Ein M gefährlicher?
Niemand ruft so viele Produkte zurück wie die Migros

Der orange Riese ist für jeden zehnten Artikel verantwortlich, der in der Schweiz aus Sicherheitsgründen aus dem Verkehr gezogen werden muss. Bei der Konkurrenz sind Rückrufe deutlich seltener. Die Gründe dafür sind unklar.
Publiziert: 06.11.2022 um 16:09 Uhr
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Aktualisiert: 18.11.2022 um 17:47 Uhr
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Thomas SchlittlerWirtschaftsredaktor

In den Rösti-Bällchen lauern rote Glasteile. Der Rugby-Ball enthält zu viel von einer gesundheitsschädlichen Chemikalie. Der Meerrettich und das Sushi haben eine Etikette, auf der allergieauslösende Stoffe nicht deklariert sind: Alle paar Tage muss in der Schweiz ein Sicherheitshinweis veröffentlicht werden, weil sich ein Lebensmittelprodukt oder ein Alltagsgerät als gefährlich herausstellt.

Nun zeigen Recherchen: Die Migros muss mit Abstand am meisten Produkte zurückrufen.

Gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz hat SonntagsBlick vom Eidgenössischen Büro für Konsumentenfragen (BFK) eine Liste mit sämtlichen Sicherheitshinweisen erhalten, die zwischen Januar 2020 und Oktober 2022 notwendig wurden. Insgesamt mussten in diesem Zeitraum in der Schweiz 359 Produkte aus dem Verkehr gezogen werden. 37 davon stammten von der Migros. Der orange Riese war also für mehr als jedes zehnte Produkt verantwortlich, das als gefährlich eingestuft werden musste.

Alle paar Tage muss in der Schweiz ein Sicherheitshinweis veröffentlicht werden, weil sich ein Lebensmittelprodukt oder ein Alltagsgerät als gefährlich herausstellt.
Foto: Keystone
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Warum gerade die Migros?

Grundsätzlich ist es keine Überraschung, dass die Migros mehr Artikel zurückrufen muss als andere. Schliesslich produziert und verkauft der Detailhandelsriese so viele Produkte wie kaum jemand sonst.

Überraschend aber ist die grosse Differenz zu vergleichbaren Firmen: Coop zum Beispiel musste im genannten Zeitraum nur 9 Produkte zurückrufen. Bei Lidl (8), Globus (6) und der Migros-Tochter Denner (6) waren es noch weniger. Von den grossen Lebensmittelhändlern liegt mit 19 Rückrufen einzig Aldi Suisse ebenfalls im zweistelligen Bereich.

Was sind die Gründe für diesen wenig schmeichelhaften Spitzenplatz der Genossenschaft? Sind Migros-Produkte in Wahrheit nicht «ein M besser», wie uns die Werbung glauben machen will, sondern vielmehr ein M gefährlicher?

Starke Genossenschaften, schwache Zentrale: Es braucht eine neue Migros

Die Migros ist ratlos

Von SonntagsBlick mit diesen Fragen konfrontiert, zeigt sich die Migros einigermassen ratlos. Die Medienstelle hält lediglich fest, dass die «einwandfreie Qualität der Produkte, die Produktsicherheit und die Gesundheit unserer Kundinnen und Kunden» für die Migros im Zentrum ihres Qualitätsmanagements stehen.

Auch den Vergleich mit der Konkurrenz lässt das Unternehmen unkommentiert: «Die Hintergründe der Rückrufe von Mitbewerbern kennen wir nicht und so können wir uns leider nicht dazu äussern», so ein Sprecher.

Einen möglichen Erklärungsansatz bringt die Migros dann aber doch ins Spiel: Die Tatsache, dass je nach Firmensitz unterschiedliche kantonale Labors für die Prüfung der Produktsicherheit zuständig sind.

Sind die kantonalen Labore unterschiedlich streng?

Bei der Migros, die ihr Hauptquartier am Zürcher Limmatplatz hat, sind die Beamten des Kantons Zürich für die Sicherheitsprüfung von Produkten verantwortlich. Coop dagegen, am Rheinknie zu Hause, wird meist von den Behörden in Basel überprüft. Kann es sein, dass die kantonalen Labors unterschiedlich streng sind?

Der Zürcher Kantonschemiker Martin Brunner winkt ab: «Unterschiedliche Häufigkeiten von Rückrufen sind kaum auf die unterschiedliche Zuständigkeit der kantonalen Behörden zurückzuführen.» Die Beurteilung, ob eine Gesundheitsgefährdung vorliege oder nicht, erfolge normalerweise in Absprache zwischen den Betrieben mit den kantonalen Behörden und dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV).

«Damit ist eine Harmonisierung der Beurteilungen gewährleistet», so Brunner.

Das Rätsel bleibt

Das BLV hält ebenfalls fest, dass die rechtlichen Bestimmungen für Sicherheitshinweise klar seien. «Wir haben deshalb keine Hinweise darauf, dass Unternehmen bei Produktrückrufen unterschiedliche Massstäbe anwenden», sagt eine Sprecherin. Wieso die Unterschiede zwischen Migros, Coop und Co. so gross sind, weiss auch der Bund nicht: «Wir müssten spekulieren – was wir nicht möchten.»

Das Rätsel um den Rückruf-Rekord bleibt also einstweilen ungelöst. Immerhin verspricht die Migros, dass man die Prozesse und die Einhaltung der Vorgaben entlang der gesamten Lieferkette laufend prüfe. Dank dieses Versprechens dürften Migros-Kinder allerdings höchstens ein M besser schlafen.

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