Vorteile und Risiken selbstfahrender Autos
Autonom in den Verkehrskollaps

135 Jahre nach der Erfindung des Automobils bahnt sich die nächste Revolution an: Computer verdrängen den Menschen vom Steuer. Autofahren wird dadurch noch attraktiver, doch der Verkehrsfluss könnte noch mehr ins Stocken geraten.
Publiziert: 02.03.2021 um 06:37 Uhr
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Aktualisiert: 10.03.2021 um 12:08 Uhr
Guido Schätti

Die Revolution ist bereits da. Seit Anfang 2021 führen von Kameras und Sensoren unterstützte Rechner das Manöver im Strassenverkehr aus, an dem selbst routinierte Autofahrer regelmässig scheitern: seitwärts parkieren. In der Stadt Bern und in Marly FR surren selbstfahrende Busse durch die Strassen. Und wer sich den neusten S-Klasse-Mercedes leisten kann, könnte auf Autobahnen das Steuer dem Bordcomputer überlassen. Legal ist das allerdings noch nicht.

Die Beispiele bringen die Vorteile der Automatisierung auf den Punkt: Autofahren wird einfacher, sicherer, effizienter und bequemer. Die Digitalisierung hat das Zeug, die Mobilität umzukrempeln. Nicht heute und morgen, aber Ende des Jahrzehnts könnten Computer den Menschen am Steuer ablösen.

Selbstfahrende Fahrzeuge kombinieren Vorteile aus zwei Welten

Mit selbstfahrenden Autos kann nicht nur herumkurven, wer mindestens 18 Jahre alt ist und einen Führerschein besitzt. Auch Kinder und Jugendliche, alte und gebrechliche Menschen können sie ohne Begleitung nutzen. Man kann beim Fahren arbeiten, gamen, chillen, sich unterhalten oder essen. Hürden fallen, Freiheiten steigen.

Co-Autorin und Verkehrsexpertin Fabienne Perret glaubt, dass selbstfahrende Taxis das Privatauto ablösen könnten.
Foto: TBS & Partner AG
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Das ist alles Zukunftsmusik, doch sie betört schon heute die Ohren. Denn selbstfahrende Fahrzeuge kombinieren die Vorteile von privatem und öffentlichem Verkehr: Man braucht sich nicht selbst um die Fahrt zu kümmern, die Sicherheit wird höchstens von Hackern bedroht. Gleichzeitig ist man nicht abhängig von Fahr- und Streckenplänen.

Forscher glauben denn auch, dass selbstfahrende Fahrzeuge zum nächsten grossen Ding werden könnten. Die im Auftrag der Stiftung für Technologiefolgen-Abschätzung (TA-Swiss) erstellte Studie «Automatisiertes Fahren in der Schweiz: Das Steuer aus der Hand geben?» hat untersucht, wie die automatisierte Mobilität Verkehrssystem, Gesellschaft und Landschaft verändert. Je nachdem, wie man die Weichen politisch stellt, kann die Entwicklung sehr unterschiedlich verlaufen.

Szenario 1: Jedem seine Apple-Mercedes-Lounge

Lässt man Privaten freie Fahrt, könnten über unsere Strassen bald voll vernetzte Kabinen auf Rädern rollen. Modular möbliert, lassen sie sich je nach Bedarf als Konferenzraum, Wohnzimmer, Fitnessstudio oder Schlafkoje nutzen. Tech-Giganten und Automobilkonzerne schliessen sich zu Konglomeraten zusammen, liefern Fahrzeuge und Software und kontrollieren auch gleich die Datenströme.

Die Vorteile sind gross – so gross, dass sie sich ins Gegenteil verkehren können. Mehr Menschen nutzen mehr Fahrzeuge für mehr Fahrten, Eisenbahn und Linienbusse geraten unter Druck. Zudem sind die Kapseln häufig leer unterwegs, um Standkosten in den Zentren zu sparen. Das Resultat sind Staus und steigender Ressourcenverschleiss. Letztlich müsste der Staat eingreifen, um das System wieder zu verflüssigen.

Szenario 2: Der Staat übernimmt

Die Autoren haben sich deshalb auch Gedanken darüber gemacht, wie sich die Vorteile selbstfahrender Autos ohne Verkehrskollaps nutzen lassen. Die Antwort heisst kollektive Nutzung: Der Privatbesitz der Fahrzeuge wird eingeschränkt – entweder über Preiszuschläge oder Verbote. In dieser Welt wird Mobilität zu einer Dienstleistung, die man bestellt, wenn man sie braucht. Den Besitz der Hardware überlässt man anderen, die Steuerung des Systems und die Kontrolle der Daten erfolgen über eine öffentliche Institution.

Bestellt und bezahlt wird über eine App. Abgestuft nach Preis, Komfort und Zeitbedarf, schlägt das System verschiedene Lösungen vor, um von A nach B zu gelangen. Selbstfahrende Sammeltaxis, die sich ohne festen Fahrplan allein an der Nachfrage orientieren, übernehmen die Feinverteilung. Für längere Strecken gehts wie heute ab auf die Bahn. Der Privatverkehr wird zu öffentlichem Individualverkehr, der öffentliche Verkehr wird ebenfalls automatisiert, behält aber seinen Platz.

