Reaktion auf Juso-Initiative
Wohin Schweizer Superreiche abwandern wollen

Aus Grossbritannien flüchten aktuell Tausende Millionäre. Auch in der Schweiz bereiten viele ihre Auswanderung vor. Wir zeigen, wohin.
Publiziert: 29.07.2024 um 15:37 Uhr
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Aktualisiert: 29.07.2024 um 15:41 Uhr
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Carmen Schirm
Handelszeitung

Der Sommer bedeutet für die Presse Sauregurkenzeit. Nicht so in diesem Jahr. Für Aufregung sorgten unter anderem die Jungsozialisten (Juso): Die Einreichung ihres Initiativvorschlags zur Einführung einer Erbschaftssteuer von 50 Prozent auf Vermögen über 50 Millionen war ein Paukenschlag. 

Auch wenn die Initiative frühestens 2026 zur Abstimmung kommen wird, warnen bereits zahlreiche Unternehmer davor, darunter Peter Spuhler, Christoph Blocher oder Simon Michel. Peter Spuhler rechnete vor, dass seine Nachkommen im Erbfall auf einen Schlag 1,5 bis 2 Milliarden Franken abliefern müssten.

Um diese Erbschaftssteuer bezahlen zu können, müssten sie die Firma teilweise verkaufen. Wegen der Rückwirkung der Initiative sieht sich der Bahnunternehmer bereits vor der Abstimmung nach alternativen Wohnsitzmöglichkeiten um. Er und zahlreiche andere. 

Abenddämmerung in London: Viele Reiche verlassen gerade Grossbritannien wegen Steuererhöhungen.
Foto: Anadolu via Getty Images
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Neue Heimat in den Arabischen Emiraten

Henley & Partners, ein spezialisierter Anbieter für Aufenthalts- und Staatsbürgerschaften in Zürich, verzeichnet aufgrund dieses Vorstosses einen Viertel mehr Anfragen von vermögenden Schweizerinnen und Schweizern, die auswandern möchten. Auch andere von der «Handelszeitung» angefragte Juristen bestätigen einen deutlichen Zulauf an Kundschaft.

Artikel aus der «Handelszeitung»

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Wie Studien von Henley & Partners zeigen (siehe Tabelle), sind das Auswanderungsziel Nummer eins die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Auch bei vermögenden Schweizerinnen und Schweizern steht dieses Land hoch im Kurs, wie Anwalt Ariel Sergio Davidoff von der Kanzlei Lindemann Law bestätigt: «Das Land ist sehr attraktiv, da es keine Einkommens-, Kapitalgewinn- oder Erbschaftssteuern auf Einwohnerinnen und Einwohner erhebt.» Einige seiner Schweizer Kundinnen und Kunden könnten sich einen Wohnsitzwechsel in die VAE konkret vorstellen. 

Andere bevorzugen Europa. Griechenland und Italien liegen auf der Beliebtheitsskala weit vorn. Beide Länder haben kürzlich Pauschalbesteuerungen mit einem Höchststeuersatz von 100'000 Euro eingeführt. Das lockt sehr Vermögende an. 2200 Millionäre und Millionärinnen sollen dieses Jahr gemäss Henley & Partners nach Italien ziehen und 1200 nach Griechenland.

«Italien oder Griechenland entsprechen mehr der eigenen kulturellen Heimat als die Emirate; die Schweizer und Schweizerinnen wollen nicht nur golfen und segel gehen, sie möchten ein kulturelles Angebot, gute Verkehrsverbindungen, Schulen und eine sprachliche Nähe zum Land», sagt Davidoff.

Was gerade in Grossbritannien passiert

Wie sensitiv Superreiche auf Steuern reagieren, zeigte sich am Beispiel Norwegens. Nach einer drastischen Erhöhung der Vermögenssteuer wanderten von dort zahlreiche Superreiche in den letzten zwei Jahren in die Schweiz ein. Ein ähnliches Drama spielt sich gerade in Grossbritannien ab. 

Lange galt Grossbritannien, insbesondere London, als eines der weltweit beliebtesten Ziele für auswanderungswillige Millionärinnen und Millionäre. Von den 1950er- bis zu den frühen 2000er-Jahren lockte das Land eine grosse Zahl wohlhabender Familien aus Kontinentaleuropa, Afrika, Asien und dem Nahen Osten an. Tempi passati. 

Wie die jüngsten Zahlen zeigen, wird das Land voraussichtlich in diesem Jahr 9500 seiner vermögenden Privatpersonen verlieren – das sind über 7 Prozent der 128'000 Millionäre und Millionärinnen. Und dies nur aufgrund politischer Diskussionen und Vorstösse, die alle (noch) nicht in trockenen Tüchern sind. «Ein Tropfen der Unsicherheit reicht, und die Vermögenden reagieren», sagt Davidoff. 

Grossbritannien auf Platz zwei der weltweiten Verliererliste

Die Unsicherheit ist mit dem Schritt der kürzlich gestürzten konservativen Regierung zu erklären. Sie präsentierte im März Pläne zur schrittweisen Abschaffung des jahrhundertealten britischen Non-Dom-Steuersystems (für eine Art Zweitwohnsitz). Dieses befreit Personen von allen Steuern auf Einkommen und Vermögen im Ausland. 

Im Vorfeld ihres Wahlsieges am 4. Juli versprach nun auch die linksgerichtete Labour-Partei, dass dauerhafte Erleichterungen für Non-Doms nachhaltig abgeschafft werden könnten. Im Zuge einer Neuregelung könnte die Steuerbefreiung nur noch innerhalb der ersten vier Jahre gelten, nachdem jemand im Vereinigten Königreich ansässig geworden ist. Für die Befreiung von der Erbschaftssteuer könnte der Zeitraum von 15 Jahren auf 10 Jahre gesenkt werden. 

Nun warten Investmentfirmen, Vermögensverwalter und Privatbankiers, die Finanzdienstleistungen für rund 70'000 in Grossbritannien ansässige Personen mit Non-Dom-Status erbringen, in höchster Alarmbereitschaft auf den möglichen Beginn der historischen Steuerreform. Mit dem Fazit: Nur China wird 2024 wohl mehr sehr Vermögende verlieren als Grossbritannien. Damit steht Grossbritannien auf Platz zwei der weltweiten Verliererliste.

«Dieses Jahr wird ein Wendepunkt in der globalen Vermögensverlagerung werden», sagt Jacopo Zamboni, Executive Director Private Clients bei Henley & Partners. «Millionäre entscheiden sich in Rekordzahlen für eine Abwanderung und suchen nach sicheren Häfen für ihr Vermögen und ihre Familieninteressen.» Er erwartet, dass eine nie dagewesene Anzahl von 128'000 Millionären und Millionärinnen ihren Wohnsitz verlegen und damit den bisherigen Rekord von 120'000 aus dem Jahr 2023 übertreffen werden.

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