Schweizer Holzhäuser für die Ukraine
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Unternehmer lancieren Idee:Schweizer Holzhäuser für die Ukraine

Schweizer bauen Holzhäuser für die Ukraine
«Wir wollen etwas tun, statt Mitleid haben»

Schweizer Handwerker bringen ukrainischen Kollegen bei, ein einfaches Holzhaus zu bauen. In ihrer Heimat soll es nachgebaut werden. Bevor es in die Ukraine gelangt, wird es diese Woche im Hauptbahnhof Zürich ausgestellt.
Publiziert: 28.06.2022 um 13:05 Uhr
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Aktualisiert: 09.06.2023 um 11:31 Uhr
Peter Hossli (Text) und Stefan Bohrer (Fotos) aus Savognin

Zuerst bohrt er ein Loch in die Holzplatte, durch das er elektrische Drähte zieht. Dann befestigt Sergei Medvedchuck (45) am hellen Holzhaus eine Lampe. Es sei das erste Gebäude, das er selbst baue, sagt er. Seit einer Woche arbeitet der Handwerker mit drei ukrainischen Kollegen in einer Halle der Uffer AG in Savognin GR, einer auf Holz spezialisierten Baugruppe. Entstanden ist ein geräumiger Container mit Stube, Wohn- und Schlafzimmern. Nur Küche und Bad fehlen noch.

Das fertige Haus soll im Juli in die Ukraine gelangen. «In der Region um Kiew sind viele Wohnungen zerstört worden, in einzelnen Dörfern ist alles kaputt», sagt Medvedchuck. «Der Winter kommt bald, obdachlose Familien benötigen dringend Behausungen.» Bis ihre Häuser wieder aufgebaut sind, dienen ihnen die Container als Bleibe. Erstellen sollen sie ukrainische Handwerker vor Ort – ausgebildet von Schweizern in Savognin.

Unternehmer lancieren Idee

Die Idee für dieses Projekt hatte der Appenzeller Unternehmer Martin Huber (66), der in vierter Generation in Herisau AR eine Fabrik für Fensterrahmen führt. Einen Teil seines Holzes bezieht er aus der Ukraine, wo er ein Tochterunternehmen besitzt. Sein dortiger Vorarbeiter Medvedchuck schilderte ihm, wie russische Raketen ganze Dörfer zerstörten. Huber wollte etwas tun – und sprach mit Enrico Uffer (51), den er von Bauprojekten im Engadin kennt. Die beiden entschieden, ein Holzhaus zu entwerfen, es in Savognin zu bauen und in die Ukraine zu transportieren. Dort soll es in Serie erstellt werden.

Enrico Uffer vor dem Holzhaus, das in seiner Fabrik in Savognin gebaut wurde. «Ich wollte etwas tun, statt Mitleid zu haben und während der ‹Tagesschau› den Kopf zu schütteln.»
Foto: STEFAN BOHRER
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Bau, Transport und Ausbildung kosten Geld. Wer bezahlt? «Das fragen wir uns gar nicht», sagt Uffer. «Steht diese Frage am Anfang, kann man ein solches Projekt nicht starten.» Sie wollen etwas tun, «statt Mitleid zu haben und während der ‹Tagesschau› den Kopf zu schütteln». Bis zum Wintereinbruch sollen 40 Häuser bezugsbereit sein.

Handarbeit statt Roboter

Von den Ukrainern spricht einzig Medvedchuck Deutsch. Verständnisprobleme habe es in Savognin aber nicht gegeben, so Uffer. «Handwerker verstehen sich weltweit. Sie arbeiten mit den Händen und sind vom selben Schlag.» Bewusst verzichtete er auf Roboter, die das Gebäude in wenigen Stunden bauen könnten. Der einfache Baukasten soll mit gängigen Werkzeugen und vor Ort vorhandenen Materialien nachgebaut werden können.

Das tragende Gerüst besteht aus Fichten. Holzplatten bilden Wände, Decken und Böden. Elektrizität und sanitarische Anlagen entsprechen der in der Ukraine verbreiteten EU-Norm. Mit einem Holzofen lasse sich das Haus selbst dann heizen, wenn der Strom ausfalle. Von einer «warmen Hülle» spricht Uffer.

Sogenannte Tiny Houses dienten als Vorbild: aus Holz gefertigte kleine Häuser, die sich mühelos verschieben lassen. Das kleine Haus für die Ukraine durfte nicht zu schwer werden, da Krane fehlen. Der Container muss auf einem Lastwagen Platz finden, damit die Ladung am Zoll problemlos durchkommt.

Ein Camion fährt das zerlegte Haus am 30. Juni von Savognin nach Zürich. Ab 7 Uhr stellen es ukrainische Handwerker in der Halle des Hauptbahnhofs auf. Uffer und Huber hoffen, so weitere Personen und Organisationen für das Projekt zu gewinnen. Bei der Glückskette, die über 120 Millionen Franken für die Ukraine gesammelt hat, ist Huber vorerst abgeblitzt – da er nicht wie ein Hilfswerk zertifiziert ist. «Es zählt nicht die Absicht, sondern was man tatsächlich macht», sagt er. «Ein Zertifikat baut dir kein Haus.»

Mit neuem Haus nach Hause

Nach dem Beginn der russischen Angriffe reiste Sergei Medvedchuck mit seiner Frau und den beiden Töchtern nach Herisau, um bei Huber zu arbeiten. Jetzt spricht er von einem «Scheisskrieg, in dem sich Brüder bekämpfen». Er ist zwischen die Fronten geraten: Seine Mutter ist Russin, der Vater Ukrainer, er lebte lange in Moskau. «20 russische Cousins reden nicht mehr mit mir.»

Er freue sich, nächste Woche mit der Familie zurück in die Ukraine zu fahren. Mit dabei hat er ein Holzhaus aus Savognin, das obdachlosen Landsleuten ein neues Daheim bieten wird.

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