Lieber Chrigu
In meiner neuen Rolle als TV-Experte müsste ich ja eigentlich neutral sein. Aber ich gebe es gerne zu, dass mir dies am Sonntag nicht immer gelungen ist. Ja, ich habe mit dir mitgefiebert.
Zum einen, weil ich dich als Mensch sehr gerne habe. Zum andern hätte es mir ewig Leid getan, wenn ein derart begnadeter Schwinger wie du seine Karriere ohne diese Krone hätte beenden müssen.
Ich habe dich in ganz jungen Jahren manchmal mit neidvollem Blick betrachtet. Während ich ein schmaler Wurf war, hattest du neben deinem genialen Gefühl auch körperlich die idealen Voraussetzungen für diese Sportart. Aber genau deshalb darf ich rückblickend sagen, dass ich ohne dich nie Schwingerkönig geworden wäre.
Nur dank einem so grossen Weggefährten wie dir konnte ich selber wachsen. Weil ich trotz meinen körperlichen Limiten mit dir mithalten wollte, musste ich sehr viel härter trainieren.
Wir müssen uns ja rückblickend nichts vormachen. Es gab Zeiten, in denen du nicht das Optimum aus dir herausgeholt hast. Aber du hast wie auch ich aus deinen Fehlern gelernt. Du hast mit Cécile die perfekte Frau gefunden und mit Tommy Herzog einen Trainer verpflichtet, der die genau richtigen Methoden und Worte für dich gefunden hat.
Aber sei mir bitte nicht böse, wenn ich vor dem Ende dieses Briefes noch ein paar Worte an den Mann richten möchte, den du im Schlussgang besiegt hast: Joel Wicki, ich bin auch auf dich sehr stolz.
Es gibt in meinen Augen keinen anderen Schwinger, der aus seinen körperlichen Möglichkeiten so viel herausholt wie du, Joel. Deshalb würde ich richtig wütend werden, wenn dich in den nächsten Tagen irgend jemand für diese Niederlage kritisieren sollte.
Denn seit dreissig Jahren hat nie mehr ein Innerschweizer an einem Eidgenössischen Schwingfest das erreicht, was du diesmal geschafft hast.
Lieber Chrigu, lieber Joel: Herzlichen Dank für eure grossartigen Darbietungen!
Euer Mättu
