In Anlageportfolios noch unterrepräsentiert
Steht ein neuer Superzyklus beim Öl bevor?

Die Börsen hatten jahrelang eine sehr pessimistische Sicht auf Ölkonzerne. Deswegen sind sie in den Anlageportfolios unterrepräsentiert. Dies könnte Öl-Investitionen attraktiver machen.
Publiziert: 23.08.2023 um 19:38 Uhr
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Aktualisiert: 15.01.2024 um 13:47 Uhr
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Patrick Herger
Handelszeitung

Investieren, wenn die Kanonen donnern – so lautete eine alte Börsenregel. Damit wird beschrieben, dass man dann investieren soll, wenn vieles gegen die Anlage spricht. Und derzeit spricht sehr vieles gegen eine Investition in Öl und Ölaktien: Die Internationale Energieagentur (IEA) erwartet in den nächsten Jahren einen massiven Nachfragerückgang beim Erdöl. Der Grund ist klar: Klimaschutzmassnahmen sollen den Verbrauch fossiler Energieträger mehr und mehr einschränken.

Insbesonders werde, so die IEA, bald weniger Erdöl für Treibstoffe gebraucht, weil immer mehr Elektroautos produziert würden. Die Ölnachfrage soll zwar bis 2028 noch leicht steigen, aber ab dann brauche die Welt immer weniger des schwarzen Goldes.

Auch die kurzfristigen Aussichten für Erdöl scheinen vielen Experten und Expertinnen alles andere als vielversprechend. Es drohe eine Rezession, sagen sie, und ein gesamtwirtschaftlicher Nachfragerückgang in den USA oder in der EU werde dem Kursanstieg, den Erdöl in den letzten Monaten erfahren hat, ein rasches Ende bereiten.

Der Ölpreis ist im Moment tief. Das hat verschiedene Gründe.
Foto: imago images/viennaslide
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Angesichts dieser Ausgangslage sind viele Investoren und Investorinnen versucht, zu denken, dass sie um Erdöl einen grossen Bogen machen sollten. Viele haben sich schon länger abgewendet. Das lässt sich etwa daran festmachen, dass die Ölunternehmen im US-Aktienindex S&P 500 ab dem Jahr 2014 massiv an Bedeutung verloren haben und der Ölpreis schwächelte. Vier Faktoren führten zu einem Überangebot an Öl und zu einem Einbruch des Preises:

  1. In den Schwellenländern, die bisher einen enormen Energiebedarf hatten, hat sich das Wachstum verlangsamt.
  2. Die Opec-Staaten, angeführt von Saudi-Arabien, hielten jedoch ihre Ölproduktion konstant hoch, um die budgetierten Staatsausgaben zu decken.
  3. Zudem bekamen die Opec-Staaten Konkurrenz durch die USA. Diese wurden durch Fracking zum grössten Ölförderer der Welt.
  4. Im Jahr 2015 schlossen 195 Staaten das Klimaabkommen von Paris. Deswegen kam an den Finanzmärkten die Befürchtung auf, dass wichtige Öllagerstätten zu Stranded Assets werden könnten, die niemand mehr will und deren Preise ins Bodenlose fallen.

Diese pessimistische Sichtweise auf Ölunternehmen setzte sich bis vor kurzem fort, obwohl die Gewinne der Ölfirmen seit etwa fünf Jahren wieder steigen. Denn die vier Faktoren oben haben sich seit 2014 entweder stark abgeschwächt oder sogar ins Gegenteil verkehrt. So hat sich in den Schwellenländern zwar das Wachstum verlangsamt, aber vor allem China und Indien haben weiterhin einen hohen Energiebedarf und importieren grosse Mengen an Öl. Laut der IEA wird die globale Ölnachfrage 2023 um 3,3 Millionen Barrel pro Tag grösser sein als 2019.

