Grosses Interview mit Krypto-Experte
Lohnt sich der Kauf von Bitcoin und Co. jetzt noch?

Viktor Serrieh, Krypto-Experte bei CAM Schweiz, erklärt im grossen Interview, welche Chancen und Risiken bei den digitalen Währungen bestehen und welche spannenden Alternativen es zum Bitcoin gibt.
Publiziert: 01.08.2024 um 18:40 Uhr
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Aktualisiert: 01.08.2024 um 19:22 Uhr
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Thomas Marti
Cash

cash.ch: Hat sich Bitcoin nach der jüngsten Volatilität stabilisiert? Steht ein Krypto-Sommer oder Krypto-Winter bevor?
Viktor Serrieh: Wir sind definitiv im frühen Krypto-Sommer angekommen. Wichtige Eigenschaften, die darauf hinweisen, sind die erhöhte Spekulationstätigkeit sowie die Stablecoin-Zuflüsse. Ein Beispiel ist die GameStop-Aktie, welche von Mitte April bis Mitte Mai um 540 Prozent zulegte. Im Altcoin-Sektor sehen wir, dass der Binance Token ein neues Allzeithoch erreicht hat. Die hohe Spekulationsbereitschaft spiegelt sich auch im Meme-Coin-Sektor wider. Die Volatilität ist entsprechend an den Märkten spürbar. Dies sind alles Charakteristika, welche auf einen Krypto-Frühsommer hindeuten.

Könnte ein möglicher Wahlsieg von Donald Trump Bitcoin Auftrieb verleihen?
Der Krypto-Markt hat nach dem Attentat auf Donald Trump gut reagiert. Das liegt daran, dass Trump positiv gegenüber Bitcoin eingestellt ist und der Markt nach diesem Attentat seine Siegchancen im Wahlkampf als erhöht wahrgenommen hat. Bis zur US-Präsidentschaftswahl erwarten wir steigende Kryptomärkte. Aus unserer Sicht könnte einzig eine starke US-Rezession den Bullrun vorzeitig abbrechen, was wir momentan aber als eher unwahrscheinlich erachten.

Artikel von «Cash.ch»

Dieser Artikel wurde erstmals auf «Cash.ch» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.cash.ch.

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Wird der Bullenmarkt im Jahr 2025 weitergehen?
Das Liquiditäts-Top dürfte irgendwann im Jahr 2025 eintreten, wobei wir dieses eher früher als später erwarten – also im ersten oder zweiten Quartal. Dies wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Je länger es dauert, bis der Bitcoin ausbricht, und je grösser der Druck im «Kochkessel» ist, desto stärker wird der Ausbruch nach oben sein und tendenziell könnte der Zyklus weiter ins 2025 andauern.

Viktor Serrieh, Business Development bei Crypto Asset Management (CAM).
Foto: ZVG

Haben Sie ein Kursziel für den Bitcoin?
Ein nachhaltiger Ausbruch über 74‘000 Dollar könnte uns in Richtung von 90'000 bis 100‘000 Dollar bringen.

Im Gegensatz zu Bitcoin zahlt Ethereum eine «Dividende» beziehungsweise Gebühr für das sogenannte Staking. Diese lag letztes Jahr bei 4 Prozent, jetzt sind es 3,3 Prozent. Ist das noch attraktiv?
Der Staking-Zins ist etwas gesunken, was auf das gestiegene Vertrauen in das Netzwerk zurückzuführen ist, da mehr Ethereum gestaked wird. Der aktuelle Staking-Reward liegt je nach Lösung bei etwa 3,3 Prozent pro Jahr. Das klingt im Vergleich zu Staatsanleihen nicht als besonders viel. Betrachtet man jedoch das Wachstumspotenzial von Ethereum, das eine relativ kleine Marktkapitalisierung hat und nur minimal inflationär ist - bei hoher Nutzung sogar deflationär wird, kann dieser Zinssatz als attraktiv gelten. Besonders im Hinblick auf die Entwicklung hin zu digitalen Vermögenswerten in der Industrie 4.0. Zum Vergleich: Die Marktkapitalisierung von Ethereum beträgt nur etwa ein Sechstel von Nvidia.

