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Uni-Freiburg-Ökonom kontert Milliardäre
«Erbschaftssteuer von 50 Prozent ist nicht kommunistisch»

Die Erbschaftssteuer-Initative sorgt bei den Superreichen für Schnappatmung. Die Kritiker sagen einen riesigen Schaden für die Schweizer Wirtschaft voraus. Sie warnen vor den fatalen Folgen einer Annahme der Initiative. Ökonom Volker Grossmann hält dagegen.
Publiziert: 13.09.2024 um 00:43 Uhr
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Aktualisiert: 16.09.2024 um 10:19 Uhr
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Martin SchmidtRedaktor Wirtschaft

Die Jungsozialisten wollen Superreiche mit ihrer Erbschaftssteuer-Initiative so richtig zur Kasse bitten. Ab einem Freibetrag von 50 Millionen Franken soll künftig die Hälfte jedes weiteren, geerbten Frankens, an den Staat gehen. Der Abstimmungskampf ist bereits in vollem Gang. Unternehmer und Ökonomen warnen vor den fatalen Folgen einer Annahme der Initiative. Ökonom Volker Grossmann (53) sieht die Vorlage deutlich entspannter. Er ist Wirtschaftsprofessor an der Universität Freiburg und forscht seit Jahrzehnten zu Themen wie sozialer Ungleichheit und Erbschaftssteuer. Er hält einen Steuersatz von 50 Prozent für Erbschaften bei sehr Reichen aus Sicht der Gesamtgesellschaft für ideal.

BLICK: Herr Grossmann, die Erbschaftssteuer für Superreiche soll von 0 auf 50 Prozent hochschiessen. Das ist radikal.
Volker Grossmann: Eine Erbschaftssteuer von 50 Prozent ab einem hohen Freibetrag ist aus Sicht der Optimalsteuerliteratur weder radikal noch kommunistisch, sie ist nicht mal besonders hoch. Wir sprechen hier von leistungslosen Vermögensübertragungen. Die einzige Frage ist deshalb, inwieweit mit einer Erbschaftssteuer eine unternehmerische Tätigkeit eingeschränkt wird, die gesellschaftlich wünschenswert ist. Wenn das nur in geringem Masse der Fall ist, profitieren fast alle von einer Erbschaftssteuer für besonders Vermögende. Diese ist wesentlich dafür, dass die Vermögensverteilung nicht aufgrund von Erbschaften immer ungleicher wird.

Unternehmer wie Stadler-Rail-Patron Peter Spuhler (65) haben bereits angedroht, die Schweiz zu verlassen. Seine Erben müssten sonst einen Teil des Unternehmens verkaufen, damit sie die Erbschaftssteuer bezahlen könnten.
Das ist möglich, muss aber nicht sein. Familienunternehmen können sich neu verschulden. Läuft die Firma gut, gibt es keinen Grund, warum die nächste Generation nicht einen Kredit aufnehmen muss, um die Firma weiterzuführen. Mit einer Stundung könnte die Bezahlung der Steuer auch in die Zukunft verlegt werden, damit die Erben kein Liquiditätsproblem kriegen. Die Unternehmen bleiben damit intakt. Das Gleiche gilt auch, wenn im Falle einer Aktiengesellschaft ein Teil der Aktien verkauft wird.

Gemäss Ökonom Volker Grossmann ist ein Steuersatz von 50 Prozent für Erbschaften bei sehr Reichen aus Sicht der Gesamtgesellschaft ideal.
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Gesunde Familienunternehmen sollen sich wegen einer neuen Steuer verschulden und einen Teil ihrer Firma verkaufen müssen? Das ist doch ein klarer Wettbewerbsnachteil gegenüber internationalen Aktienunternehmen!
Bei den Folgen für die Wirtschaft wird komplett übertrieben. Auch wenn es neue Eigentümerverhältnisse gibt, wäre das so schlimm? Müssen wegen der Erbschaftssteuer unproduktive Firmen liquidiert werden, wirkt sich das zudem positiv auf Wettbewerb und Innovation aus. Bleiben sie bestehen, können sie den Einstieg von neuen, innovativen Firmen verhindern.