Artikel aus der «Handelszeitung»

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Dazu kommt, dass auf der Angebotsseite die Opec-Staaten ihre Ölproduktion mehrmals reduziert haben, um den Markt zu stabilisieren. Seit 2016 kooperieren sie mit anderen wichtigen Produzenten wie Russland in der sogenannten Opec+-Gruppe, um gemeinsam die Fördermengen zu regulieren.

Und das Klimaabkommen von Paris hat zwar das Bewusstsein für den Klimawandel geschärft, aber nicht zu einer radikalen Abkehr vom Öl geführt. Zudem gibt es immer noch starke Interessen und Lobbygruppen, die den Status quo verteidigen oder verzögern wollen. Die IEA warnt davor, dass die aktuellen Politiken und Verpflichtungen nicht ausreichen, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.

Der Ölsektor ist in den Portfolios untervertreten

Aus alledem resultierte eine pessimistische Sicht auf den Ölsektor, die zur Folge hatte, dass er in den grossen Aktienindizes und damit auch in den Portfolios von Anlegerinnen und Anlegern unterrepräsentiert ist. So machen Ölfirmen überproportional viel Gewinn für jeden Dollar, den sie an der Börse wert sind. Aktuell entfallen auf den Energiesektor zwar mehr als 12 Prozent der Gewinne des S&P 500, aber nur etwa 4 Prozent der Marktkapitalisierung. Zum Vergleich: Das letzte Mal, dass der Anteil des Energiesektors an den Gewinnen über 12 Prozent lag, war im Jahr 2013. Damals machte der Sektor über 10 Prozent der Marktkapitalisierung des Indexes aus.

Nimmt man diese 10 Prozent als Richtwert für das Gewicht, das die Ölunternehmen im S&P 500 haben müssten, ergibt sich ein dramatisches Aufwärtspotenzial relativ zum S&P 500. Tatsächlich zeigt die folgende Grafik, dass die Erdölbranche im Jahr 2020 den anteilsmässigen Tiefpunkt erreicht hat und seit dann wieder leicht zulegen konnte. Noch befindet sich dieser Trend im Anfangsstadium; aber manche Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass die Bewertung von Öl- und Gasunternehmen derzeit so attraktiv ist wie kaum je in den letzten dreissig Jahren. Das könnte einen neuen Superzyklus für Öl und Ölaktien einleiten.

Denn die guten mittelfristigen Aussichten werden von einigen langfristigen Fundamentalfaktoren unterstützt. Etwa dem Onshoring der Güterproduktion oder der zunehmenden Militarisierung – das Militär gehört zu den grössten Verbrauchern fossiler Energieträger, die Aufrüstung erhöht den Ölverbrauch eines Landes.

Dazu kommen weitere Punkte, die einen hohen Ölpreis begünstigen. So sind die USA dank Fracking und der Förderung von Schieferöl zum grössten Ölproduzenten der Welt aufgestiegen. Aber diese Fördertechnologie hat sehr ungünstige ökonomische Eigenheiten. Die Produktion von Schieferöl fällt in den ersten Jahren stark ab. Nach drei Jahren können im Durchschnitt nur noch etwa 75 Prozent der anfänglichen Produktionsmenge gefördert werden. Auch das Ölfeld selbst hat abnehmende Ertragsraten.

Um etwa 25 Prozent geht die Produktion eines Ölfelds pro Jahr zurück; diese Produktionsmenge muss man jedes Jahr durch neue Bohrungen ersetzen, um die Produktion stabil zu halten. Und weil zuerst an den besten Stellen eines Ölfelds gebohrt wird, sind die späteren Bohrstellen teurer, aber weniger ergiebig.

Investitionszurückhaltung der Ölunternehmen

Es sind hohe Investitionen nötig, um das Produktionsniveau halten zu können. Bei steigenden Zinsen und angesichts möglicher Umweltregulierungen sind die Ölfirmen allerdings sehr zurückhaltend mit langfristigen Investitionen. Gewinne stecken sie lieber in den Rückkauf von Aktien oder nutzen sie für Dividendenausschüttungen.