Wie wichtig sind diese Gebühren oder sogenannten «Gas Fees» und wie wähle ich die vielversprechendsten Projekte aus?
Gas Fees sind wichtig, um Transaktionen auf Blockchains wie Ethereum durchzuführen und das Netzwerk zu sichern. Sie verhindern Spam, priorisieren Transaktionen und belohnen Miner. Um vielversprechende Projekte ausfindig zu machen, empfiehlt es sich, den Markt in die Sektoren zu unterteilen und jeweils zwei bis drei Kryptos mit starken Fundamentaldaten auszuwählen. Zum Beispiel bei den Smart-Contract-Plattformen auf unterschiedliche Spitzenprojekte setzen. Obschon teuer, ist Ethereum an vorderster Front dabei, weil der grosse Teil aller Anwendungen in diesem Ökosystem läuft und durch den Layer 2 günstiger geworden ist. BlackRock hat zudem angekündigt, eine neue Plattform für die Tokenisierung von Real-World Assets – sogenannte RWAs - auf der Ethereum-Blockchain zu nutzen. In diesen Tagen hat auch Toyota Pläne veröffentlicht, wie die Ethereum-Plattform in grösserem Umfang genutzt werden soll. Ethereum dürfte als Kernelement, welches von diversen Narrativen profitieren kann, in dieser Phase in jedem Kryptoportfolio Platz finden. Als Ergänzung zum Aufpeppen der Performance sowie zur Diversifikation macht es Sinn, ein paar kleinere Projekte zusätzlich zu halten.

Wie sieht ein ideales Krypto-Portfolio aus?
Das hängt grundsätzlich vom Anlage- und Risikoprofil ab. Wir sind eher aggressiver unterwegs. Wenn wir wie jetzt einen Boom erwarten, halten wir eine Reduktion unseres Bitcoin-Anteils auf unter 40 Prozent für sinnvoll. Zudem halten wir in diesen Wochen ein Exposure von rund 30 Prozent in Ethereum. Den verbleibenden Teil des Portfolios investieren wir aktuell in acht bis zwölf vielversprechenden Kryptowährungen, die echte Probleme in der Blockchain-Welt lösen und notwendig sind, damit Teil der Realwirtschaft in Zukunft auf der Blockchain stattfinden kann.

Zum Beispiel den Token XRP von Ripple?
Fundamental betrachtet ist Ripple sicherlich ein spannendes Projekt. Ripple arbeitet bei der Zahlungsabwicklung mit sehr relevanten und grossen Institutionen und Banken zusammen. Allgemeine Kritikpunkte gehen in die Richtung, dass man für Geldtransfers nicht zwingend auf Ripple und deren nativen Coin XRP zurückgreifen muss. Für den Transfer von Vermögenswerten können auch andere Systeme und Token verwendet werden, da bei Ripple die Zentralisierung und die Kontrolle des Netzwerks Fragen aufwerfen. Trotzdem dürfte Ripple in der vierten industriellen Revolution im Bereich des Geldtransfers ein sehr relevanter Player sein. Das Projekt ist jedoch bezüglich Krypto-Ethos und Dezentralisierung bei vielen nicht die erste Wahl, obwohl die Community hinter Ripple beachtlich ist.

Welche Projekte sind in diesem Bereich interessant?
In den Fokus der Anleger geraten vermehrt Chainlink oder Second-Layer-Projekte auf Ethereum. Diese Bereiche bieten vielversprechende Weiterentwicklungen. Chainlink arbeitet zum Beispiel mit dem Zahlungssystem Swift zusammen und hat weitere Partnerschaften mit bedeutenden Institutionen. In diesem Bereich lässt sich ein attraktives Chance-Risiko-Verhältnis identifizieren.

