Die Wirtschaftlichkeit des Glücks
«Ständiges Vergleichen macht unglücklich»

Der Zürcher Bruno S. Frey ist einer der meistzitierten Ökonomen der Gegenwart. Er findet, dass Gleichheit zur Obsession geworden ist, und hält Lohngleichheit für einen alten Zopf.
Publiziert: 06.03.2022 um 01:03 Uhr
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Aktualisiert: 07.03.2022 um 17:06 Uhr
Interview: René Scheu*

Ein Montagnachmittag in Bruno S. Freys Wohnung im Zürcher Seefeld. Der Gastgeber ist in aufgeräumter Stimmung. Sein Auftritt trägt zu diesem Eindruck bei: hellblaues Hemd, gelbe Hosen, farblich passende Socken und Halbschuhe mit makellos weissen Sohlen. Sobald das Gespräch beginnt, sprüht der politische Ökonom mit Zügen zur Freigeisterei – einer der Letzten seiner Art – vor Einfällen. Ein Stockwerk tiefer arbeiten die Nachwuchsleute des Forschungsinstituts, das er mit seiner Frau Margit Osterloh gegründet hat.

Herr Frey, es gibt einen alten Begriff, der hierzulande neu die Runde macht: Wirtschaftsfeindlichkeit. Ist er ein mediales Phänomen – oder ein reales?
Bruno S. Frey: Die Wirtschaftsfeindlichkeit gibt es wirklich. Oder sagen wir besser: ein Misstrauen gegenüber der Wirtschaft.

Woher kommt dieses Misstrauen?
Ich sehe zwei Entwicklungen, die beide noch wenig erforscht sind. Erstens: Der Staat hat sich in der jüngeren Vergangenheit gewaltig ausgeweitet. Die Anzahl der Staatsangestellten hat in den letzten Jahren laufend zugenommen, nicht nur absolut, sondern auch relativ zur arbeitenden Bevölkerung. In der Schweiz arbeiten über 400'000 Menschen für den Staat, 12 Prozent mehr als 2011. Die Staatsangestellten denken naturgemäss weniger ans Erwirtschaften von Geld als ans Verteilen.

Bruno S. Frey gilt als einer der Pioniere der Ökonomischen Theorie der Politik und der ökonomischen Glücksforschung.
Foto: Thomas Meier
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Halt! Die Staatsangestellten müssten ja eigentlich wirtschaftsfreundlich sein, denn die Wirtschaftsakteure zahlen über Steuern deren Löhne. Man beisst nicht die Hand, die einen füttert.
Schön gedacht, aber der Gedanke zielt leider an der Wirklichkeit vorbei. Die Wirtschaft ist für Leute mit faktischen Lebensstellen fern, die Probleme bleiben abstrakt. Die Wirtschaft gerät vor allem als Bereich in den Blick, die sich über die staatlichen Regulierungen beklagt oder Skandale auf der Teppichetage produziert. Aber es liegt auch noch ein andere Grund für das Misstrauen gegenüber der Wirtschaft vor.

Ich bin gespannt. Welcher?
Frauen. Es gibt einen gut dokumentierten Gender Gap im Wahlverhalten, der anders als der Gender Pay Gap wirklich existiert. Frauen wählen eher linksrot und linksgrün, weil sie in umwelt-, sozial- und geschlechterpolitischer Fragen Staatslösungen grundsätzlich begrüssen.

Frauen wählen eher links – wie kommen Sie darauf?
Frauen arbeiten oftmals in staatlichen oder staatsnahen Branchen. Ich nenne stellvertretend Bildung oder Betreuung. Und diese Branchen gelten als besonders progressiv. Heute sind nun mal die Linken die Hüter des Staates. Das war bekanntlich nicht immer so. 1968 waren die Linken die Speerspitze der Staatskritik. Und noch 1980 wollten sie aus dem Staat Gurkensalat machen.

Und die Aussage, dass es einen Gender Pay Gap gebe, ist falsch?
Sie ist falsch geworden. Lohndiskriminierung war lange Zeit ein echtes Thema. Und zum Glück gingen die Frauen zusammen mit aufgeklärten Männern auf die Barrikaden. Lohngleichheit meint gleichen Lohn für gleiche Leistung. Das ist verwirklicht. Aber eine Menge Frauen wählen aus eigenem Antrieb eher Jobs im sozialen als im technischen Bereich, nicht nur in der Schweiz, sondern mehr oder weniger überall, und die sind schlechter bezahlt. Auch dazu gibt es viele interessante Studien. Die unterschiedliche Bezahlung in unterschiedlichen Bereichen hat mit einem Gender Pay Gap nichts zu tun.

