Vielen wird der Kanton zu teuer – 3 Zuger flüchten aus dem Steuerparadies
«Zug ist für den Mittelstand unbezahlbar geworden»

Dem Tiefsteuerkanton läuft die Bevölkerung davon. In zehn Jahren wanderten netto 3082 Einwohner mit Schweizer Pass ab. Betroffene erzählen.
Publiziert: 00:05 Uhr
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Aktualisiert: 11:32 Uhr

Kurz zusammengefasst

  • Die Zuger Tiefsteuerstrategie treibt die Mietpreise in schwindelerregende Höhen
  • Urzuger müssen wegen der hohen Mieten in benachbarte Kantone ziehen
  • In den vergangenen zehn Jahren sind netto 3082 Personen mit Schweizer Pass abgewandert
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
Die Zuger Steuerpolitik zieht viele neue Leute an, aber die hohen Immobilienpreise verscheuchen Alteingesessene.
Foto: Shutterstock

Sarah Kaufmann (43) ist Zugerin durch und durch. «Ich bin Chamer Bürgerin», sagt sie stolz. Die Zuger Fasnacht ist für sie Ehrensache. Das Mithelfen im Verein ebenso. Vor drei Jahren erlitt Kaufmanns Lokalpatriotismus allerdings einen herben Dämpfer: Sie wurde gegen ihren Willen zur Aargauerin.

«Nach der Trennung von meinem Freund fand ich im Kanton Zug keine bezahlbare Wohnung. Als Einkaufsmanagerin in einem Industriebetrieb verdiene ich zwar nicht schlecht. Bei der Wohnungssuche musste ich aber feststellen, dass Zug für den Mittelstand unbezahlbar geworden ist. Ich hätte die Hälfte meines Lohns für die Miete ausgeben müssen, um eine anständige Wohnung zu bekommen. Das kam nicht infrage. Ich suchte deshalb über die Kantonsgrenzen hinweg und wurde in Abtwil AG fündig. Jetzt bezahle ich 1900 Franken für eine 3,5-Zimmer-Wohnung. Im Kanton Zug würde so eine Wohnung monatlich 3000 bis 3500 Franken kosten.» 

Urzugerin Sarah Kaufmann (43) wurde unverhofft zur Aargauerin.
Foto: Siggi Bucher

Zugerinnen und Zuger kehren ihrer Heimat immer häufiger den Rücken. Durch die internationale Zuwanderung wächst der Kanton zwar weiter. Er zählt mittlerweile rund 133’000 Einwohner. Bei der Bevölkerung mit Schweizer Pass jedoch war der Wanderungssaldo in den letzten zehn Jahren negativ, wie Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen.

Urzuger verlassen die Heimat

Während sich seit 2014 24'769 Schweizerinnen und Schweizer in Zug ansiedelten, entschieden sich 27'851 für einen Wegzug. Unter dem Strich wanderten netto 3082 Einheimische ab. Der Ausländeranteil liegt mittlerweile bei 30,3 Prozent. In den 90er-Jahren war er halb so hoch.

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Eine Analyse der «Zuger Zeitung» kam 2023 zum Schluss, dass die meisten Zugerinnen und Zuger, die ihre Heimat verlassen, in Nachbargemeinden unweit der Kantonsgrenze ziehen. Topdestinationen sind Küssnacht am Rigi SZ, Arth SZ und das Zürcher Säuliamt. Aber auch das Luzernische sowie das Aargauer Freiamt stehen bei Zug-Auswanderern hoch im Kurs.

Der Hauptgrund liegt auf der Hand: Die Strategie des Kantons, mit tiefen Steuern Unternehmen und Reiche aus der ganzen Welt anzulocken, treibt die Mietpreise in schwindelerregende Höhen. Gemäss einer Auswertung des Immobilienportals Newhome kostet eine Mietwohnung im Kanton Zug pro Monat durchschnittlich 2819 Franken. Zum Vergleich der Mittelwert aller Kantone: 1779 Franken.

