Spitäler hängen am Tropf
Das sind die Rezepte gegen die finanzielle Misere

Viele Spitäler schreiben rote Zahlen. Die Folge: Personalabbau und Schliessungen. Doch es braucht mehr, damit das Spitalwesen wieder gesunden kann.
Publiziert: 03.01.2024 um 00:11 Uhr
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Aktualisiert: 03.01.2024 um 09:41 Uhr
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Christian KolbeRedaktor Wirtschaft

Das Schweizer Spitalwesen liegt auf der Intensivstation – finanziell. Das ganze Jahr 2023 über sorgten Spitäler für Schlagzeilen, die Meldungen über Schliessungen und Stellenabbau rissen nicht ab.

Das jüngste Beispiel: Das Kantonsspital Glarus verkündet kurz vor Weihnachten die Streichung von 36 Stellen, den Abbau von Betten und den Verzicht auf einen Teuerungsausgleich. Wie viele andere Spitäler ist auch das Spital in Glarus in den roten Zahlen. 

Romands arbeiten ineffizienter

Seit Jahren sinken die Margen. Spitäler verdienen zu wenig Geld. Schrumpfen die Gewinne oder werden daraus Verluste, dann fehlt das Geld für Investitionen. Etwa in effizientere Abläufe oder in die Digitalisierung.

Viele Spitäler schreiben rote Zahlen.
Foto: imago images/Science Photo Library
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Was auffällt: In der Romandie sind gemäss dem Beratungsunternehmen PwC die Margen mit rund 3,7 Prozent noch tiefer als in der Deutschschweiz. Was auch damit zu tun hat, dass die öffentliche Hand in der Westschweiz die Spitaldefizite grosszügiger deckt als in anderen Kantonen.

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«Die aktuellen Tarife sind nicht kostendeckend»
Anne-Geneviève Bütikofer (51), Direktorin des Spitalverbandes H+
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«Die aktuellen Tarife sind nicht kostendeckend. Vor allem im ambulanten Bereich, wo sie 30 Prozent zu tief sind», sagt Anne-Geneviève Bütikofer (51), Direktorin des Spitalverbandes H+. 

Das Problem: Die Teuerung und der Fachkräftemangel, der oft durch teure Temporärangestellte ausgeglichen werden muss, verschärfen die Finanzlage. 

Kostentreiber technischer Fortschritt

Wollen die Spitäler bei den Krankenkassen höhere Tarife durchsetzen, ernten sie im besten Fall ein Kopfschütteln. An den 40 Milliarden Franken Gesundheitskosten zulasten der Grundversicherung haben die Spitäler einen Anteil von rund 35 Prozent. Würden die Kassen zu stark an den Tarifen schrauben, hätte das unmittelbare Folgen für die Prämienzahler. 

Ein weiteres Problem: In den letzten Jahren haben viele Kliniken hochgerüstet, viel Geld in neue Geräte investiert. «Kein Spital will gegenüber der Konkurrenz abfallen», sagt der Gesundheitsökonom Tobias Müller (37) von der Bern Fachhochschule (BFH). «Das führt zum Beispiel dazu, dass die Dichte an Röntgengeräten in der Schweiz so hoch ist wie nirgends auf der Welt.»

Das führt zwar zu einer Steigerung der medizinischen Leistung – aber auch der Kosten. «Der medizinisch-technische Fortschritt ist oft ein Kostentreiber», sagt Rolf Gilgen (65), der als Berater arbeitet und im Moment interimistisch die Hirslanden-Klinik in Aarau leitet. «Mit den neuen Geräten erkennt man mehr gesundheitliche Probleme.» Entsprechend wird auch mehr behandelt. Die Mengenausweitung treibt die Kosten in die Höhe.

«Aber», so Gilgen, «bessere Diagnosen, Therapien und Medikamente führen auch zu weniger chronisch-kranken Menschen, was Kosten spart. Und bessere Verfahren können zum Abbau von Ineffizienzen beitragen.» 

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«Die Schweiz hat eines der besten und leistungsfähigsten Gesundheitswesen»
Anne-Geneviève Bütikofer (51), Direktorin des Spitalverbandes H+
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«Die Schweiz hat eines der besten und leistungsfähigsten Gesundheitswesen», erklärt denn auch Bütikofer. Nur wird dieses je länger desto unbezahlbarer. «Wir müssen lernen zu schrumpfen», sagt Stephanie Hackethal (50) Direktorin des Spital Glarus in einem Gastbeitrag beim Brancheportal Medinside

Das könnte dem Spitalwesen helfen

Was also wären Rezepte, um das Spitalwesen gesundzuschrumpfen? Wundermittel gibt es keine, Vorschläge aber schon. 

  • Spezialisierung und Konzentration: «Wir sind sehr gut versorgt mit Betten und Spitälern», so Müller (37) «Nicht jedes Spital muss alle Eingriffe und Behandlungen anbieten», sagt Bütikofer. «Das Ziel muss es aber bleiben, in allen Gebieten eine gleich gute Gesundheitsversorgung sicherzustellen.»
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«Die Konzentration würde dem medizinischen Wettrüsten einen Riegel schieben»
Gesundheitsökonom Tobias Müller (37) von der Bern Fachhochschule (BFH)
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Müller ergänzt: «Bei höheren Fallzahlen ist die medizinische Leistung besser, die Routine der Ärzte grösser.» Das würde für medizinische Grosszentren sprechen: «Die Konzentration würde dem medizinischen Wettrüsten einen Riegel schieben.» 

  • Kantonale Koordination und Schliessungen: «Das Einzige, das letztlich einschenkt, ist die Schliessung von Standorten», glaubt Gilgen. Das Problem: Dazu müssten viele Kantone über ihren Schatten springen und ihre Spitalkapazitäten bündeln. «Das Zusammenspiel über die Kantonsgrenzen hinweg findet zu wenig statt», so Gilgen. Bütikofer ist optimistischer: «Es entstehen immer mehr Spitalregionen, die Kooperation verbessert sich.»

Bleiben zwei Probleme: In einigen Kantonen sind Spitäler die grössten Arbeitgeber. «Keiner will der grosse Arbeitsplatzkiller sein», so Müller. Zudem schickten viele Hausärzte ihre Patienten ins nächstgelegene Spital und nicht unbedingt ins beste oder effizienteste. «Eine Strukturbereinigung könnte die Eigenverantwortung der Patienten stärken», sagt Müller. 

  • Fachkräftemangel beheben: Das Fehlen von qualifiziertem Personal wird den Umbau der Spitallandschaft vorantreiben. Darin sind sich alle Experten einig. «Der Fachkräftemangel setzt die Spitäler enorm unter Druck, etwa die Löhne zu erhöhen oder Betten zu schliessen», so Gilgen. Was den finanziellen Druck erhöht: Die Kosten steigen oder die Einnahmen sinken.

Viele Kliniken und Standorte – nicht alle überleben

All die Rezepte sind nicht wirklich neu: «Als ich 1998 als Direktor im Zürcher Waidspital angefangen habe, standen schon ähnliche Fragen im Raum», dämpft Gilgen die Erwartungen auf schnelle Lösungen. «Die grossen Würfe wird es nicht geben.» 

In der Schweiz gibt es derzeit 278 Spitäler – aufgeteilt auf 595 Standorte. Davon sind 101 allgemeine Krankenhäuser, 177 Spezialkliniken wie zum Beispiel Reha-Zentren oder Psychiatrien. Nicht alle werden die nächsten Jahre überleben.


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