Persönlich: Bruno S. Frey

Bruno S. Frey ist ständiger Gastprofessor für Politische Ökonomie an der Universität Basel und Gründungsmitglied des CREMA – Center for Research in Economics, Management and the Arts in Zürich. Er zählt zu den meistzitierten europäischen Ökonomen der Gegenwart.

Bruno S. Frey ist ständiger Gastprofessor für Politische Ökonomie an der Universität Basel und Gründungsmitglied des CREMA – Center for Research in Economics, Management and the Arts in Zürich. Er zählt zu den meistzitierten europäischen Ökonomen der Gegenwart.

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Demnach kursieren in der Politik und in den Medien Legenden?
Manche Politiker und Journalisten hängen alten Zeiten nach. Doch dass sich die Zeiten zum Glück geändert haben, beginnt sich herumzusprechen. Umgekehrt haben es je nach Branche die Männer, und vor allem die Jüngeren unter ihnen, gerade ziemlich schwer – in der SP zum Beispiel werden sie eher spärlich aufgestellt und kaum mehr gewählt. Auch an den Universitäten ist es für junge Wissenschafter wenig ratsam, eine wissenschaftliche Karriere einzuschlagen. Denn da wird ganz offen kommuniziert, dass nun die Frauen zum Zug kommen.

Finden Sie das richtig?
Ich stelle es einfach fest.

Sind Sie für Quoten?
Nein. Ebenso wenig wie meine Frau Margit Osterloh, die zu Genderfragen forscht. Quoten zementieren den Opferstatus der Gruppe, die sie zu fördern vorgeben. Und das haben emanzipierte Frauen nicht nötig. Umgekehrt ist es natürlich sinnvoll, dass Gremien vielfältig zusammengesetzt sind. Allerdings ist dies eine alte Erkenntnis: Vielfalt von Erfahrungen und Hintergründen fördert immer die Suche nach kreativen und klugen Lösungen.

Früher haben Wirtschaftsverbände wie folgt argumentiert – nennen wir sie die sympathische Variante 1: Die Wirtschaft, das sind wir alle. Wer also gegen die Positionen der Wirtschaftsvertreter stimmt, stimmt gegen sich selbst. Warum verfängt dies nicht mehr?
Die meisten Unternehmen sind in der Schweiz Mikro- und Kleinunternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitern. Die haben wenig Sichtbarkeit in der öffentlichen Diskussion. Die wichtigen Unternehmerverbände hingegen vertreten die grossen Konzerne und ihre Manager, deren Einstehen für die Interessen der Schweiz niemanden überzeugt. Einige tendieren dazu abzuheben. Und die Medien bauschen diese Geschichten gerne auf, denken Sie nur an diese drei Namen, die nachhallen: Marcel Ospel, Daniel Vasella, Pierin Vincenz.

Ergo?
Ergo müssten die Kleinst- und Kleinunternehmer in die Hosen steigen. Sie müssen engagiert erklären, was sie tun. Sie müssten ihre Anliegen auch wieder gegenüber der Stimmbevölkerung vertreten.

In Phase 2, etwas weniger sympathisch, hiess es nun einige Jahre lang: Wenn die Bürger die Interessen der Wirtschaft nicht stützen, dann wandern die Unternehmen ab. Warum zieht dieses Argument nicht mehr?
Die Gefahr des Wegzugs besteht weiterhin. Aber bisher sind kaum Unternehmen abgewandert, deshalb hat sich das Argument über die Jahre abgenützt. Allerdings lässt sich dies auch positiv wenden: Die Schweiz bleibt für die Unternehmen bis auf weiteres ein attraktiver Standort. Die Institutionen sind leistungsfähig, die politische Verlässlichkeit ist trotz allem höher als anderswo, die Leute sind gut ausgebildet, handwerklich wie akademisch.

