Es geht um viel Geld – auch das Ausland mischt mit
Jetzt beginnt der Streit um die Schweizer Bodenschätze

Der Bund will wissen, was im Schweizer Boden steckt. Doch die Informationen dazu haben oft Private – die fürchten Enteignungen und wollen Geld.
Publiziert: 18.05.2024 um 11:24 Uhr
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Aktualisiert: 19.05.2024 um 10:47 Uhr
Romano Paganini
Beobachter

Wie viel Lithium steckt im Schweizer Boden? Vielleicht liesse sich das Leichtmetall im eigenen Land gewinnen. Es ist zentraler Bestandteil von Batterien und Akkus. Und wenn man beim Abbau gleich noch die Erdwärme aus der Tiefe nutzen könnte – umso besser. Die vom Volk 2017 angenommene Energiestrategie 2050 betrachtet Wärme aus der Tiefe als fundamentalen Pfeiler der Energieversorgung.

Das Bundesamt für Landestopografie Swisstopo beauftragte deshalb die ETH, abzuklären, inwiefern sich Tiefengeothermie mit dem Abbau von Lithium kombinieren lässt.

Stefan Heuberger, Leiter der dortigen Fachgruppe Georessourcen Schweiz, machte sich mit seinem Team an die Arbeit. Sie ackerten sich also durch historische Daten von Bohrungen – die meisten stammen aus dem vergangenen Jahrhundert –, klapperten Archive ab und fanden schliesslich heraus, dass der Untergrund rund um Pfaffnau LU und Berlingen TG verhältnismässig viel Lithium beinhaltet.

Seismographische Untersuchungen für etwaiges Erdöl- oder Erdgasvorkommen im Kanton Freiburg, aufgenommen im August 1959.
Foto: Keystone
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Ein grosser Teil der Informationen bleibt gesperrt

Was am 44-seitigen Bericht auffällt: Die Forschenden hatten nur einen sehr beschränkten Zugriff auf die eigentlich vorhandenen Geoinformationen. Von den 182 in der Schweiz durchgeführten Tiefenbohrungen – tiefer als 500 Meter – konnten sie lediglich 27 uneingeschränkt auswerten. Zu den restlichen 155 gibt oder gab es nur teilweise oder überhaupt keinen Zugang.

«Dabei könnten viele potenziell nützliche Informationen dort enthalten sein», sagt Stefan Heuberger. Bis auf Weiteres könne man deshalb weder Fakten zu Lithium-Vorkommen noch zu anderen Rohstoffen schaffen. Wie der ETH ergeht es anderen Universitäten im Land.

40 bis 50 Millionen Franken pro Bohrung

Der Grund ist simpel, aber pikant: Die Suche nach Rohstoffvorkommen und potenziellen Lagerstätten ist kostspielig – aktuell 40 bis 50 Millionen Franken pro Bohrung. Die Explorationsarbeiten haben vor allem Private durchgeführt – ohne die Verpflichtung, die gesammelten Daten an die Behörden weiterzugeben.

«Andere Länder haben ein nationales Untergrundgesetz, die Schweiz nicht», erklärt Stefan Heuberger. Verantwortlich für das Nutzungsrecht am öffentlichen Untergrund sind die Kantone. Allerdings haben die meisten erst im vergangenen Jahrzehnt begonnen, entsprechende Regeln zu erlassen.

Deshalb ist ein Grossteil der Eigentumsrechte verstreut – bei Erdöl- und Gasfirmen, Mineralwasserproduzenten, Bier- und Salzfabrikanten, Hotelbesitzern, Geothermieprojekten sowie bei grossen Energiefirmen aus dem In- und Ausland. Wer Zugang zu diesen Daten möchte, muss auf den Goodwill der Eigentümer hoffen – oder verhandeln.

Ausländischer Konzern will Schweizer Lithium

Ohnehin weiss man relativ wenig darüber, was alles im Schweizer Boden schlummert. In der Branche spricht man deshalb von einer Blackbox. Dabei versuchen Parlamentarierinnen und Parlamentarier seit Jahren, mehr Licht in den Untergrund zu bringen. Bei der unterirdischen Raumplanung geht es um Erdwärmesonden, Transportwege für Personen und Güter, Geothermie oder mögliche Lagerplätze für Atommüll oder CO₂.

In Sachen Lithium klopft bereits ein ausländischer Konzern an. Der deutsch-australische Bergbauriese Vulcan Energy hat sich bei lokalen Schweizer Behörden über den rechtlichen Rahmen für den Zugang zum Rohstoff informiert. In der Nähe von Karlsruhe möchte die Firma bereits 2025 mit dem Lithium-Abbau beginnen und damit den Rohstoff für Batterien von 500’000 Elektroautos liefern – kombiniert mit Tiefengeothermie.

Ein neues Gesetz soll es richten

Der Bund ist sich des zunehmenden Drucks bewusst. Bereits vor zwei Jahren hat die Eidgenössische Geologische Fachkommission in einem Strategiepapier festgehalten, dass Nutzungsansprüche «unkoordiniert in den unterirdischen Raum» drängen und «Gemeinwohlinteressen in den Hintergrund rücken». Sie benennt auch Interessenkonflikte, etwa zwischen industriellen oder landwirtschaftlichen Aktivitäten und der Gewinnung von Trinkwasser.

