«Jetzt packe ich zusammen»
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Arbeitgeberpräsident tritt ab:«Jetzt packe ich zusammen»

Das letzte Interview mit Valentin Vogt
«Die Schweiz leidet unter einer gewissen Wohlstands-Verwahrlosung»

Am Dienstag tritt Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt (62) ab. In seinem letzten Interview erklärt er, warum der Wohlstand in der Schweiz bedroht ist, was er von Teilzeitarbeit hält und worauf er sich jetzt freut.
Publiziert: 26.06.2023 um 00:06 Uhr
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Aktualisiert: 26.06.2023 um 08:57 Uhr
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Christian KolbeRedaktor Wirtschaft

Einer der letzten Arbeitstage von Valentin Vogt (62) als Präsident des Schweizerischen Arbeitgeberverbands ist zugleich auch einer der heissesten des Jahres. Doch während Vogt nichts anzumerken ist, kommt das Blick-Team nur schon auf dem Weg zum Sitz der Arbeitgeber am Zürichberg ins Schwitzen. Schweissausbrüche haben die zahlreichen heissen Abstimmungskämpfe, die der oberste Arbeitgeber in seinen 12 Jahren an der Spitze ausgefochten hat, bei ihm selten ausgelöst. Schon seit Jahren pflegt Vogt das weitgehend papierlose Büro, einzig ein paar Plakate der umstrittensten Abstimmungen hat er physisch aufbewahrt.

Blick: Valentin Vogt, was waren Ihre grössten Abstimmungserfolge?
Valentin Vogt: Die grössten Erfolge sind sicher die Ablehnung von sechs Wochen Ferien und des gesetzlichen Mindestlohns. Diese Vorlage hat das Schweizer Volk 2014 mit 76 Prozent bachab geschickt.

Eben haben die Städte Zürich und Winterthur einem Mindestlohn zugestimmt. Sehen Sie Probleme bei der Umsetzung?
Die Gewerkschaften scheinen weder Volksentscheide noch mit uns Arbeitgebern ausgehandelte Gesamtarbeitsverträge zu akzeptieren. Sie versuchen nun, über kantonale und kommunale Vorlagen ihr Ziel eines flächendeckenden Mindestlohns zu erreichen. Dieses Vorgehen wird sich zu einem Eigentor entwickeln. Wieso sollen unsere Branchenverbände Gesamtarbeitsverträge aushandeln, wenn diese dann von den Gewerkschaften über kantonale und kommunale Mindestlöhne wieder ausgehebelt werden?

Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt blickt auf umstrittene Abstimmungen zurück.
Foto: Zamir Loshi
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Also auch eine Art Niederlage. Was war denn die schmerzlichste?
Die Initiative gegen die Masseneinwanderung. Die haben wir knapp verloren. Aber es war auch die einzige europapolitische Abstimmung, die in meiner Amtszeit verloren ging.

Die SVP macht einmal mehr mobil gegen die Zuwanderung – eine Gefahr für den Wirtschaftsstandort Schweiz?
Es ist wieder Wahljahr (lacht). Das Kernthema der SVP ist die Zuwanderung. Doch es geht darum, den Lebensstandard und den Wohlstand in der Schweiz zu erhalten. So lebenswert wie heute war unser Land noch nie: Wir haben eine hervorragende Infrastruktur, einen hervorragenden ÖV und einen Wohlstand für die grosse Mehrheit der Bevölkerung wie nie zuvor.

Ohne Zuwanderung können wir den Lebensstandard nicht halten?
Wir werden immer auf Zuwanderung angewiesen sein. Auch wenn wir Arbeitgeber alles dafür tun, das vorhandene inländische Potenzial noch besser zu nutzen – sei es bei den Frauen, bei den älteren Arbeitnehmern, bei den Jugendlichen oder bei Menschen mit Beeinträchtigungen. In den kommenden zehn Jahren werden uns netto rund eine halbe Million Arbeitskräfte fehlen, die lassen sich ohne Zuwanderung nicht ersetzen.

Haben Sie Angst um unseren Wohlstand?
Ich wünschte mir, die Rahmenbedingungen in der Schweiz hätten sich in den vergangenen 12 Jahren verbessert. Immerhin haben wir erreicht, dass sie sich nicht massiv verschlechtert haben. Doch die Entwicklung ist beunruhigend: Wir schneiden, wie bei einer Salami, Scheibe um Scheibe vom Erfolgsmodell Schweiz ab und realisieren vermutlich erst viel zu spät, dass wir bald nur noch die Metallklammer am Ende der Salami in der Hand haben. Das macht mir Sorgen.

Was konkret bedroht das Erfolgsmodell Schweiz?
Die Schweiz leidet unter einer gewissen Wohlstandsverwahrlosung. Der Wohlstand in der Schweiz ist sehr hoch. Aber der grösste Feind des Besseren ist ja bekanntlich das Gute. Wir haben heute ein Niveau erreicht, wo alle noch etwas mehr wollen, aber die wenigsten sich darum kümmern, wie der Kuchen grösser werden könnte. Es geht nur noch darum, wer mehr vom immer gleich grossen Kuchen bekommt – das bringt uns nicht wirklich weiter.

Ihre Kritik zielt auch auf die jungen Arbeitskräfte?
Wenn man in einem Umfeld aufwächst, in dem es nur gut geht, dann ist es schwierig zu wissen, dass es auch anders sein könnte. Wir haben all die Krisen der vergangenen Jahre – Euroschuldenkrise, Aufhebung des Mindestkurses, Pandemie und Ukraine-Krieg – wirtschaftlich gut gemeistert. Ich hoffe, dass es keinen grossen wirtschaftlichen Einbruch braucht, damit die Leute wieder realisieren, woher unser Wohlstand eigentlich kommt. Die mehr als zwei Milliarden Bruttoinlandprodukt, die die Schweiz jeden Tag erwirtschaftet, fallen nicht vom Himmel. Dafür müssen wir alle jeden Tag hart arbeiten.