Dazu monieren Kritikerinnen, dass die US-Behörden die Frackingreserven massiv überschätzen. Die US-Behörde für Energieinformationen etwa geht für ihre Prognosen davon aus, dass die Schieferlagerstätten der USA voll mit Öl und Gas sind; der Fracking-Boom werde daher noch jahrzehntelang weitergehen.

In der Realität erweisen sich die Schätzungen der Behörde gegenüber den realen Bohrdaten als viel zu optimistisch. So berichtete Bloomberg vor ein paar Tagen, dass der Produktionsrückgang bei den US-Schieferbohrungen weitaus stärker ausfällt als erwartet. Es ist also damit zu rechnen, dass das zukünftige Angebot von amerikanischem Frackingöl nicht so gross wie erwartet sein wird. Und das dürfte den Ölpreis nach oben treiben.

Der Kampf um Saudi-Arabien

Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor ist das Ringen von China und den USA um die Gunst von Saudi-Arabien. Denn das Wüstenkönigreich ist das grösste und mächtigste Mitglied der Opec und der grösste Ölexporteur der Welt. Im Moment versuchen sowohl China als auch die USA, Saudi-Arabien ins eigene Lager zu ziehen. Sollte es China gelingen, sich gegen die USA durchzusetzen, würde es wahrscheinlich mehr Öl aus Saudi-Arabien beziehen, was die Ölversorgung anderer Länder verschlechtert. Weil sie um das verbleibende Angebot konkurrieren müssten, würde das tendenziell preistreibend wirken.

Bis vor einigen Jahren waren Washington und Riad enge Verbündete. Aber die Beziehung hat schweren Schaden genommen. Das zeigte sich bei einem Besuch des US-Präsidenten im Juli 2022 anlässlich eines Gipfeltreffens der Golfstaaten. Joe Biden wurde am Flughafen lediglich vom Gouverneur von Mekka begrüsst. Und weil er später dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman nicht die Hand geben wollte, kam es zum weltweit verspotteten «fist bump».

Ganz anders der Besuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Saudi-Arabien, der nur wenige Wochen nach Joe Bidens Besuch stattfand. Xi wurde von König Salman persönlich empfangen und mit einer prächtigen Zeremonie geehrt. In einer Rede in Riad kündigte Xi an, dass China plane, seine Ölkäufe nicht mehr nur in US-Dollar, sondern in der chinesischen Währung Yuan zu bezahlen.

Das hörte man in den USA gar nicht gern. Denn es wäre ein schwerer Schlag für das Petrodollarsystem. Es ist ein wichtiger Grund für die hohe Dollarnachfrage – es gibt auch noch andere, etwa offene Kapitalmärkte mit vielen Investitionsmöglichkeiten.

Manche Ökonomen und Politexpertinnen glauben, dass die USA keine Gedanken an eine Abschwächung der Dollarhegemonie verschwenden. Aber nach Xis Rede setzten Geheimverhandlungen zwischen den USA und Saudi-Arabien ein, wie das «Wall Street Journal» berichtete.

Vordergründig geht es dabei um eine Normalisierung der Beziehungen des arabischen Landes zu Israel. Aber die USA nutzen laut «Wall Street Journal» die Gespräche, um Saudi-Arabien unter Druck zu setzen, die Beziehungen zu China abzukühlen und sich wirtschaftlich zu distanzieren.

Die US-Angst vor dem Ende des Petrodollarsystems

Dem «Wall Street Journal» zufolge hat Washington drei Hauptforderungen: Saudi-Arabien solle auf Technologie verzichten, die von der chinesischen Firma Huawei entwickelt wurde. Es solle China nicht erlauben, Militärstützpunkte im Saudi-Königreich zu errichten. Und es solle den USA zusichern, dass es Ölkäufe nur in Dollar und keinesfalls in Yuan annehme.

