«Ich weiss noch nicht, wo ich meine Produkte jetzt finden kann»
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Reformhaus-Kundin verzweifelt:«Ich weiss noch nicht, wo ich meine Produkte jetzt finden kann»

Jetzt ist es fix!
Reformhaus-Kette Müller schliesst alle 37 Filialen

Die Reformhaus-Kette Müller ist pleite. Das Traditionsunternehmen war mit 37 Filialen an 17 Standorten in der Schweiz vertreten. Sie werden nun geschlossen.
Publiziert: 03.01.2023 um 11:13 Uhr
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Aktualisiert: 03.01.2023 um 19:01 Uhr

«Mit grossem Bedauern» teile man mit, dass der Geschäftsbetrieb per 3. Januar eingestellt werde, heisst es auf einem Plakat an der Filiale der Ladenkette Reformhaus Müller am Zürcher Rennweg. Es ist die grösste Filiale der Kette. Die Ladentüren sind am Dienstag noch geöffnet. Es ist der voraussichtlich letzte Verkaufstag am Rennweg sowie in den übrigen 36 Filialen der Reformhaus-Kette.

Am Dienstag hat der Verwaltungsrat die Bilanz der Gesellschaften Müller Reformhaus Vital Shop AG und Natural Power Distribution AG deponiert. Mischa Felber (38), Geschäftsführer des fast 100-jährigen Traditionsunternehmens mit Hauptsitz in Volketswil ZH, ist gerade auf dem Rückweg von einem Treffen mit den Filialleitern, als Blick ihn am Telefon erwischt. «Die Stimmung beim Personal ist gefasst», sagt er. Betroffen sind knapp 300 Mitarbeitende in 37 Filialen in 17 Schweizer Städten.

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«Täglich wurden unsere Mitarbeitenden mit der Aussage konfrontiert, dass unser Angebot zu teuer sei.»
Mischa Felber
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Der Grund für die Pleite: Überschuldung. Die Kundenfrequenzen in der gesamten Branche seien rückläufig, sagt Geschäftsführer Felber. «Wir haben seit 2016 50 Prozent der Kundschaft verloren.»

Die Ladenkette Reformhaus Müller schliesst sämtliche Filialen in der Schweiz.
Foto: Reformhaus Müller
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Die Pandemie hat den Niedergang noch verschärft. Seither kaufen die Leute vermehrt online ein. Weil sie im Homeoffice bleiben, fehlt auch die Laufkundschaft. Im zweiten Halbjahr 2022 habe sich der Einbruch weiter zugespitzt. «Uns ging der Schnauf aus», so Felber.

Die Kundschaft habe in den letzten Jahren vermehrt auf den Preis geschaut. «Täglich wurden unsere Mitarbeitenden mit der Aussage konfrontiert, dass unser Angebot zu teuer sei.» Felber führt aus, dass man mit den Tiefpreisen der Konkurrenz schlicht nicht mithalten konnte. Einer dieser Konkurrenten ist zum Beispiel die Migros-Tochter Alnatura.

Rettungspläne gescheitert

Ganz überraschend kommt der Konkurs nicht. Die Gerüchteküche brodelte seit Tagen. Bereits vor Weihnachten meldeten sich Blick-Leser auf der Redaktion und berichteten von Spekulationen über Filialschliessungen und Entlassungen.

Die Firmenleitung betont, dass sämtliche Mitarbeitenden ihren Lohn bis Ende Dezember erhalten hätten. Auch alle Mieten seien bis dann bezahlt worden. «Der Scherbenhaufen ist nicht so gross, wie man vielleicht befürchten könnte», betont Felber. Er hofft, dass am Ende kein Schuldenberg zurückbleibt.

Felber betonte noch vor wenigen Tagen auf Anfrage von Blick, dass bislang «kein einziger Mitarbeiter» die Kündigung erhalten habe. Bis kurz vor Weihnachten habe es Gespräche mit Drittparteien über eine mögliche Rettung des Unternehmens gegeben. Sämtliche Sanierungspläne sind nun gescheitert.

Laut Felbers Aussage erhalten die Mitarbeitenden ihren Lohn bis zum Ablauf der Kündigungsfrist von den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) ausbezahlt.

Gewerkschaft in Sorge

Die Gewerkschaft Unia bezweifelt, dass sämtliche Angestellten derart unproblematisch an ihr Geld kommen. «Es könnte sein, dass die Angestellten im Konkursverfahren nicht die einzigen Gläubiger sind», sagt Unia-Sprecher Christian Capacoel. «Und es kann dauern, bis die Leute ihren Lohn erhalten.»

Gerade im Detailhandel, wo die Löhne tief sind, sei das problematisch. «Im Detailhandel sind überdurchschnittlich viele Frauen tätig, und das oft im Teilzeitpensum», erklärt Capacoel. «Sie sind auf einen regelmässigen Lohn angewiesen, um die Rechnungen zu bezahlen.»

Dass die Angestellten sich bereits über die Festtage den Kopf über ihre berufliche Zukunft zerbrechen mussten, sei bedauerlich. Capacoel fordert das Familienunternehmen Müller Reformhaus dazu auf, die Angestellten nach der Pleite bei der Stellensuche zu unterstützen.

Reformhäuser hinterlassen Lücke

An der Filiale am Rennweg möchte sich das Personal nach Bekanntwerden der Pleite am Dienstag nicht gegenüber Blick äussern. Im Kühlregal liegen noch die letzten Frischprodukte. Für die Angestellten ist es der letzte Arbeitstag.

Müller-Kundin Susanne (62) bedauert, dass die Filiale am Rennweg zugeht. Sie sei zwar keine Stammkundin, habe aber immer wieder spezielle Produkte wie Tee und Schokolade gekauft. «Mal schauen, wo ich diese nun herbekomme», sagt sie. Leid tue es ihr vor allem für die Mitarbeitenden. Tatsächlich führten die Müller Reformhäuser 39'000 Artikel im Sortiment, davon 250 Eigenprodukte, die es sonst nirgends zu kaufen gibt.

Sophie (27) kaufte regelmässig im Müller Reformhaus am Rennweg ein. «Es gibt sicher Produkte, an die ich nicht mehr herankomme», befürchtet sie. Als Alternative nennt sie Alnatura. Also ausgerechnet die Konkurrentin, die massgeblich am Konkurs von Müller beteiligt sein dürfte.

«Es ist ein Desaster»

Die Reformhäuser waren besonders bei Menschen mit Lebensmittelunverträglichkeiten beliebt. Eine junge Frau, die unter anderem auf Weizen und Nüsse verzichten muss, zeigt sich vor der Filiale am Rennweg besorgt: «Hier konnte ich mir schnell etwas zu essen holen. Das kann ich im normalen Supermarkt nicht.»

Ein anderer Kunde wird besonders das glutenfreie Brot aus den Müller Reformhäusern vermissen. Gute Alternativen gebe es nicht. «Es ist ein Desaster», findet er.

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