Sehen Sie keine Abwärtsrisiken bei den Preisen für Kryptowährungen?
Man muss das richtig einordnen. Bitcoin kann problemlos um 50 Prozent und mehr fallen, das sollte jeder wissen. Wenn man die Asset-Klasse versteht, weiss man, dass der Markt steigt, wenn Liquidität in die Märkte kommt. Unsere Zyklus- und Makroanalyse sagt uns, wann das Zeitfenster für Risk-On-Assets aufgeht, wobei wir diese Marktlage nutzen, um Bitcoin mit unserer Altcoin-Strategie performancetechnisch zu schlagen.

Gibt es also keinen Crash in absehbarer Zeit?
Für das zweite Halbjahr erwarten wir einen fallenden US-Dollar und weitere Zinssenkungen. Die Schweizerische Nationalbank, die Bank of Canada und die Europäische Zentralbank haben ihre Zinsen bereits gesenkt. Zudem hat die amerikanische Notenbank Fed ab dem 1. Juni die Bilanzreduktion von 60 Milliarden USD pro Monat auf 25 Milliarden Dollar pro Monat verringert, was eine prozentuale Veränderung von 60 Prozent darstellt. Das bedeutet, dass monatlich 35 Milliarden Dollar mehr im Markt verbleiben als zuvor. Das signalisiert uns, dass der Markt grundsätzlich Zugriff auf die benötigte Liquidität hat, tendenziell noch weiter gelockert wird und dementsprechend ein Boom wahrscheinlicher wird. Eine Rezession halten wir im Hinblick auf die US-Wahlen im November und den aktuellen US-Staatshaushaltsdefiziten für unwahrscheinlich. Wir nehmen daher die Rücksetzer als Chance zum Nachkaufen wahr, da wir zurück im Bullenmarkt sind. Bei grösseren Schwankungen hilft es, den Bitcoin-Chart auf Monatsbasis anzuschauen, da man aus dieser Perspektive erkennt, dass in den letzten Wochen eigentlich nicht viel passiert ist.

Haben Sie konkrete Zielgrössen, wie eine künftige Korrektur ausfallen könnte?
Die Korrektur ist aufgrund der Mt. Gox-Geschichte und den Verkäufen der deutschen Regierung ist bereits eingetreten mit einem Tief bei 53‘000 Dollar. Wir denken, dass höchstens noch eine Korrekturwelle vor uns stehen könnte, die uns auf Niveaus zwischen 48‘000 und 52‘000 Dollar bringen würde. In einem extremeren Szenario könnte es sogar bis 38‘000 Dollar runtergehen, was theoretisch möglich ist, wir aber als eher unwahrscheinlich ansehen, da hierfür ein grosser Schock die Welt treffen müsste. Sollte dieses Szenario eintreten, stellt sich die Frage, wie die Regierungen und Notenbanken reagieren werden. Wir glauben, dass ein solches Ereignis als Katalysator wirken würde und eine expansive Geldpolitik die Antwort auf das Problem sein wird. Dies würde natürlich Bitcoin und alle Risk-On-Assets stark befeuern. Ähnlich wie während der Corona-Krise, als Bitcoin zuerst um mehr als 60 Prozent, von 10‘500 Dollar auf 3800 Dollar gefallen ist und dann eine fulminante Rally folgte, die Bitcoin auf 69‘000 Dollar hochtrieb.

Handeln Sie auch kurzfristig?
Die kurzfristigen Zeitfenster handeln wir nicht. Wir investieren mit dem Zyklus und möchten so nah wie möglich am Zyklus-Top aussteigen. Für den kürzeren Betrachtungszeitraum erscheint es realistisch, dass das aktuelle Marktumfeld eine Bestätigung des Wachstumszyklus darstellt. Bitcoin hat kürzlich mehr Drawdowns als risikoreichere Assets wie Minenaktien oder Altcoins gezeigt. Für uns bedeutet dies bereits, uns für eine inflationäre Phase zu positionieren und verstärkt ein Engagement in risikoreicheren Altcoins auszuloten.

*Viktor Serrieh ist bei CAM Schweiz AG in Zürich als Makro-Analyst & Trader für das Business Development tätig. Er hat vor 13 Jahren seine Karriere bei Investopedia begonnen, nachdem er eine kaufmännische Lehre und eine Weiterbildung zum diplomierten Finanzplaner IAF abgeschlossen hat.  

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