Inzwischen hat der Bundesrat einen Entwurf für ein entsprechendes Geoinformationsgesetz ausgearbeitet. Eines der Ziele: kostenloser Zugang für Behörden zu den landesweit erhobenen Informationen. «Es ist international einzigartig, dass primäre Daten aus der Erkundung des Untergrunds den Behörden nicht zur Verfügung gestellt werden müssen», sagt Andreas Möri vom Bundesamt für Landestopografie.

Inzwischen gelangen die Daten aus privaten Bohrungen zwar oft zu den Kantonen und von dort zum Bund – allerdings nur, wenn eine entsprechende Regelung besteht. Das ist längst nicht überall der Fall. Im Kanton Luzern etwa braucht es nur eine Bewilligung, wenn im Gewässerschutzbereich gebohrt wird. Ausserhalb davon kann gebohrt werden – ohne Daten abgeben zu müssen.

Firmen wollen Daten nicht gratis hergeben

Der Bund erhofft sich durch das revidierte Gesetz eine Harmonisierung bei Raumplanung und Rohstoffnutzung, aber auch hinsichtlich Forschung und Schutz von Grundwasser oder Landschaft. «Durch das revidierte Gesetz wollen wir nicht irgendwelche Berufsgeheimnisse erlangen», bekräftigt Andreas Möri. Es gehe lediglich um die Unterstützung bei der Grobplanung für den Untergrund. Denn was man nicht kenne, könne man auch nicht planen.

Der Rohstoff- und Bausektor hingegen zeigt sich verärgert über den Gesetzesentwurf – vor allem wegen der geplanten Umsetzung. Wenn Geoinformationen kostenlos abgegeben werden müssten, werde es künftig keine privaten Bohrungen mehr geben, lautet der Tenor.

Noch weiter geht die Aktiengesellschaft für Schweizerisches Erdöl (Seag). Dem Beobachter schreibt sie, es seien «rechtsstaatlich bedenkliche Bestrebungen im Gange, die privaten Eigentümer von geologischen Daten durch ein unentgeltliches Nutzungsrecht des Bundes für alle geologischen Rohdaten faktisch entschädigungslos zu enteignen».

«Weit auseinanderliegende Preisvorstellungen»

Die Firma hat auf der Suche nach Erdöl und Erdgas in den Fünfziger- und Sechzigerjahren 22 Tiefbohrungen für 340 Millionen Franken realisiert. Gemäss eigenen Angaben verfügt sie über den «grössten privaten Untergrunddatenbestand der Schweiz». Swisstopo weiss um diese Daten, doch die ersten Verhandlungen zum Erwerb dieser Informationen sind vor sechs Jahren aufgrund von «weit auseinanderliegenden Preisvorstellungen» gescheitert.

Die Seag verhandelt mittlerweile nicht nur mit möglichen Käufern aus dem In- und Ausland, sie hat den Zugang zu den Daten auch für die Wissenschaft gesperrt. In einem Brief an die geologischen Fakultäten der Schweizer Universitäten, der dem Beobachter vorliegt, schreibt sie: Aufgrund der Umstände stelle die Seag derzeit keine Daten zur Verfügung, «weder entgeltlich noch unentgeltlich». Die Geoinformationen seien von «grossem wissenschaftlichen und auch wirtschaftlichen Nutzen für die Schweiz», deshalb würde man sie gern der Eidgenossenschaft verkaufen. «An möglichen Einsatzorten fehlt es gerade in heutiger Zeit nicht.»

«Wir können nicht jeden Preis bezahlen»

Der Bund hat die Verhandlungen 2023 wieder aufgenommen, nennt jedoch keine Zahlen. Er wolle lediglich festhalten, sagt Andreas Möri von Swisstopo, dass es hier auch um Steuergelder gehe «und wir nicht jeden Preis bezahlen können». Die Gesetzesrevision soll während der Sommersession 2024 im Ständerat debattiert werden.

In der zuständigen Kommission ist der Entwurf durchgefallen – trotz breiter Unterstützung der Kantone. Man habe in der Vernehmlassung gesehen, dass der Datenaustausch zwischen Privaten, Kantonen und Bund problemlos funktioniere und ein solches Gesetz daher überflüssig sei, sagt Kommissionspräsident Beat Rieder (Mitte, VS).

Den Vertretern der Privatwirtschaft sei sauer aufgestossen, dass sich der Bund kostenlosen Zugang zu Geoinformationen verschaffen wolle. Rieder sagt: «Wenn er diese Daten will, soll er sie auch in Zukunft mit eigenen Mitteln beschaffen.»

Aus Sicht der Kommission unter der Führung von Beat Rieder soll der Staat also Millionen an Steuergeldern für Daten zahlen, die private Firmen vor über 70 Jahren gesammelt haben. Daten, die in anderen Ländern automatisch dem Staat zur Verfügung gestellt werden müssen. Erstaunlich.

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