Legendär – Heidi Zeller-Bähler fliegt aus dem Starthaus
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Skibindungen gebrochen:Legendär – Heidi Zeller-Bähler fliegt aus dem Starthaus

1994 purzelte Skirennfahrerin Heidi Zeller-Bähler aus dem Starthaus
«Es nervt, dass ich auf diese eine Szene reduziert werde»

Heidi Zeller-Bähler? Das ist doch die, die vor 30 Jahren ohne Ski an den Füssen aus dem Starthaus flog. Warum sie diese Reaktion nicht mehr hören kann, erzählt sie uns beim Besuch auf ihrem Bauernhof.
Publiziert: 06.03.2024 um 00:20 Uhr
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Aktualisiert: 06.03.2024 um 09:05 Uhr
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Daniel LeuStv. Sportchef

Wer bei Google den Namen Heidi Zeller-Bähler eingibt, dem schlägt die Suchmaschine automatisch das Wort Start vor. Mit Start ist ihr Missgeschick im kanadischen Whistler von 1994 gemeint. Damals brachen der Berner Oberländerin beide Ski-Bindungen, sie flog bäuchlings und ohne Ski an den Füssen spektakulär aus dem Starthaus.

Am 6. März jährt sich diese legendäre Panne bereits zum 30. Mal. Die mittlerweile 56-Jährige sitzt an einem wolkenverhangenen Dienstag in der Stube ihres Hofs Dörishus hoch über Wattenwil BE und sagt: «Je älter ich werde, desto mehr nervt es mich, dass meine ganze Karriere auf diese eine Szene reduziert wird.»

Die verhängnisvolle Szene: Heidi Zeller-Bähler landet in Whistler (Ka) auf dem Bauch.
Foto: Screenshot SRF
Einer ihrer grössten Erfolge: 1995 wurde sie hinter Vreni Schneider (M.) und Katja Seizinger (l.) Dritte im Gesamtweltcup.
Foto: Sven Thomann
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Zeller-Bähler ist in der Tat mehr als nur diese eine Szene. Sie gewann drei Weltcuprennen, fuhr in vier verschiedenen Disziplinen aufs Podest, wurde Dritte im Gesamtweltcup und verpasste 1993 in Morioka als Vierte nur knapp eine WM-Medaille.

«Ich habe zu wenig auf mich gehört»

Trotzdem ist ihr Name bei vielen Ski-Fans in Vergessenheit geraten. Das liegt daran, dass sie sich längst komplett aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat und dass zu ihrer Aktivzeit die interne Konkurrenz extrem gross war: Bournissen, Ehrat, Figini, Nef, Oertli, Rey-Bellet, Schneider, Walliser, Heidi Zurbriggen. «Ich konnte damals Siebte werden, doch das hat niemanden interessiert, weil vor mir halt noch drei andere Schweizerinnen klassiert waren», erzählt Zeller-Bähler nüchtern, ohne damit zu hadern. Es sei aber auch an ihr gelegen, dass sie nicht noch grössere Erfolge gefeiert habe. «Ich habe zu wenig auf mich gehört. Wäre ich meinen eigenen Weg gegangen, wäre viel mehr dringelegen.»

Dass aus Klein Heidi mal eine Skirennfahrerin werden könnte, hatte sich schon früh abgezeichnet. Sie wuchs als eines von fünf Kindern auf einem Bergbauernhof in Sigriswil auf. Im Winter verbrachte sie jede freie Minute auf den Ski. Bereits mit 16 fuhr sie im Europacup, mit 17 schon im Weltcup. Eine für sie neue, unbekannte Welt. «Ich kann mich noch gut an die Junioren-WM 1984 erinnern, die in den USA stattfand. Damals bin ich, die Bergbauerntochter, das erste Mal in meinem Leben geflogen. Als wir dort ankamen, gab es zum Abendessen Hummer. Ich hatte natürlich keine Ahnung, wie man den isst, und wäre beinahe verhungert.»

Tagwacht um 4.20 Uhr

Heute sieht das Leben der Mutter von zwei erwachsenen Kindern wesentlich unspektakulärer aus. Zusammen mit ihrem Mann Hans bewirtschaftet sie einen Bauernhof. Der Ausblick hier oben auf den Thunersee und Eiger, Mönch und Jungfrau ist beeindruckend. Auf dem Hof Dörishus gibt es Kühe, Rinder, Kälber, Katzen, Hühner und Hasen. «Unser Hof ist viel zu klein, um davon leben zu können. Deshalb arbeite ich noch als Sportlehrerin und mein Mann als Metzger.»

Die Folge davon sind lange Arbeitstage, pardon, sehr lange Arbeitstage. Zeller-Bähler steht jeweils um 4.20 Uhr auf und geht direkt in den Stall. Danach bringt sie erst die Milch in die Käserei und fährt anschliessend in ihre alte Heimat Sigriswil, um dort zu arbeiten. Nachmittags und abends kümmert sie sich dann wieder um den Hof, den Haushalt und die Buchhaltung. Ferien? Gibt es pro Jahr nur eine Woche. «In der lassen wir es uns aber in einem schönen Hotel gutgehen.» Verständlich, dass bei diesem vollen Programm das Skifahren oft zu kurz kommt. «Bisher stand ich in diesem Winter erst an drei Tagen auf den Ski.»

«Alle hatten Mitleid mit mir, aber ...»

Wäre nur noch eine Frage zu klären: Wie war das nochmals in Whistler 1994? Zeller-Bähler lacht. «Wenn ich eine neue Klasse bekomme, fragen mich das die Schülerinnen und Schüler jeweils auch. Sie sagen dann: ‹Sie, Frau Bähler, wir haben Sie gegoogelt.› Und müssen dabei schmunzeln. Also, Whistler 1994. Ich galt damals als eine der besten Starterinnen im Weltcup. Doch als ich mich kräftig abstiess, hat es mir wegen eines Materialfehlers beide Platten inklusive Bindungen von den Ski gerissen.»

Zeller-Bähler flog deshalb kopfüber nach vorne weg, ohne den Zeitmessungsstab zu berühren. «Als ich dann auf dem Schnee bäuchlings nach unten schlitterte, musste ich noch den Kopf einziehen, damit ich unter der Werbebande durchrutschen konnte. Ich lag dann da, erwachte plötzlich wie aus einer Ohnmacht kommend und verstand die Welt nicht mehr. Ich fragte mich: Ich bin doch gestartet, aber warum liege ich jetzt hier? Es dauerte einige Sekunden, bis ich begriff, was genau passiert war.»

Abends im Hotel sei es dann besonders schlimm gewesen. «Ich teilte das Zimmer mit Heidi Zurbriggen. Da ich niemandem über den Weg laufen wollte, schaute sie jeweils, ob die Luft rein ist, bevor ich rausging.» Sei sie doch jemandem begegnet, sei die Reaktion immer die gleiche gewesen. «Alle hatten Mitleid mit mir, mussten aber gleichzeitig auch das Lachen unterdrücken. Man hat ihnen richtig angesehen, dass es sie fast ‹verchüblet› hat.»

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