Wirtschaftsexperte Werner Vontobel ordnet ein
Hilft Vitamin D wirklich gegen Corona?

Helfen Mikronährstoffe, insbesondere Vitamin D, gegen Corona? Die Gesellschaft für Ernährung sagt ja, die Corona-Taskforce hält das für Unsinn. Wer hat die besseren Argumente? Wirtschaftsexperte Werner Vontobel macht eine Auslegung.
Publiziert: 17.10.2020 um 11:26 Uhr
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Aktualisiert: 27.02.2021 um 10:49 Uhr

BLICK hat als erster berichtet: «Ein Gremium von Medizinern und Forschern fordert neue Massnahmen gegen Corona. Es erklärt in einem Grundlagenpapier, wieso die Bevölkerung Nährstoffe wie Vitamin D und Zink gegen Corona nehmen soll.»

Kurz darauf meldeten sich auch die Experten des Bundesrats im BLICK zu Wort. «Nährstoffe zum Schutz gegen Covid-19? Darüber kann die Corona-Taskforce des Bundes nur den Kopf schütteln.» Konkret meinte der Infektiologe Manuel Battegay (60): «Ein Effekt von solchen Cocktails spezifisch für SARS-CoV-2 oder Winterviren ist nicht erwiesen.» Und der Virologe Didier Trono (65) sagt. «Generell nehmen die Leute ja im Winter oft zusätzliche Vitamine wie Vitamin C ein». Aber solche Ernährungstipps direkt in Verbindung mit einem Schutz gegen Corona zu bringen, stellt er infrage.

Die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung (SGE) hat für einmal keine Ernährungstipps gegeben, sondern Ergänzungsmittel empfohlen – und zwar in Dosierungen, die weit über ihren bisherigen Empfehlungen liegen: namentlich 2000 statt 600 bis 800 IU Vitamin D und 200 statt 100 Milligramm Vitamin C. Und sie hat ihre Empfehlungen in einer englischen Langfassung mit 87 Studien belegt. Ist also, entgegen der Aussage von Battegay, «ein Effekt von solchen Cocktails spezifisch für SARS-CoV-2» vielleicht doch erwiesen?

Werner Vontobel ist Wirtschaftsexperte. In seinen Ordnet-Ein-Kolumnen nimmt er aktuelle, kontroverse Begebenheiten der Wirtschaft unter die Lupe.
Foto: Paul Seewer
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Battegay hat teilweise recht

Streng genommen hat Battegay recht. Aber nur dann, wenn man als «Beweis» nur grossangelegte, randomisierte Doppelblindstudien anerkennt. Und insofern, als noch nie ein ganzer «Cocktail» von Vitaminen gegen SARS-CoV-2 klinisch getestet worden ist. Zudem betreffen die meisten der vor der SGE vorgebrachten Studien und Erkenntnisse die Rolle der Vitamine C und D sowie von Selen, Zink und Omega-Fettsäuren für die Stärkung der allgemeinen – nicht der coronaspezifischen – Immunabwehr.

Alle fünf – und noch ein paar andere – werden von der EU für diesen Zweck zugelassen. Mit gutem Grund: So sagt etwa diese Studie, dass 75 Prozent der Schweizer weniger als 25 Nanogramm Vitamin D pro Milliliter im Blut haben, und elf Prozent gar weniger als zehn Nanogramm pro Milliliter. Die Studie sagt ferner, dass das Optimum bei 40 bis 60 Nanogramm pro Milliliter liegt, und dass die Gefahr, an irgendeiner Krankheit zu sterben, pro zehn Nanogramm pro Milliliter um 20 Prozent sinkt.

Hilft Vitamin-Cocktail gegen Virus?

Doch was ist mit den Leuten, die vor allem nicht an Covid-19 erkranken wollen? Unterstützt der SGE-Cocktail das Immunsystem auch gegen dieses neu entdeckte Virus?

Dazu gibt es seit wenigen Monaten viele neue Erkenntnisse, die alle in dieselbe Richtung weisen. Viele davon werden im SGE-Grundlagenpapier zitiert. So zeigen etwa zwei Studien mit 117 beziehungsweise 12 (europäischen) Ländern einen statistisch hoch signifikanten Zusammenhang zwischen einem tiefen allgemeinen Vitamin-D-Spiegel und einer hohen Gefahr, an Covid-19 zu erkranken oder gar zu sterben.

Gemäss einer Studie mit 7807 israelischen Angestellten im Gesundheitsdienst wurde die Gruppe mit weniger als 30 Nanogramm pro Milliliter Vitamin D doppelt so häufig angesteckt wie die mit mehr Vitamin D. Und in Indonesien sind von 388 Covid-Patienten mit einem Vitamin D-Spiegel über 30 Nanogramm pro Milliliter nur 4,1 Prozent gestorben, gegenüber 87 beziehungsweise 98,8 Prozent bei der etwa gleich grossen Gruppe von Patienten mit 20 bis 30 beziehungsweise unter 20 Nanogramm pro Milliliter Vitamin D.

Vitamin-D-Keule für Covid-Patienten?

Doch wenn dem so ist, müsste man dann nicht allen Covid-Patienten beim Eintritt ins Spital sofort eine schnell wirksame Megadosis Vitamin D verabreichen?

Genau diese Frage hat man im Reina-Sofia Unispital von Cordoba geklärt: 26 Covid-19-Patienten wurde nach dem normalen Standard behandelt, 50 weitere erhielten zusätzlich Calcifediol, eine schnell wirksame Form von Vitamin D. Ergebnis der Studie: Von den Patienten ohne Vitamin D mussten 50 Prozent auf die Intensivstation verlegt werden, zwei (7,5 Prozent) starben. Von der Gruppe mit Vitamin D 3 musste nur einer (zwei Prozent) auf die Intensivstation, und alle überlebten ohne bleibende Schäden. Die Studie wurde nach allen Regeln der Kunst randomisiert und doppelblind durchgeführt, und das Ergebnis (betreffend Intensivstation) war statistisch hoch signifikant.

Reicht das?

Gemäss dem SGE-Papier haben zumindest «einige Länder» die Konsequenzen gezogen und empfehlen Vitamin D zur Vorbeugung gegen Covid-19.

Namentlich genannt werden der National Health Service in England und die französische Académie Nationale de Médicine. Diese stellt fest, dass es einen engen Zusammenhang zwischen Covid-19 und Vitamin-D-Mangel gibt. Sie empfiehlt (hier) eine vorbeugende Einnahme von 800 bis 1000 IU und eine Initialzündung von 50'000 bis 100’000 IU für alle Vitamin-D-defizienten Covid-Patienten. Generell rät sie zu Vitamin D als Zusatz zu jeder Behandlung.

Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse fordert die Expertengruppe der SGE das Bundesamt für Gesundheit dazu auf, eine offizielle Empfehlung für die Vitamine C und D sowie für Zink, Selen und Omega 3 auszusprechen.

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Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.

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