Und was ist mit den Wirtschaftsverbänden und den Wirtschaftsparteien los?
Die FDP ist viel zu abgehoben. Im Parlament sitzen ja keine Schreinermeister und Elektroinstallateure, sondern vor allem studierte Juristen und Lobbyisten. Und die grösseren Wirtschaftsverbände wie Economiesuisse und Swissmem haben leider abgedankt. Sie erinnern an schwerfällige bürokratische Kolosse.

Haben Sie eine Idee, wie sich die Bürgernähe des Parlaments erhöhen liesse?
Klar. Mit einer institutionellen Ergänzung. Mein Vorschlag: Es braucht eine dritte Kammer mit Gesetzgebungskompetenz, in die Abgeordnete aus der wahlfähigen Bevölkerung per Zufall gewählt werden. Die Tramfahrerin, der Koch, der Coiffeur. Das garantiert Vielfalt, es garantiert gesunden Menschenverstand, es durchbricht Seilschaften und Klüngeleien.

Würden sich die Kammern nicht wechselseitig blockieren, hier die Amateure, dort die Profis?
Das denke ich nicht. Leute aus dem Volk können durchaus sinnvoll entscheiden. Die gewählten Politiker wollen ja Einfluss nehmen – nur müssen sie dann eben wirklich auf Volkes Stimme hören.

Schöne Idee, aber leider völlig unrealistisch.
Wir tun so, als wären die heutigen Institutionen aus dem 19. Jahrhundert der Weisheit letzter Schluss. Als wäre der Staat am Ende der Geschichte angekommen. Ich muss sagen: Diese Ansicht finde ich völlig weltfremd. Die Schweiz braucht mehr Experimentierfreude in institutionellen Fragen. Schon vor einiger Zeit habe ich vorgeschlagen, neue demokratische Jurisdiktionen zu schaffen, nicht nach dem historisch zufälligen Territorialprinzip, sondern ausgerichtet auf die Probleme der Leute.

Zum Beispiel?
Okay, es klingt ungewohnt, und ich fasse mich kurz. Ich nenne diese Einheiten «Functional Overlapping Competing Jurisdictions» (FOCJ). Die kann man beliebig über die ganze Schweiz oder sogar über die Landesgrenzen hinaus bilden. Sie haben Steuerhoheit, sind demokratisch legitimiert und fokussieren stets auf ein Problem – zum Beispiel: Gesundheit, also Spitäler. Oder Bildung, also Schulen. Denn fragen Sie sich einmal: Für welche Probleme ist denn beispielsweise der Kanton Zürich genau die richtige Einheit?

Nun ja, für die Zürcher.
Ihre Antwort ist tautologisch! Jenseits der Tautologie müsste man sagen: für nichts. Daher die Idee der FOCJ, die sich einer konkreten Fragestellung annehmen. Wer zum selben Bildung-FOCJ gehört – die Teilnahme ist freiwillig –, entscheidet, zahlt und profitiert von den neuen Bildungsinstitutionen. Es könnten auch verschiedene FOCJ zum selben Problem untereinander im Wettbewerb stehen und voneinander lernen. So würden wir endlich Probleme adressieren und lösen statt nur verwalten und politisch bewirtschaften.

Ich kenne Ihre Forschung hierzu, die international vielbeachtet ist. Aber ich fürchte, Sie sind experimentierfreudiger als die meisten Leute – wenn sich im Zuge des zweiten Maschinenzeitalters gerade so ziemlich alles ziemlich schnell verändert, die Biografien, die Kompetenzen, die Technik, der Alltag, nun, dann ist die Mehrheit froh, wenn wenigstens der Staat so bleibt, wie er ist.
Das sehe ich anders. Auch die staatlichen Einrichtungen werden und müssen sich weiterentwickeln, nicht nur die Wirtschaft und die Gesellschaft.

Die Menschen wollen eine Lebenswelt, die ihnen vertraut ist. Das ist ein anthropologisches Grundbedürfnis.
Das sei ihnen auch unbenommen. Sie wohnen ja in meiner FOCJ-Welt immer noch am selben Ort, in derselben Stadt, auf demselben Stück Land. Nur werden eben die geografische und politische Vielfalt weitgehend voneinander gelöst. Dafür ist es höchste Zeit – der Nationalstaat ist ein Auslaufmodell. Er entspricht ja gerade nicht der echten Lebenswelt der Menschen. Da sind Täler, Regionen, Städte, Agglomerationen viel wichtiger.

