Bis zu 546 Franken weniger Lohn als bei den Discountern
Warum Migros und Coop die Verkäufer nicht davonlaufen

Im Wettrennen um den höchsten Mindestlohn sind die Grossverteiler längst überrundet. Die Mehrzahl der Mitarbeitenden bleiben ihnen dennoch treu. Versuch einer Erklärung.
Publiziert: 26.02.2023 um 00:49 Uhr
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Aktualisiert: 26.02.2023 um 07:43 Uhr
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Thomas SchlittlerWirtschaftsredaktor

Marco G.* (31) hat schon unzählige Regale aufgefüllt und Millionen Barcodes gescannt. Seit 15 Jahren ist er bei Coop, wo er sich vom Lehrling zum Filialleiter hochgearbeitet hat. Dass eine Kollegin oder ein Kollege zu Aldi oder Lidl wechselte, erlebte er in dieser Zeit jedoch nur selten. «Ich kann mich nur an drei solche Fälle erinnern», sagt er im Gespräch mit SonntagsBlick.

Das ist erstaunlich. Denn im Schweizer Lebensmittelhandel tobt ein Wettlauf um den höchsten Mindestlohn – Coop und Migros wurden dabei längst von den deutschen Discountern abgehängt.

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Bei Aldi Suisse beträgt das Mindestgehalt für Ungelernte mittlerweile 4646 Franken pro Monat, die Wochenarbeitszeit liegt bei 42 Stunden. Bei Lidl Schweiz gilt die 41-Stunden-Woche – und es gibt im Minimum 4500 Franken. Ein 13. Monatslohn ist bei beiden Discountern garantiert.

Bei der Aldi Suisse beträgt der Mindestlohn 4646 Franken und die Arbeitszeit pro Woche 42 Stunden.
Foto: Keystone
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Migros und Coop bieten Ungelernten dagegen nur 4100 Franken, wobei Migros diesen Betrag bis 2024 um 100 Franken anheben will. Zurzeit beträgt der Unterschied zu den Discountern aber bis zu 546 Franken im Monat, pro Jahr gar bis zu 7098 Franken – ein hübscher Batzen, erst recht für Geringverdiener.

Wie kommt es, dass die orangen Riesen trotz dieser Differenz keinen Mitarbeiter-Exodus erleben? Was hält eine Verkäuferin, die 4100 Franken verdient, an der Coop- oder Migros-Kasse, obwohl sie bei Aldi oder Lidl zehn Prozent mehr bekommen könnte?

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Weniger Standorte

Marco G. hat dafür mehrere Erklärungen. «Ein Grund ist sicher, dass Aldi und Lidl viel weniger Standorte haben, gerade auf dem Land», sagt er. Für viele Coop- und Migros-Verkäufer komme ein Wechsel schon wegen des längeren Arbeitswegs nicht infrage. «Gerade Leute mit Kindern sind darauf angewiesen, dass sie über Mittag nach Hause gehen können, um zu kochen.»

Ein weiteres Argument sei die Arbeitsbelastung. «Bei den Discountern stehen für die gleiche Fläche weniger Leute zur Verfügung», sagt der langjährige Detailhandels- angestellte. Angestellte müssten deshalb pro Kopf mehr Paletten entladen, weiss Marco G. von Berufskollegen, die bei Discountern arbeiten. «Das ist nicht per se schlecht, kann aber gerade für ältere Mitarbeiter eine Belastung sein.»

Anne Rubin, Detailhandelsverantwortliche bei der Gewerkschaft Unia, hat beobachtet, dass die Karriere- und Ausbildungsmöglichkeiten bei Coop und Migros breiter gefächert sind als bei den Hartdiscountern. Wichtig sei auch das Thema Teilzeit: «Lidl und Aldi haben tendenziell niedrigere garantierte Pensen und eine höhere Zeitflexibilität. Fast nur Filialleiter und ihre Stellvertreter arbeiten Vollzeit.» Ein Blick in die Stellenausschreibungen bestätigt dies.

Weitere Vergünstigungen

Coop und Migros führen ihrerseits auch ihre Pensionskassenleistungen und «sehr gute Lohnnebenleistungen» ins Feld. Die Coop-Sprecherin spricht von Treueprämien und zahlreichen Vergünstigungen, ihre Kollegin von der Migros streicht einen Beitrag von jährlich mindestens 800 Franken für Angebote in den Bereichen Klubschule, Fitness und Freizeit hervor.

Bei Lidl will man nicht darüber spekulieren, weshalb sich Coop- und Migros-Angestellte nicht massenhaft bewerben. Aldi nimmt die Sache eher sportlich. «Wir freuen uns für unsere Mitbewerber, dass ihre Mitarbeitenden ihnen die Treue halten», schreibt die Medienstelle. Und fügt mit einem Augenzwinkern hinzu: «Auch wir dürfen auf den tatkräftigen Einsatz vieler langjähriger Mitarbeitender zählen, die teilweise seit der Geburtsstunde von Aldi Suisse treu an unserer Seite stehen.»

Damit spricht Aldi einen Aspekt an, den auch Coop-Mitarbeiter Marco G. erwähnt: «Viele halten ihrem Unternehmen wohl einfach deshalb die Treue, weil sie sich vor Veränderungen fürchten – und weil es ihnen bei ihrem jetzigen Arbeitgeber ganz gut gefällt.»

* Name geändert

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