mehr so sein wird wie damals. Trotzdem macht ihm ein Mann Hoffnung: «Matthias Glarner ist OK-Präsident des Eidgenössischen 2028 in Thun. Weil ich weiss, dass Mättel die wesentlichen Schwingerwerte hochhält, glaube ich daran, dass er in vier Jahren ein Fest organisiert, das auch meinen Vorstellungen entsprechen wird.»

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