Was halten Sie von einer Instant-Demokratie, in der die Bürger jede Woche über alle möglichen kommunalen, kantonalen und nationalen Vorlagen abstimmen können?
Gar nichts. Weil Demokratie bedeutet, dass man miteinander redet. Fällt die Diskussion weg, leidet auch die Qualität der demokratischen Entscheidungen – und darunter wiederum leidet zuletzt das Ansehen der Demokratie. Eine solche Instant-Demokratie wäre der perfekte technische Kniff, um die Demokratie auf lange Frist abzuschaffen.

Sie haben jüngst die Idee lanciert, unterschiedliche Bürgerstimmen unterschiedlich zu gewichten. Dies erinnert an das alte Zensuswahlrecht, wonach nur eine Stimme hatte, wer Steuern zahlte oder über hinreichend Vermögen verfügte. Wollen Sie neue Klassen von Bürger einführen?
Nicht Klassen, sondern Gewichte! Das ist ein wichtiger Unterschied. Ich würde den 16- bis 18 Jährigen Stimmrechte geben, aber eben weniger stark gewichtete. Und ich würde das vom Grad der Zustimmung der Gesamtbevölkerung zur entsprechenden Vorlage abhängig machen. Das heisst: Je nachdem, ob beispielsweise 30 oder 60 Prozent der bestehenden Stimmbürger für das Stimmrecht ab 16 Jahren sind, dann soll künftig das Stimmrecht der 16- bis 18-Jährige zu 30 oder 60 Prozent gewichtet werden. Die Stimmengewichte können über die Zeit angepasst werden.

Ansonsten haben alle Stimmen das gleiche Gewicht?
Nein. Man kann über die ganze Bandbreite nachdenken. Ich persönlich würde die Stimmen der älteren Bevölkerung höher gewichten, wenn es um grundsätzliche Fragen insbesondere institutioneller Art geht.

Warum denn das?
Ganz einfach: weil sie ihre eigenen Interessen hintanstellen. Denn sie wissen, dass ihre Tage gezählt sind.

Aber müssten Sie als Ökonom nicht gerade dafür eintreten, dass Bürger ihr aufgeklärtes Eigeninteresse wahrnehmen?
Bei Einzelfragen schon. Aber wenn es um längerfristige Grundsatzentscheide geht, ist im Vorteil, wer von seiner eigenen aktuellen Position zu abstrahieren vermag. Man sollte ein Gedankenexperiment anstellen, so als würden die Institutionen sich hinter einem Schleier des Unwissens verbergen. Die grosse Frage ist – welches sind die besten Institutionen für mich, wenn ich nicht wissen kann, in welche gesellschaftliche und wirtschaftliche Position ich hineingeboren werde?

Ich lasse dies so stehen und halte fest: Sie denken auch gegen heilige Sätze Ihrer eigenen Disziplin an. In den letzten Jahren haben Sie auch zu Glück geforscht. Wohlstand und Glück korrelieren, aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Korrekt?
Ökonomisch gesprochen: Es gibt einen abnehmenden Grenznutzen von Wohlstand bzw. Geld. Zuerst macht Geld extrem glücklicher, zuletzt kaum mehr. Zugespitzt: Wenn sich das Einkommen verdoppelt, verdoppelt sich das Glück nicht.

Gibt es einen Kipppunkt – weil bei wohlhabenden Leuten plötzlich die Verlustängste überwiegen?
In unserer Forschung haben wir nichts Derartiges gefunden. Mehr zu haben, macht glücklicher, aber immer weniger mehr, sozusagen.

Haben das viele Menschen intuitiv begriffen – leben wir in der Schweiz deshalb in einer postmaterialistischen Gesellschaft?
Das tun wir zweifellos immer stärker, und dies nicht unter den jüngeren Bürgern. Die Nachfrage nach Freizeit nimmt zu – weil eben das Bedürfnis nach Sinn im Leben, zum Beispiel, Freundschaft, zunimmt. Und entsprechend nimmt die Nachfrage nach Teilzeit zu. Die Frauen sind hier die Avantgarde, die Männer sind gedanklich noch nicht soweit. Und ich spreche hier von Frauen und Männern ohne Kinder. Die Männer rackern sich immer noch ab, frei nach dem Motto: Mehr ist immer besser.

Was macht glücklicher, nehmen oder geben?
Zuerst das Nehmen, also das Empfangen. Und mit zunehmendem Wohlstand das Geben. Das ist für einen Ökonomen total überraschend. Aber die Evidenz ist hier eindeutig.