Das verstehen immer weniger Leute?
Viele glauben, Wohlstand und der Zahltag Ende Monat seien ein Menschenrecht. Doch jede Firma muss zuerst schauen, dass sie das Geld erwirtschaftet, um am Ende des Monats die Löhne bezahlen zu können. Und zwar auch dann, wenn es mal nicht so gut läuft. Das Verständnis, dass unser Wohlstand keine Selbstverständlichkeit ist, scheint verloren gegangen zu sein.

Es herrscht Fachkräftemangel. Sitzen die Jüngeren am längeren Hebeln, und können sie von den Arbeitgebern alles verlangen?
Die Sozialpartnerschaft in den Betrieben basiert nicht darauf, dass die Arbeitnehmenden am längeren Hebel sitzen, sondern darauf, dass man miteinander spricht und die unterschiedlichen Bedürfnisse berücksichtigt. Zum Beispiel, indem man die Möglichkeit von Homeoffice anbietet oder Stellen für 80 bis 100 Prozent ausschreibt. Als Arbeitgeber muss man heute die Bedürfnisse der Mitarbeitenden stärker gewichten als früher.

Oberster Arbeitgeber

Valentin Vogt (62) war von 2011 bis Juni 2023 Präsident des Schweizerischen Arbeitgeberverbands. Nach dem Studium an der Universität St. Gallen stieg er beim Industriekonzern Sulzer bis zum Geschäftsführer des Bereichs Sulzer Metco auf. Heute ist er in verschiedenen Bereichen unternehmerisch tätig, unter anderem als Miteigentümer des Maschinenbauunternehmens Burckhardt Compression in Winterthur ZH. Vogt ist geschieden, Vater von zwei Kindern und rudert zum Ausgleich gern auf dem Zürichsee.

Valentin Vogt (62) war von 2011 bis Juni 2023 Präsident des Schweizerischen Arbeitgeberverbands. Nach dem Studium an der Universität St. Gallen stieg er beim Industriekonzern Sulzer bis zum Geschäftsführer des Bereichs Sulzer Metco auf. Heute ist er in verschiedenen Bereichen unternehmerisch tätig, unter anderem als Miteigentümer des Maschinenbauunternehmens Burckhardt Compression in Winterthur ZH. Vogt ist geschieden, Vater von zwei Kindern und rudert zum Ausgleich gern auf dem Zürichsee.

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Wieso rufen dann immer mehr Unternehmen ihre Leute zurück ins Büro?
Im industriellen Umfeld, wo ich tätig bin, arbeiten zwei Drittel der Angestellten im Büro und ein Drittel in der Produktion. Ein Maschinist oder ein Bohrwerkdreher kann seine Maschine nicht mit nach Hause nehmen. Das gibt soziale Spannungen in den Betrieben. Homeoffice wird ein Teil der Zukunft sein. Doch es braucht dafür klare Regeln, und diese muss jeder Betrieb individuell festlegen.

Was braucht es, bis Frauen und Männer in der Arbeitswelt wirklich gleichberechtigt sind?
Wir sind bei diesem Thema schon sehr weit gekommen. Bei der Ausbildung, bei den Chancen und bei den Löhnen ist die Gleichberechtigung längst oder weitgehend erreicht. Noch viel Arbeit liegt vor uns, um den Anreiz für höhere Arbeitspensen zu steigern. Es muss sich aber auch wirklich lohnen, mehr zu arbeiten – Stichwort Individualbesteuerung.

Teilzeit mit Familie ist ok, Teilzeit für die Work-Life-Balance nicht?
In der Schweiz sind momentan 130’000 Stellen nicht besetzt. Ich frage mich einfach: Woher sollen all die Arbeitskräfte kommen, um diese Lücke zu schliessen? Das einfachste Rezept: Leute, die zum Beispiel 60 Prozent arbeiten, dazu zu bewegen, auf 80 oder mehr Prozent aufzustocken. Ich habe nichts gegen Teilzeit, die Frage ist einfach: Wie viel Teilzeit kann sich die Schweiz leisten?

Viel, denke ich.
Ja, schon, aber wir müssen aufpassen, dass wir nicht von anderen Ländern, die fleissiger sind – zum Beispiel in Asien –, überholt werden. Wir müssen auch bessere Rahmenbedingungen schaffen für Mitarbeitende, die mehr arbeiten wollen. Es fehlen Anreize, mehr zu arbeiten. Im Gegenteil: Überall wird der Ruf nach weniger Arbeit laut – und nicht nach mehr.

Sie aber werden künftig weniger arbeiten?
Mein Ziel ist, mich nach der Abgabe des Präsidiums wieder vermehrt unternehmerisch zu engagieren und bis etwa 70 beruflich aktiv zu bleiben. Heute stehe ich regelmässig um halb fünf Uhr in der Früh auf, mache Sport, gehe zwischen 22 und 23 Uhr ins Bett. Wenn ich künftig mit meiner Tagesroutine erst um halb sieben Uhr beginnen kann, passt das auch. Ich freue mich ebenfalls darauf, nicht mehr eine Person des öffentlichen Lebens, sondern wieder Privatperson zu sein. Als Arbeitgeberpräsident kann man nie wirklich abschalten.

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