Die Tatsache, dass die Vereinigten Staaten Druck auf Saudi-Arabien ausüben, Öl nicht in Yuan zu verkaufen, kommt einem Eingeständnis gleich, dass die US-Wirtschaftshegemonie durch die Dedollarisierung geschwächt würde.

Die USA haben im Vergleich mit China auch sonst an Terrain eingebüsst. Dies, weil es der US-Wirtschaft in den letzten Jahren nicht gelungen ist, auch nur annähernd an das Wachstum Chinas heranzukommen. Deswegen hat China die USA beim kaufkraftbereinigten Bruttoinlandsprodukt (BIP) bereits vor Jahren hinter sich gelassen. Und die Schere zwischen den beiden Ländern dürfte weiter aufgehen.

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Das zeigt sich auch an der Entwicklung der von den USA und China angeführten Wirtschaftsblöcke: Die von den USA angeführten G7-Staaten (Deutschland, Frankreich und weitere) hatten im Jahr 2002 noch einen Anteil von 42 Prozent am weltweiten kaufkraftbereinigten BIP, während die Brics-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) bei 19 Prozent lagen. Inzwischen sind die Brics-Staaten bei einem Anteil von 32 Prozent, während die G7-Länder noch auf 30 Prozent kommen.

In diesen Zahlen drückt sich der Abstieg einer alten Hegemonialmacht aus – und der Aufstieg einer neuen. Aus ökonomischen Gründen wäre es für Saudi-Arabien also besser, auf die wirtschaftlich grösseren Abnehmer zu setzen, also auf China und die Brics-Staaten. Aber offenbar sind die USA bereit, Saudi-Arabien sehr weit entgegenzukommen. So weit, dass man dem Ölstaat zivile Nukleartechnologie anbieten will.

Liesse sich Saudi-Arabien auf den Deal ein, würde dies seinen grössten Handelspartner brüskieren. Denn China kauft 25 Prozent aller Ölexporte Saudi-Arabiens. Ausserdem hat sich Riad bereits stark auf Asien ausgerichtet. So wurde das Land im Jahr 2021 offizieller Dialogpartner der Shanghai Cooperation Organization (SCO). Die SCO ist eine wichtige Institution zur Förderung der eurasischen Integration. Zu ihren weiteren Mitgliedern zählen China, Russland, Indien und Pakistan. Auch hat die saudische Regierung angekündigt, dass man sich dem Brics-Block anschliessen wolle.

Ein nicht unwahrscheinliches Szenario scheint aufgrund dieser Konstellation, dass Saudi-Arabien zwar mit den USA verhandelt, weil es nicht gut ist, den aktuellen Welthegemon zu sehr zu verärgern. Gleichzeitig dürfte aber auch die Annäherung an China weitergehen, weil das im ökonomischen Interesse des Ölstaates liegt. Langfristig dürfte daher immer mehr saudisches Öl in China landen, und das könnte, zusammen mit den anderen Faktoren, zu einem tendenziell teureren Ölpreis führen.

Die Frage ist, wie Privatanlegerinnen und -anleger von der Chance auf einen langfristigen Aufschwung der Ölbranche profitieren können. Hier sind Exchange Traded Funds (ETF) eine einfache und günstige Möglichkeit, in Energieaktien zu investieren. Die beiden grössten ETF, die weltweit in Ölkonzerne wie Exxon Mobil, Chevron oder Shell anlegen, sind der SPDR MSCI World Energy UCITS ETF und der iShares MSCI World Energy Sector UCITS ETF. Beide werden in Dollar gehandelt.

Wenn Sie lieber direkt auf den Ölpreis setzen wollen, ist der UBS ETF (CH) CMCI Oil SF (CHF) eine gute Wahl. Dieser Fonds bildet die Preisentwicklung der Ölsorte WTI ab und ist währungsgesichert in Schweizer Franken. So können Sie von steigenden Ölpreisen profitieren, ohne Wechselkursrisiken einzugehen.

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