Bergführer Rolf Sägesser warnt vor instabilen Gebieten
Neue Gefahren für Tourengänger in den Alpen

Schnee und Eis sind wichtig für die Stabilität der Alpen. Die schmelzenden Gletscher sorgen für neue Gefahren – was den Tourismus vor neue Herausforderungen stellt.
Publiziert: 02.08.2023 um 17:20 Uhr
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Aktualisiert: 02.08.2023 um 20:36 Uhr
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Jean-Claude RaemyRedaktor Wirtschaft

Fast täglich bröckelt der Fels. Erst hielt der Bergsturz in Brienz GR die Schweiz in Atem. Seither gab es auch einen Bergsturz in Bisisthal SZ. Oder in Sils-Maria GR. Oder am Fluchthorn in Tirol.

Natürlich sind Bergstürze kein neues Phänomen. Aber sie scheinen sich zu häufen. Und das schafft neue Gefahren. Beispielsweise bei Touren in den Alpen. «Man kann durchaus feststellen, dass Bergtouren seit einigen Jahren mit deutlich mehr Risiken verbunden sind», sagt Rolf Sägesser (62).

Seit 39 Jahren ist er Bergführer, seit neun Jahren Fachleiter Ausbildung Sommer beim Schweizer Alpen-Club (SAC). Seine Erfahrung zeigt: Aufgrund des Klimawandels steigen die Gefahren für Tourengänger in den Bergen.

Hochalpine Touren werden wegen schwindender Schnee- und Eismassen anfälliger für Steinschläge. Der Steingletscher (l.) beim Sustenpass zieht sich immer weiter zurück und macht den Aufstieg gefährlich.
Foto: Keystone
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Gletscherschmelze ist ein Riesenproblem

Das hänge damit zusammen, dass die Gletschermassen in den Alpen abnehmen. «Der Rückgang der Gletscher macht die angrenzenden Gebiete deutlich instabiler», sagt Sägesser. Denn die Eismassen und insbesondere der Permafrost seien stabilisierend und wie Klebmasse für loses Gestein. Da wo die Gletscher weg sind, gibt es jetzt steile Hänge mit sehr losem Gestein.

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«Noch vor wenigen Jahren konnte man bei vielen Gletschern auch im Sommer über geschlossene Schneedecken gehen», führt Sägesser aus. Das sei nun immer seltener der Fall. Er schwelgt in Jugenderinnerungen, als er im Sommer den Aufstieg über den Steingletscher beim Sustenpass auf die Tierberglihütte unternehmen konnte. Heute ist dies aufgrund des massiven Gletscherrückgangs kaum mehr möglich.

Auch die Eigernordwand hat Sägesser in den 80er-Jahren durchstiegen. «Heute ist wegen des fehlenden Eises und der steigenden Permafrostgrenze die Steinschlaggefahr dort viel erheblicher», urteilt er.

Grundsätzlich sorge die sogenannte Ausaperung der Alpen, also das Abschmelzen der Schnee- und Eisdecken und das Steigen der Permafrostgrenze, für zunehmend prekäre Verhältnisse.

Wenig Risiko bei herkömmlichen Wanderungen

Für Tourengänger hat sich die Lage also verändert. Dies bedingt, insbesondere Hochtouren mehr in den Vorsommer zu legen und eine umfängliche, durchdachte Tourenplanung zu machen. Je schwieriger die Route – dafür gibt es eine SAC-Schwierigkeitsskala –, desto vorsichtiger sollte man sein. «Eine genaue Prüfung der Verhältnisse, von Strecke, Wetter und Ausrüstung ist unabdingbar, aber sollte eigentlich auch selbstverständlich sein», so Sägesser.

Für herkömmliche Wanderer verändert sich vorerst noch wenig. Die Bergwanderwege sind gut unterhalten. Wenn Gefahr herrscht, werden die Wege gesperrt. Dafür sind die Kantone zuständig. So konnten grössere Unglücke bislang verhindert werden.

Eher im Vorsommer gehen als im Hochsommer

Was ändert sich mit dem erhöhten Risiko für den Berufsstand der Bergführer? Zunächst die Saisonalität: Laut Sägesser ist es nun besser, gewisse Touren im Vorsommer zu unternehmen, wenn noch Schnee liegt. Denn im Sommer seien diverse Routen wegen des fehlenden Eises und Schnees schlicht nicht mehr sicher genug. Beispielsweise war der Normalanstieg am Piz Roseg GR im Spätsommer 2022 nicht mehr möglich. Noch vor wenigen Jahren kein Problem.

Welche Regionen besonders betroffen sind, mag Sägesser nicht benennen. Die Bedingungen ändern sich immer wieder. Dauerhaft geschlossene Touren gibt es nicht. Aber der Vorbereitungsaufwand habe zugenommen. «Auch die Nachfrage nach unseren Diensten nimmt zu» schliesst Sägesser. Seine Empfehlung: Für Unerfahrene oder wenig Erfahrene sei es ratsam, sich einem Bergführer anzuschliessen. «Das Risiko ist nicht zu unterschätzen.»


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