In Norwegen schlägt eine höhere Vermögenssteuer Multimillionäre in die Flucht.
Sollten die Wegzüge wirklich ein grosses Problem sein, ist es eine Frage des politischen Willens, das Gesetz so auszugestalten, dass die Steuer nicht einfach umgangen werden kann. Das ist bei der Erbschaftssteuer leichter umsetzbar als bei der Vermögenssteuer, weil nicht jeder grenzüberschreitende Kapitaltransfer besteuert werden muss. Die Erbschaftssteuer ist ansonsten die am wenigsten verzerrende Steuer, wenn es um die Leistungsbereitschaft geht. Und die Unternehmen sind nicht nur wegen der Steuern in der Schweiz angesiedelt. Das Land bietet noch viele andere Vorzüge.

Aber auch Ihre Aussagen sind erst mal Thesen, die umstritten sind. Andere Fachleute sehen volkswirtschaftlich mehr Nach- als Vorteile bei einer so hohen Erbschaftssteuer.
Die dort genannten Nachteile beziehen sich hauptsächlich auf den Fall, dass aufgrund von Wegzügen die Steuereinnahmen aus Einkommens- und Vermögensteuern sinken und die Nachlasssteuer nicht erhoben werden kann. Darum ist eine wirksame Wegzugsteuer wesentlich. Da gibt es gar keinen Dissens mit anderen Fachleuten. Die in dem Zusammenhang oft genannte Studie zur Mobilität von Superreichen bezieht sich im Übrigen auf die Effekte lokaler Erbschaftsbesteuerung innerhalb der USA und nicht auf den Wegzug aus dem Land. Deshalb sollte die Erbschaftssteuer auch immer auf nationaler Ebene erhoben werden.

Auf diese Studien beruft sich Grossmann

Das Vermögen wurde ja schon einmal versteuert. Und eine so hohe Erbschaftssteuer wäre ein massiver Eingriff in den Privatbesitz.
Die Steuerprogression und Steuersätze wurden kontinuierlich reduziert. Die Reichen zahlen heute weniger Steuern als früher. Zudem haben sie beim Aufbau ihres Vermögens überdurchschnittlich stark von der öffentlichen Infrastruktur profitiert – falls sie ihr Vermögen nicht auch schon geerbt haben. Auch der Eigentumsschutz ist absolut gewährleistet. Man würde ja nicht die Erblasser besteuern, sondern die Nachkommen, die nichts dafür getan haben. Doch es gibt noch einen viel wichtigeren Punkt.

Und der wäre?
Das reichste Prozent der Schweizer Bevölkerung besitzt je nach Berechnungsmodell zwischen 30 und 40 Prozent der Vermögen. Die Vermögenskonzentration bei den Reichen hat über die Jahre immer weiter zugenommen. Mehr als die Hälfte der Vermögen in der Schweiz sind heutzutage geerbt. Bei den sehr Reichen liegt der Anteil noch viel höher. Das ist das völlige Gegenteil einer Leistungsgesellschaft und erinnert mehr an feudale Strukturen. Diese Vermögenskonzentration hat für die Schweiz wahnsinnige Kosten zur Folge.

Das hört sich jetzt nach Reichen-Bashing an. Sind sie Sympathisant der Juso?
Nein, ich sympathisiere mit keinem politischen Lager. Aber die Fakten sind nun mal, dass Superreiche mit ihren Privatjets die Umwelt viel stärker verschmutzen und für Lärmemissionen sorgen. Das wäre ohne die heutige Vermögenskonzentration nicht möglich. Und sie schaden der Schweizer Demokratie. Die riesigen Vermögen haben starke Auswirkungen auf die politische Machtverteilung. Sie können mit ihrem Geld und ihren Möglichkeiten Abstimmungskämpfe stark beeinflussen. Man verbreitet Horrorszenarien, welche die Bevölkerung abschrecken sollen. Das geschieht auch bei der aktuellen Initiative.

Die Superreichen zahlen heute bereits einen Grossteil der direkten Bundessteuer. Müsste man dann nicht zur Belohnung von Leistung die Einkommenssteuer reduzieren?
Mit einer tieferen Einkommenssteuer könnte man sicher einen höheren Leistungsanreiz schaffen. Eine andere Variante wäre es, mit den zusätzlichen Mitteln die geringe soziale Mobilität in der Schweiz zu erhöhen. Wer das Glück hat und in ein reiches Elternhaus geboren wird, hat einen grossen Startvorteil. Das könnte man beispielsweise mit der Förderung von frühkindlicher Bildung oder der Subventionierung von Kitas ausgleichen. Warum dies nicht mit Erbschaften finanzieren, die das Gegenteil von Chancengleichheit bedeuten?

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