Fachstelle beobachtet Verdrängung

Angesichts solcher Mietpreise hilft es Geringverdienern nur bedingt, wenn der Kanton verspricht, in den nächsten Jahren für 99 Prozent der Spitalkosten aufzukommen. Die Fachstelle Punkto, die sich in Zug um Familien und sozial Benachteiligte kümmert, urteilt deshalb in ihrem Jahresbericht: «Die Verdrängung weniger privilegierter Menschen in benachbarte Kantone wird zu einer zunehmend besorgniserregenden Realität.»

Zu den Verdrängten gehört Jasmine Heer (38), Optikerin von Beruf. Nach einer Mietzinserhöhung verliess auch sie den Kanton Zug:

«Ich bin im Zürcher Oberland aufgewachsen und wegen der Liebe nach Zug gekommen, genau genommen nach Unterägeri. Mir hat es im Kanton Zug extrem gut gefallen. Nicht nur wegen des Sees und der Berge, sondern auch wegen der freundlichen Menschen. Man grüsst sich und schaut aufeinander. Doch dann kam eine Mietzinserhöhung: 100 Franken mehr pro Monat. Das konnte ich mir nicht leisten. Nun habe ich im Aargau eine günstigere Wohnung gefunden. Zwar werde ich wieder etwas mehr Steuern bezahlen müssen, das fällt bei meinem Lohn jedoch weniger ins Gewicht als die Miete. Ich vermisse den Kanton Zug aber schon jetzt und hoffe, dass ich eines Tages dorthin zurückkehren kann.» 

Jasmine Heer (38) vermisst den Kanton Zug.
Foto: Siggi Bucher

Die Zuger Regierung ist sich der Problematik bewusst. Im Interview mit Blick sagt Frau Landammann Silvia Thalmann-Gut (63, Mitte): «Ich habe auch in meinem Bekanntenkreis viele Menschen, die aus dem Kanton Zug weggezogen sind.»

Diese Woche präsentierte der Regierungsrat deshalb ein Massnahmenpaket, um die explodierenden Wohnkosten in den Griff zu bekommen: Vereinfachte Baubewilligungs-Abläufe und gelockerte Bauvorschriften sollen den Wohnbau fördern, gemeinnützige Bauträgerschaften leichter zu Darlehen kommen – und Unterstützungsbeiträge für bedürftige Haushalte «optimiert» werden.

Steuern sinken weiter

Ob das ausreicht, um Zug auch für Normalverdienende wieder bezahlbar zu machen, scheint fraglich. Denn eine Abkehr von der Tiefsteuerpolitik – dem wichtigsten Treiber der Immobilienpreise – kommt für die Verantwortlichen nicht infrage.

Das Gegenteil ist der Fall: Im Juli hat der Regierungsrat weitere Steuersenkungen angekündigt. Zwischen 2026 und 2029 soll der Kantonssteuerfuss um vier Prozent gesenkt werden. Thalmann-Gut: «Wir wollen Zug nicht künstlich unattraktiv machen.»

Renato Ugolini (59) sieht die Entwicklung seiner alten Heimat sehr kritisch.
Foto: Siggi Bucher

Renato Ugolini (59) schüttelt darüber nur den Kopf. Der Exil-Zuger, der den Kanton 2005 verliess und heute in Neuhausen am Rheinfall SH lebt, beunruhigt die Entwicklung seiner alten Heimat sehr:

«Ich bin mitten in Zug, im Guthirt-Quartier aufgewachsen und habe in einer Schlosserei in der Altstadt die Lehre gemacht. Doch wenn ich heute in der Stadt unterwegs bin, treffe ich kaum mehr jemanden, den ich kenne. Stattdessen wird überall Englisch gesprochen. Meine beiden Söhne leben noch in Zug. Der Ältere ist 34 und hat zwei kleine Kinder. Sie wohnen in einer kleinen Vierzimmerwohnung. Gerne hätten sie etwas Grösseres. Doch das ist mit einem Dachdecker-Lohn praktisch unmöglich. Mir kommt es so vor, als ob die Stadt, ja der ganze Kanton, die Vergangenheit und damit das Gedächtnis verliert. Zug wird dement.» 

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