Warnung von Moderna-Chefarzt Burton auf dem Prüfstand
Ist Omikron wirklich «so schlimm wie Delta»?

Omikron hat in der Schweiz das Ende der Corona-Pandemie herbeigeführt – so zumindest die landläufige Meinung. Ein hochrangiger Moderna-Vertreter behauptet nun, Omikron sei genauso schlimm wie Delta. Blick macht den Faktencheck.
Publiziert: 18.05.2022 um 17:29 Uhr
Sarah Frattaroli

Es scheint, als bräuchte Moderna Nachhilfe in Mathe. Paul Burton (53), Chefarzt der Pharmafirma, sorgt mit einer Aussage über die Hospitalisierungsrate bei Omikron für Aufsehen. «In Sachen Hospitalisierungen ist Omikron so schlimm wie die Delta-Variante», sagte der Mediziner am Dienstag in einem Blick-Interview.

«Dass Omikron mild ist, ist eine Fehleinschätzung – das Gegenteil ist der Fall!» Burton spricht von einem «Irrglauben», dem viele aus purer Überforderung mit den Statistiken aufgesessen seien.

Bei Fachleuten und Spitälern sorgt das für Stirnrunzeln. Hinter vorgehaltener Hand bezeichnen verschiedene Vertreter aus dem Gesundheitswesen Burtons Aussage als «kreuzfalsch». Zitieren lassen wollen sie sich nicht. Schliesslich haben sich die Wogen zwischen Gegnern und Befürwortern der Corona-Massnahmen gerade erst geglättet, seit die Pandemie in der Schweiz überstanden scheint. Diesen zerbrechlichen Frieden will niemand gefährden.

Ja, findet Moderna-Chefarzt Paul Burton. In diesem Zusammenhang sagt er auch, Omikron sei so schlimm wie Delta.
Foto: Moderna
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Immunität ist entscheidend

Blick hat nachgerechnet: Auf dem Höhepunkt der Omikron-Welle im Januar 2022 gab es in der Schweiz laut Zahlen des Bundesamts für Gesundheit (BAG) jeden Tag rund 500 Ansteckungen pro 100'000 Einwohner. Davon wurden durchschnittlich um die 1,5 Fälle ins Spital eingewiesen.

Als Delta dominierte, lagen die Fallzahlen fünfmal tiefer: Im Dezember 2021 bei rund 100 Fällen pro 100'000 Einwohner. Die Hospitalisationen? Ähnlich hoch wie während Omikron. Es ist eine einfache Milchbüchleinrechnung: Omikron führte zu fünfmal mehr Fällen – aber nicht zu mehr Spitaleinweisungen als Delta.

Trotzdem: Der Vorwurf, Burton habe sich schlicht verrechnet oder mache zum Vorrat auf Panik, um mehr Impfstoff zu verkaufen, greift zu kurz. «Bekannt ist, dass auch Omikron wie zum Beispiel die Delta-Variante zu schweren und tödlichen Verläufen führen kann», sagt Rudolf Hauri (61), oberster Kantonsarzt der Schweiz. «Dies aber gewichtig bei Nichtimmunisierten.»

Weil Omikron in der Schweiz auf eine Bevölkerung mit hoher Immunität trifft – durch Impfung und Infektion – gehen die Spitaleinweisungen zurück. Hierzulande stimmt Burtons Aussage also tatsächlich nicht: Omikron ist punkto Spitaleinweisungen nicht annähernd so schlimm wie Delta.

Überlastete Spitäler in Hongkong – wegen Omikron

Anders hingegen sieht es international aus. Die Experten des Berner Inselspitals etwas schreiben auf Anfrage von Blick, dass Omikron bei einer nicht-immunisierten Bevölkerung «nur etwa 30 bis 50 Prozent weniger schwere Verläufe» verursache als Delta.

Gepaart mit der höheren Übertragbarkeit sorgt das dafür, dass die Spitäler beim Auftreten der Omikron-Variante tatsächlich voller werden. China erlebt das gerade hautnah: Durch die Null-Covid-Strategie haben sich dort auch zwei Jahre nach Ausbruch der Pandemie verhältnismässig wenige Menschen mit dem Virus infiziert. Die Impfquote in der Gesamtbevölkerung liegt laut offiziellen Angaben zwar bei fast 90 Prozent. Doch gerade bei den Senioren gibt es Lücken: Nur die Hälfte der Über-80-Jährigen ist gemäss Behördenangaben geimpft – vom Booster ganz zu schweigen. Millionen vulnerable Menschen sind Omikron dadurch schutzlos ausgeliefert.

Kommt hinzu, dass die chinesischen Impfstoffe weniger gut wirken als die in der Schweiz verabreichten mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna. Entsprechend hat die Omikron-Variante in China denn auch zu vielen schweren Verläufen geführt. In Hongkong etwa waren die Spitäler zeitweise überlastet, Patienten warteten vor den Eingängen, Leichenhäuser waren voll. In Shanghai herrscht seit zwei Monaten ein Knallhart-Lockdown, um ähnliche Szenen zu verhindern.

Kommt die vierte Impfdosis?

Auch in der Schweiz wurden die Spitäler mit dem Auftreten der Omikron-Variante aufgrund der schieren Anzahl der neuen Fälle zunächst voller. «Im Unterschied zu den vorherigen Wellen waren aber die hospitalisierten Patientinnen und Patienten deutlich weniger krank, oder die Infektion war sogar ohne Symptome», schreibt das Inselspital. Leichtere Verläufe sind für die Spitäler auch leichter zu bewältigen.

Wie es im Herbst aussieht, ist hingegen noch völlig offen: Treten neue Varianten auf? Nimmt die Immunität in der Bevölkerung schneller ab als erhofft? Moderna-Chefarzt Paul Burton ist sich sicher: «Eigentlich besteht jetzt schon Bedarf für einen Booster.» Auch diese Aussage brachte ihm allerdings Schelte ein: Die Heilmittelbehörde Swissmedic etwa zeigte sich irritiert über die Booster-Forderung von Moderna. Schliesslich hat der Pharmakonzern noch nicht einmal ein Zulassungsgesuch für die vierte Impfung eingereicht.

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