Der ehemalige Streckenarzt erinnert sich an die Albrecht-Tragödie
«Das Krasseste, was ich am Hahnenkamm erlebt habe!»

Vor 15 Jahren ist Daniel Albrecht in Kitzbühel in schrecklicher Manier gestürzt. Jetzt äussert sich der Mann, der die Erste Hilfe geleistet hat.
Publiziert: 22.01.2024 um 19:30 Uhr
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Aktualisiert: 22.01.2024 um 19:34 Uhr
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Marcel W. PerrenSki-Reporter

Kitzbühel, am 22. Januar 2009. An diesem Donnerstag steht auf der berüchtigten Streif ein Abfahrtstraining auf dem Programm. Die Bedingungen sind optimal, die Piste ist pickelhart, am Himmel ist keine Wolke zu erkennen. Aber über dem Hahnenkamm hängt auch der Geruch von Angst in der Luft.

Die Piste ist in diesem Jahr besonders schnell, beim Zielsprung werden deshalb besonders weite Flüge erwartet. Der langjährige Kitzbüheler Chefarzt Helmuth Obermoser teilt seinen fünf Streckenärzten die Positionen zu. Der junge Innsbrucker Chirurg Hermann Nehoda wird zum Zielsprung beordert. «Ich war in diesem Jahr zum ersten Mal bei einer Hahnenkamm-Abfahrt im Einsatz und hatte deshalb keine Ahnung, was da wirklich auf mich zukommen kann. Aber ich habe dann relativ deutlich gespürt, dass der Zielsprung einigen Leuten Sorgen bereitet», erinnert sich Nehoda.

«War sofort klar, dass es sehr kritisch ist!»

Tatsächlich dauert es nicht lange, bis sich dieser Trainingslauf in eine Tragödie entwickelt. Mit der Startnummer 5 trifft Kombinations-Weltmeister Daniel Albrecht die Traversenausfahrt beim Hausberg derart gut, dass er mit rund 140 km/h auf den Zielsprung zuschiesst. Weil der Walliser, der ein paar Wochen zuvor in souveräner Manier beim Riesenslalom in Alta Badia triumphierte, nach dem Absprung in Rücklage gerät und Unterluft bekommt, fliegt er in hohem Bogen durch die Luft und schlägt heftig mit dem Kopf auf der eisigen Streif auf.

Am 22. Januar 2009 hat Daniel Albrecht nach dem Abflug beim Kitzbüheler Zielsprung ein schweres Schädel-Hirn-Trauma erlitten.
Foto: Keystone
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Nehoda sprintet sofort zu Albrecht, leistet die Erstversorgung. «Ich habe den Atemweg gesichert und habe versucht, mit dem Patienten zu kommunizieren. Aber da ist rein gar nichts zurückgekommen. Deshalb war klar, dass sich Daniel Albrecht in einem sehr kritischen Zustand befindet. Es war das Krasseste, was ich als Streckenarzt erlebt habe.» Der damals 25-jährige Albrecht wird vom Zielgelände mit dem Hubschrauber ins Universitätsspital nach Innsbruck überführt, wo er mit einem schweren Schädel-Hirn-Trauma ins künstliche Koma versetzt wird.

Spezielles Wiedersehen

Es dauert 21 Tage, bis der Fiescher wieder aus dem Koma erwacht. Eineinhalb Jahre nach diesem schrecklichen Ereignis kommt es auf der grünen Streif zum Wiedersehen zwischen Albrecht und Nehoda. «Albrecht kehrte an diesem Septembertag erstmals nach Kitzbühel zurück und spazierte über die Streif. Als ich ihn danach im Zielraum treffen durfte, war das für mich schon ein speziell schöner Moment, weil es alles andere als selbstverständlich ist, dass es Daniel nach diesem schrecklichen Unfall wieder so gut geht», erzählt der Tiroler Doc.

Albrecht liefert Jahre später den Beweis, dass er seinen pechschwarzen Humor durch diesen Unfall nicht verloren hat. «Vielleicht hilft mir der Sturz bei der Erziehung meiner Tochter. Sollte ich eines Tages feststellen, dass sie zu wild und zu schnell über die Skipisten rast, werde ich ihr das Video meines Abflugs zeigen ...»

Sechs Jahre nach dem Karriereende von Albrecht gab auch Nehoda seinen Rücktritt als Streckenarzt am Hahnenkamm. «Nach dem Unfall von Daniel wurde ich auf der Streif mit weiteren heftigen Kopfverletzungen konfrontiert. Ich war am Hausberg positioniert, als Marc Gisin dort abflog und ein ernstes Schädel-Hirn-Trauma erlitt. Es gibt Ärzte, die in solchen Situationen total abgebrüht sind. Aber ich habe immer extrem mit diesen Athleten mitgelitten. Deshalb bin ich nicht mehr am Hahnenkamm im Einsatz.»

Daniel Albrecht war zuletzt 2019 auf der gefährlichsten Abfahrt der Welt. Beim Blick auf den Zielsprung sagte er augenzwinkernd: «Ohne diese Kante wäre ich jetzt wahrscheinlich Multimillionär.» Am Hungertuch muss «Albright» heute aber nicht nagen – sein Geschäft mit Mondscheinhäusern und massgeschneiderter Skibekleidung läuft gut. Und bald will Albrecht eine eigene Schule eröffnen.

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