Szenario 3: In der Stadt kollektiv, auf dem Land individuell

Im Extremfall wird dieses System auf die ganze Schweiz ausgeweitet. Möglich wäre aber auch eine Mischform – das dritte Szenario, das die Forscher in ihrer Studie entwerfen. In Städten und Agglomerationen entstehen neue Angebote für den öffentlichen Individualverkehr, die durch Subventionen und separate Spuren bevorteilt werden. In ländlichen Regionen dominiert hingegen weiterhin der Privatbesitz von Fahrzeugen. Umsteigehubs an den Stadträndern sind die Scharniere zwischen den beiden Systemen.

Damit liegen drei Varianten auf dem Tisch, wie künftige Verkehrssysteme mit selbstfahrenden Fahrzeugen aussehen könnten: eine marktorientierte, eine staatlich gelenkte und eine Mischform (hier gehts zum Erklärvideo). Welche bietet die grössten Vorteile? Nimmt man die Energie- und Klimaziele des Bundes zum Massstab, liegt die Antwort auf der Hand: Nur mittels staatlicher Steuerung lassen sie sich erfüllen.

Wie gelingt die Revolution?

Ein Fragezeichen dabei: Die Vorteile kollektiver Mobilität liessen sich teilweise schon heute ausschöpfen. Wenn Car- und Ride-Sharing-Modelle konsequent gefördert würden, wären Staus seltener und die Emissionen geringer. Die Einschränkung des Privatbesitzes und der alleinigen Nutzung von Autos ist aber politisch chancenlos. Warum soll dies in Zukunft anders sein?

Angesichts des steigenden Problemdrucks bleibe gar keine andere Wahl, sagt Co-Autor Tobias Arnold von der Luzerner Firma Interface. Bis jetzt habe man auf Kapazitätsengpässe reagiert, indem die Infrastruktur ausgebaut wurde. «In Zukunft geht es darum, die Infrastruktur intelligent zu nutzen», sagt Arnold. «Wenn Leerfahrten minimiert und der Besetzungsgrad in den Autos optimiert wird, haben selbstfahrende Fahrzeuge grosses Potenzial, um die Verkehrsprobleme zu entschärfen.»

Co-Autorin Fabienne Perret, Leiterin Verkehr bei der Firma EBP, sieht zwei weitere Gründe, die ein Umdenken beschleunigen könnten. Dank Apps und zentraler Steuerung biete kollektive Mobilität enorme Vorteile bei der Benutzerfreundlichkeit. Das könnte einen Wertewandel beschleunigen. «Das Auto ist heute ein Symbol für Freiheit. Für diese Freiheit könnten in Zukunft selbstfahrende Fahrzeuge stehen, die uns günstig, schnell und sicher überall hinbringen», sagt Perret. Bei der jüngeren Generation zeichne sich schon heute ab, dass das Auto seinen Wert als Statussymbol einbüsse. «Die Freiheit, sich bewegen zu können, zählt mehr als der Besitz eines Autos.»

Auch Laien kommen zu Wort

Machen selbstfahrende Fahrzeuge den Verkehr sicherer, effizienter und sauberer? Oder stehen wir noch mehr im Stau? Im Auftrag der Stiftung für Technologiefolgen-Abschätzung (TA-Swiss) gingen die Beratungs- und Planungsunternehmen EBP und Interface diesen Fragen nach. Ihre Studie «Automatisiertes Fahren in der Schweiz: Das Steuer aus der Hand geben?» bezog neben Verkehrsplanern auch Ökonominnen, Ethiker, Juristinnen und Vertreter der ÖV-Betriebe und Auto-Importeure mit ein. Auch Laien kommen zu Wort. Tenor: Sie begrüssen die Sicherheitsgewinne, setzen aber Fragezeichen beim Datenschutz und fürchten einen Anstieg der Bequemlichkeit, sollten sich Roboterautos durchsetzen.

Machen selbstfahrende Fahrzeuge den Verkehr sicherer, effizienter und sauberer? Oder stehen wir noch mehr im Stau? Im Auftrag der Stiftung für Technologiefolgen-Abschätzung (TA-Swiss) gingen die Beratungs- und Planungsunternehmen EBP und Interface diesen Fragen nach. Ihre Studie «Automatisiertes Fahren in der Schweiz: Das Steuer aus der Hand geben?» bezog neben Verkehrsplanern auch Ökonominnen, Ethiker, Juristinnen und Vertreter der ÖV-Betriebe und Auto-Importeure mit ein. Auch Laien kommen zu Wort. Tenor: Sie begrüssen die Sicherheitsgewinne, setzen aber Fragezeichen beim Datenschutz und fürchten einen Anstieg der Bequemlichkeit, sollten sich Roboterautos durchsetzen.

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