Macht das ständige Sich-Vergleichen aller mit allen eher glücklich oder eher unglücklich?
Unglücklich. Denn wir vergleichen uns naturgemäss nach oben, nicht nach unten.

Und wer sich nach unten vergleicht?
Der findet ein wenig Glück, allerdings nur für kurze Zeit – auf die anderen herabzusehen, erfüllt die Seele nicht mit tiefer Zufriedenheit.

Neuerdings fordern Unternehmensberater und Politiker, dass die Unternehmen die Gehälter aller Mitarbeiter offenlegen. Eine gute oder eine schlechte Idee?
Es ist eine schlechte Idee für die Mitarbeiter. Es gibt empirische Untersuchungen dazu. Der Grund: Das Sich-Vergleichen unter den Angestellten wird dadurch verstärkt. Manche denken dann: Nun ja, mein Bürokollege verdient mehr, obwohl er nach meinem Dafürhalten weniger leistet. Ungerecht!

Gerechtigkeit meint also: Gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
Absolut. So empfinden die Menschen. Und ist dies nicht auch in der philosophischen Tradition ein bewährtes Verständnis von Gerechtigkeit?

Doch. Woraus folgt: Es ist ein grosses Missverständnis, mehr materielle Gleichheit mit mehr Gerechtigkeit gleichzusetzen, wie dies Medien und Politik gerne tun.
Es ist ein Kurzschluss. Gleichheit ist zu einer Obsession unserer Zeit geworden. Mehr Gleichheit kann ungerecht sein und mehr Ungleichheit gerechter. Es kommt eben auf die Umstände an. Und wir brauchen unterschiedliche Kontexte, Begabungen und Präferenzen. Die Unterschiede machen doch den Reiz des menschlichen Zusammenlebens aus!

Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang das Glück im Sinne von Zufall – ist es eher ein Gleich- oder ein Ungleichmacher?
Beides. Es macht Gleiche ungleich und Ungleiche gleich. Deshalb ist der Zufall so wichtig für ein Gedeihen der Gesellschaft. Und er wirkt ja unbesehen von Alter, Geschlecht, Religion. Allerdings gibt es eines zu bedenken.

Was denn?
Das Glück stellt sich unverhofft ein – aber man muss es auch beim Schopf packen!

Wird der Zufall in der gesellschaftlichen Debatte über- oder unterschätzt?
Unterschätzt. So vieles in menschlichen Leben ist Zufall. Ich habe eben eine Studie gelesen, in der die Autoren überzeugend nachweisen, dass die Beatles mehr oder weniger zufällig zu ihrem Erfolg kamen. Es gab andere Bands zur gleichen Zeit, die gleich gute oder sogar bessere Musik in derselben Stilrichtung machten. Die Beatles waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Das trifft auch auf viele Manager und Forscherinnen zu. Sie haben einfach Glück.

Was wiederum folgt daraus?
Glück hat eine entzaubernde Wirkung. Ich würde CEOs per Losverfahren wählen. Natürlich braucht es zuerst einen harten Auswahlprozess, in der alle Kandidaten auf Herz und Nieren geprüft werden. Aber wenn noch fünf mit vergleichbaren Kompetenzen im Rennen sind, die alle die Anforderungen an den Job erfüllen, könnte man den Sieger offiziell per Los küren. Denn seien wir doch ehrlich: Am Ende ist der Entscheid sowieso weitgehend willkürlich. Nur hätte ein solcher bewusster Zufallsentscheid manche Vorteile: Niemand muss sich als Loser fühlen, es mindert den Einfluss von Seilschaften, es steigert die Vielfalt. Und es fördert die Bescheidenheit des tatsächlich gewählten CEO – und das wäre doch im Interesse aller.

Wer Glück hat, sollte sich dies auch eingestehen – eine schwierige Übung in ehrlicher Selbstbetrachtung!
Klar. Aber eine nützliche. Und wenn Sie mir zum Schluss eine kleine Lebensweisheit in Form eines Wortspiels erlauben: Wer das Glück umarmt, ist auch wirklich glücklicher.

Herr Frey, ich danke Ihnen für dieses rasante Gespräch.

*René Scheu ist Philosoph und Geschäftsführer des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) in Luzern.

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