Gibt es in der Schweiz hitzefrei?
Diese Rechte haben Arbeitskräfte bei der Afrika-Hitze

35 Grad sind in der Badi vielleicht ganz schön, so manchen Arbeitsort verwandeln sie aber in einen Glutofen. Welche Rechte haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei einer extremen Hitzewelle? Blick liefert Antworten.
Publiziert: 14.07.2022 um 23:46 Uhr
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Aktualisiert: 15.07.2022 um 09:05 Uhr
Martin Schmidt

Das Büro in dem schlecht isolierten Altbaugebäude saugt die Sommerhitze wie ein Schwamm auf. Die rote Linie auf dem Thermometer an der Wand kratzt an der 35-Grad-Marke. Am Bürotisch sitzt eine schwangere Frau, das Gesicht hochrot und schweissüberströmt, die Füsse stecken in einem Eimer mit lauwarmem Wasser.

Dieses Beispiel hat sich vor einigen Jahren im Wallis so ereignet. Und genau solche und ähnliche Szenen blühen der Schweizer Arbeitswelt in den kommenden Tagen erneut. Die Afrika-Hitzewelle steht vor der Tür.

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«Hitzefrei gibt es im Arbeitsrecht nicht»

Gemäss Prognosen könnten die Temperaturen in einigen Regionen auf beinahe 40 Grad klettern. Müssen Arbeitskräfte bei solchen Temperaturen noch zur Arbeit erscheinen?

«Für schwangere Frauen gilt hierbei eine Ausnahme. Da für sie hohe Temperaturen gefährlich sein können, dürfen sie bei Raumtemperaturen ab 28 Grad daheim bleiben, falls der Arbeitgeber keine anderen geeigneten Massnahmen trifft», sagt Rechtsanwältin Marita Hauenstein (49) und verweist auf die Mutterschutzverordnung. In anderen Fällen ist die Situation jedoch komplizierter. «Hitzefrei gibt es im Schweizer Arbeitsgesetz nicht.»

Enorme Hitze am Arbeitsort stellt auch für alle anderen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein Risiko dar. Hier stehen die Arbeitgeber in der Pflicht. «Sie haben gemäss Obligationenrecht eine Fürsorgepflicht gegenüber ihren Mitarbeitenden. Konkret müssen sie dafür sorgen, dass der Gesundheit der Mitarbeitenden durch die Hitze nicht geschadet wird», so die Arbeitsrechtsexpertin Hauenstein.

Strassenbau wird zum Glutofen

Bei körperlich anspruchsvollen Arbeiten steigt die Unfallgefahr bei Temperaturen ab 30 Grad deutlich an. «Gerade auf Baustellen kann extreme Hitze nicht nur unangenehm, sondern auch gefährlich sein», sagt Chris Kelley (35), Co-Leiter Bau bei der Gewerkschaft Unia. Die Zahlen bestätigen das: Gemäss der Schweizerischen Unfallversicherung Suva ereignen sich an solchen Tagen fünf bis zehn Unfälle mehr. «In einem Jahr mit sechs Hitzetagen sind das ungefähr 40 zusätzliche Unfälle», sagt Suva-Sprecherin Arabelle Frey.

Einige Arbeiter klappen unter der enormen Hitze zusammen. Doch auch die abnehmende Konzentration oder der schlechtere Schlaf treiben die Unfallzahlen an Hitzetagen nach oben. Besonders brutal wird es für die Arbeitskräfte im Strassenbau. Der verarbeitete Asphalt ist rund 160 Grad heiss. In Kombination mit Temperaturen von über 30 Grad verwandelt sich die Strasse in einen Glutofen.

In solchen Fällen steht der Arbeitgeber in der Verantwortung. «Auch hier müssen die Arbeitgebenden geeignete Massnahmen treffen, zum Beispiel häufigere Pausen zulassen und Schattenplätze zur Verfügung stellen», so Hauenstein.

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«Grosse Gesundheitsrisiken» ab 36 Grad

Für Arbeiten auf dem Bau existieren eine ganze Reihe von Empfehlungen – sei es vom Baumeisterverband, von den Gewerkschaften und auch vom Bund. Darin wird einerseits an die Mitarbeiter appelliert, sich mit weiten Kleidern, Kopfbedeckungen und Sonnenschutz zu schützen.

Der Bund rät bei mittelschweren körperlichen Arbeiten ab 25 Grad dazu, Überstunden zu vermeiden und besonders mühsame Arbeiten am frühen Morgen zu verrichten. Ab 32 Grad sollen die Arbeitsbelastung reduziert, die Arbeitszeiten angepasst und zusätzliche Pausen eingelegt werden. Ab 36 Grad spricht der Bund von einem «grossen Gesundheitsrisiko» und empfiehlt, die Situation vor Ort durch einen anerkannten Spezialisten beurteilen zu lassen.

Aus Sicht der Unia sind die bestehenden Regeln jedoch zu schwammig. «Auf dem Bau bräuchte es weniger lange Tage sowie eine klare Regel, dass die Arbeit ab 35 Grad eingestellt werden muss», fordert Unia-Mann Kelley.

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Schulfrei war einmal

Das Arbeitsrecht schützt die Angestellten grundsätzlich auch in Innenräumen wie Büros. Diese müssen ausreichend belüftet sein und Arbeitnehmer vor übermässiger Sonneneinwirkung schützen. Zudem dürfen Raumtemperatur und Luftfeuchtigkeit keine negativen Auswirkungen auf die Gesundheit haben. «Ist es in einem Büro zu heiss, steht der Arbeitgeber in der Pflicht, dies zu ändern», sagt Hauenstein. Das gilt ebenso für die Arbeit an Wärme abstrahlenden Maschinen in Fabriken.

Auch Schülerinnen und Schüler dürfen bei besonders hohen Temperaturen nicht auf einen Ausfall des Unterrichts hoffen: «Hitzefrei an Schulen gibt es nicht mehr. Basel-Stadt hat dies als letzter Deutschschweizer Kanton 2003 abgeschafft», so Hauenstein. Dem technischen Fortschritt sei Dank. Moderne, klimatisierte Schulhäuser bewahren die Kinder davor, dass ihre Köpfe bei kniffligen Aufgaben überhitzen.

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